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Foto: Boris Roessler, dpa
Foto: Boris Roessler, dpa

Vom französischen Schriftsteller Michel Houellebecq gibt es Neues. Er antwortet literarisch auf seinen Porno-Skandal.

Literatur
01.06.2023

Michel Houellebecq, ein Porno-Darsteller wider Willen

Von Birgit Holzer

Unversehens fand sich der französische Schriftsteller in einem Porno-Streifen wieder, gegen dessen Veröffentlichung er nun kämpft – vor Gericht und mit einem neu erschienenen Buch.

Michel Houellebecq vermittelte bislang den Eindruck, dass er sich recht wenig um das schert, was andere von ihm denken. Es schien ihn sogar zu amüsieren, wenn es ihm gelang, zu schockieren und zu provozieren, nicht nur in seinen Büchern. Mal inszenierte sich der französische Autor von Bestsellern wie „Elementarteilchen“ oder „Vernichten“ als dekadenter Nihilist, dann wieder nahm er den Chef des Vichy-Regimes und französischen Nazi-Kollaborateur Philippe Pétain in Schutz. Vom ehemaligen sowjetischen Diktator Josef Stalin sagte er einmal, er möge ihn, da er „viele Anarchisten umgebracht hat“. Für eine ordentliche Polemik war der Literatur-Preisträger des renommierten Prix Goncourt immer wieder gern zu haben. 

Wie wenig kalt ihn sein öffentliches Image in Wahrheit allerdings lässt und wie sehr auch er Scham empfinden kann, zeigte er nun mit einem rund 100 Seiten dünnen Büchlein, das in Frankreich unter dem Titel „Einige Monate in meinem Leben“ erschien. Dass es sich um schwere Monate handelte, deutet schon das Cover an. Es ist komplett schwarz mit weiß aufgedrucktem Titel. 

Houellebecq schildert seine Version, wie er zum Darsteller eines Pornos wurde

Der 67-Jährige gibt darin seine eigene Version vom Zustandekommen des Pornofilms „Kirac 27“ durch das niederländische Künstler-Kollektiv Kirac (Keeping It Real Art Critics) unter Beteiligung von Houellebecq selbst und seiner Ehefrau Qianyum Lysis Li wieder. Er widerspricht der Erzählung des Kirac-Chefs Stefan Ruitenbeek, nach der eine geplante Marokko-Reise des Ehepaars angeblich aufgrund von Drohungen durch Islamisten abgesagt werden musste. Um den deprimierten Houellebecq aufzuheitern, so Ruitenbeek, habe man im November 2022 unter aktiver Mithilfe von Qianyum Lysis Li Begegnungen mit Prostituierten in Paris und Amsterdam organisiert und daraus einen Film gemacht. Es handle sich um ein „Spiel zwischen Realität und Fiktion“. 

Vergeblich versuchte der Schriftsteller, sich gegen diese „Lügen“ zu wehren und die Veröffentlichung des Films mit juristischen Mitteln zu stoppen. Nach zwei Niederlagen in Frankreich und in den Niederlanden wurde ihm Mitte Mai zumindest das Recht zugesprochen, den Streifen vier Wochen vor seinem Erscheinen zu sehen und Änderungswünsche anzugeben. Sollten diese nicht respektiert werden, kann er erneut vor Gericht ziehen und Kirac droht eine Geldstrafe in Höhe von 25.000 Euro. Tatsächlich ist der ursprünglich für März und dann für Ende Mai angekündigte Film noch immer nicht veröffentlicht. Der Trailer, der Houellebecq rauchend in einem Bett zeigt, der anschließend mit nacktem Oberkörper eine junge Frau umschlingt und küsst, wurde zurückgezogen. Er zirkuliert allerdings immer noch im Internet. 

Houellebecq wehrt sich mit seiner stärksten Waffe: seiner Feder

Darüber hinaus wehrt sich der 67-Jährige mit seiner vielleicht stärksten Waffe gegen seine Widersacher, nämlich mit seiner Feder. Sie ist elegant und witzig, selbstironisch, oft bösartig. Ruitenbeek nennt er in dem neuen Buch nur „die Kakerlake“ und zwei der Film-Darstellerinnen, mit denen er intim wurde, bezeichnet er als „die Sau“ und „die Pute“. Auch sich selbst verschont er nicht, wenn er schreibt, er habe „quasi die Perfektion der Dummheit erreicht“. 

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Er sei leider auf Ruitenbeeks Vorschlag hereingefallen, gemeinsam mit seiner Ehefrau mit einer attraktiven Holländerin, die ein Fan seiner Werke sei, zu schlafen. Houellebecq war auch einverstanden, sich dabei filmen zu lassen, im Glauben, die Videos würden kostenlos auf eine Amateur-Pornoseite gestellt, als selbstlose Geste sozusagen. Seine Frau fädelte das erste Treffen in Paris ein und auf weitere Dreharbeiten in Amsterdam ließ Houellebecq sich seinen eigenen Worten zufolge vor allem deshalb ein, weil er die Stadt und den Thalys-Zug, der aus Paris dorthin fährt, mag. 

Die Tragweite des Vertrags realisierte Houellebecq erst viel später

Vor Ort legte ihm Ruitenbeek einen Vertrag vor, der im Buch abgedruckt ist und dessen Tragweite Houellebecq erst viel später realisieren sollte. Mit seiner Unterschrift überließ er dem Niederländer die Rechte an allen, auch den zuvor in Paris von ihm gedrehten Szenen. „Ich betrat wahrhaftig die Hölle“, schreibt der Autor. „Dort befinde ich mich noch heute.“ Sich selbst stellt er als Opfer sadistischer Profiteure dar und vergleicht sich mit Frauen, die vergewaltigt wurden – was wiederum für neue Empörung sorgte. Französische Journalisten, vor allem die im Fernsehbetrieb beschäftigten, beschimpft er nebenbei als „Rüpel und Schweine“. Er kreist konsequent um sich selbst. 

Erstaunlicher ist der erste, kürzere Teil des Büchleins, der einen Skandal um islamophobe Aussagen Houellebecqs im vergangenen Winter aufgreift. Diese hatten ihm eine Anzeige durch den Rektor der Großen Moschee in Paris, Chems-Eddine Hafiz, eingebracht. In einem Gespräch mit dem französischen Philosophen Michel Onfray, das in dessen rechtspopulistischem Magazin Front Populaire abgedruckt wurde, hatte Houellebecq behauptet, dass „die angestammten Franzosen, wie man sie nennt“, gar nicht wünschten, dass die Muslime im Land sich assimilieren, sondern „dass sie aufhören, sie zu bestehlen und anzugreifen. Oder, andere Lösung: dass sie fortgehen“. 

Nun bietet er eine neue, weniger pauschale Version seiner Aussage an und entschuldigt sich „bei allen Muslimen, die dieser Text möglicherweise beleidigt hat – das heißt, wie ich leider befürchte, so ziemlich alle Muslime“. Heute glaube er, dass „nicht der Islam das Problem“ sei, betonte er jüngst in einem Interview. Im Januar 2015, ausgerechnet am Tag des islamistischen Terroranschlags gegen das Satiremagazin Charlie Hebdo, war sein Roman „Unterwerfung“ erschienen, der von der Wahl eines muslimischen Staatspräsidenten in Frankreich handelt, der dort die Scharia und die Polygamie einführt. Acht Jahre später scheint er sich von solchen Visionen entfernt zu haben. In einem bleibt Michel Houellebecq sich selbst treu: Er weiß zu überraschen.

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