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Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild, dpa (Archivbild)
Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild, dpa (Archivbild)

Das neue Buch von Juli Zeh „Zwischen Welten“ ist erscheinen.

Literatur
23.01.2023

Zwischen Gendern und Landwirtschaft: Was will Juli Zeh mit ihrem neuen Roman?

Von Wolfgang Schütz

Autorin Juli Zeh legt mit „Zwischen Welten“ den dritten Roman mit gleichem Blick auf eine gespaltene Gesellschaft vor. Diesmal mit Co-Autor und Schlagseite.

Obacht, das hier könnte etwas kompliziert werden. Nicht weil das neue Buch von Juli Zeh es wäre, nein, im Gegenteil, ihre Millionen Leserinnen und Leser können zurecht wieder darauf vertrauen, dass sie auch diesmal für ziemlich komplexe gesellschaftliche Fragen eine sehr plakative Erzähllösung findet. 

Und nicht nur das war ja auch zuletzt bei den großen Publikumserfolgen „Unterleuten“ und „Über Menschen“ so – zudem ist das Thema von „Zwischen Welten“ praktisch wieder das gleiche. Es geht um den Befund einer Spaltung der Gesellschaft, beispielhaft getroffen an den Unbilden des Landlebens im Brandenburgischen, wo Zeh ja auch privat lebt, kontrastiert mit der Weltsicht der intellektuellen Wessi-Großstädter, zu denen sie selbst vorher zählte. 

Juli Zeh liefert einen Roman über zwei verschiedene Lebenswelten

Neu ist äußerlich, dass sie sich dafür nun erstmals mit einem Co-Autor zusammengetan hat, Simon Urban, zweite Vierziger-Hälfte wie sie, kein annähernd so bekannter Name, aber relativ erfolgreich mit Romanen wie „Plan D“ und „Wie alles begann und wer dabei umkam“. Und neu ist formal, dass der Roman als eine zeitgenössische Adaption des klassischen Briefromans daherkommt, also ausschließlich aus Mails und Social-Media-Nachrichten besteht, die sich eine Frau namens Theresa und ein Mann namens Stefan zwischen Januar und Oktober 2022 schicken. 

Einst waren sie als Mitbewohner ein Herz und eine Seele, nun sind sie sich nach 20 Jahren zufällig wiederbegegnet, inzwischen Mitte 40 beide, sie Landwirtin in der Ost-Pampa mit Mann und zwei Kindern, er Feuilleton-Chef der größten deutschen Wochenzeitung in Hamburg, alleinstehender Wohlstands-Wessi-Intellektueller. 

Aber nicht etwa, dass es dadurch kompliziert würde, den Roman zu lesen. Zeh und Urban entfalten das Verhältnis und die Konflikte darin in überlebensgroßer Klarheit der Positionen, teils mit schwungvollem Witz auch, jedenfalls aber mit so viel Dramatik, dass sich ein sofort zugängliches, abwechslungsreich entwickelndes, spannendes Leseerlebnis entfaltet über zwei Menschen, die einander nahe, aber sehr unterschiedlich im Leben stehen. 

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„Zwischen Welten“ widmet sich mit voller Wucht dem Thema Medienkritik

Kompliziert wird es hier, weil der Roman dabei die aktuell kursierende Medienkritik in voller Wucht und Lust ausbreitet. Sie wissen schon: erzieherisches Bevormunden etwa beim sprachlichen Gendern; das Überschreiten der Schwelle zum Aktivismus; Wokeness-Hörigkeit; die wirklichkeitsfremde Blasen-Existenz mit Nähe zu Eliten, aber Blindheit für das normale Leben, die Sorgen des Normalmenschen; das Festlegen von Meinungskorridoren; das Diffamieren Anders-Denkender; das Social-Media-artige Skandalisieren...

Und wenn ein Medium nun in der Kritik des Buches wiederum diese Medienkritik ärgerlich unreflektiert und klischeehaft findet? Dann war doch klar, dass das so kommen würde? Selber kritikunfähig halt? Und wenn ein Feuilleton-Journalist mit Mitte 40 in seiner Rezension hier den im Buch dargestellten Feuilleton-Journalisten mit Mitte 40, der dort als Symbolfigur für eine Branche an der Schwelle der medialen Zeitenwende und im Sturm der ideologisch aufgeladenen Polykrisen wankt, für einen mit kabarettistischem Spott überzeichneten Vollhorst hält? Doch auch klar, beleidigte Leberwurst, die die eigenen blinden Flecken aufgezeigt bekommen hat, Abwehrreaktion Runtermachen?

Direkte Dialoge und ehrliche Debatten

Aber ist doch wirklich fast schon heimtückisch. Denn äußerlich betrachtet begegnen sich in diesem Roman vermeintlich zwei Positionen auf Augenhöhe. Die von Theresa, die durch den plötzlichen Tod ihres Vaters einst aus dem Studentenleben mit Stefan gerissen wurde und seitdem versucht, den ererbten Hof samt Rindern und Mitarbeiten über Wasser zu halten – obwohl die gesetzlichen Regulierungen und Auflagen eine immer weiter zunehmende Zumutung sind, obwohl ausländische Investoren einfach das Land im Osten wegkaufen, obwohl Politik wie Medien wie Gesellschaft sich für die Probleme der doch essenziellen Landwirtschaft nicht zu interessieren scheinen, obwohl die klimatischen Umstände die Arbeit immer schwieriger machen … 

Das Gewese von Stefan und seiner Blase um Gendersternchen und Diversity kann Theresa je nach Stimmung nur ironisch bis wütend kommentieren. Nicht weil sie nicht für Feminismus oder gegen Rassismus wäre – sondern weil sie deren Debatten für gar nicht auf die Wirklichkeit wirkend, sondern für bloße Spiegelfechtereien der Selbstgerechtigkeit hält. 

Das Erfrischende an Theresa jedenfalls ist: Sie sagt das Stefan auch. Und bloß wenn die beiden sich mit Reflex-Schnellschüssen über Social Media austauschen, führt das zu Streit. Mit dem größeren Reflexionsabstand in den längeren Mails können die beiden darüber durchaus fruchtbar debattieren, sich selbst hinterfragen und vor allem die gegenseitige Gewogenheit mit einbeziehen, die einen im Gegenüber je mehr als das Abbild der eigenen Klischees erkennen lässt.

Was passiert, wenn sich Journalisten mit Aktivisten gemeinmachen?

Das ist mit Blick auf die Debattenkultur in Deutschland nicht schlecht in Stellung gebracht und wird dann auch auf jede erdenklich Art getestet. Stefans Zeitung etwa erscheint mit auf seine Initiative hin als Klima-Sonderausgabe, an der Aktivistinnen und Aktivisten direkt mitwirken, „Journalismus goes Aktivismus“, ein Riesenverkaufserfolg und zugleich eine Grenzerfahrung, weil zwei 19-jährige Klimabewegte der ganzen Redaktion dabei auf der Nase herumtanzen, samt Nazi-Vergleich klarmacht, die Aktion ändere nichts daran, dass sie schuld seien … Darüber kann Theresa nur spotten. 

Später soll gleich der Name der Zeitung von „Bote“ in „Bot*in“ geändert werden. Dazwischen hat es noch einen Eklat mit Riesen-Shitstorm gegeben, weil der Chefredakteur, klassische Vorzeige-Journalist und Mentor Stefans bei der feierlichen Ernennung der neuen, dunkelhäutigen Online-Chefin unbedacht neckisch von der „Quoten-Schwarzen“ gesprochen hat und danach nicht zu Kreuze kriechen will – die Folgen sind so radikal auch für dessen Familie, dass hier Theresa dann doch von Stefans Erzählungen geschockt ist und vom „digitalen Mittelalter“ spricht, in dem wir lebten. 

Auch sie selbst nämlich steht zu dieser Zeit am Pranger – allerdings in den klassischen Medien (die hier parallel gestellt werden). Weil Theresa aus Wut und Verzweiflung heraus zur Aktivistin in eigener Sache und mit einer Bewegung zusammen etwa Gülle in Lebensmitteldosen bei Discountern einschleust, um klar zu machen, dass wer einen Dreck bezahlen will, auch nur einen Dreck bekommen sollte … 

Dieser Aktivismus freilich grenzt an viel umfänglicher staats- und systemkritischen, von rechts, was natürlich bei Stefan alle Alarmglocken läuten lässt – während Theresa ihm erklärt, dass sich seine Blase nicht zu wundern brauche, dass in ihrer Heimat die AfD 28 Prozent erreiche. Noch mehr Kontrast- und Spaltungsstoff gefällig? Mitten in der Romanzeit beginnt ja noch der Ukraine-Krieg! Ob Stefan und Theresa da stellvertretend für eine gesellschaftliche eine private Brücke finden? Sogar endlich noch eine intime zueinander?

Charaktere begegnen sich nicht auf Augenhöhe

Das wäre das an sich fruchtbare Konstrukt „Zwischen Welten“. Bloß hakt es am Wesentlichsten, der gleichen Augenhöhe, auf der sich die beiden begegnen. Sehr bald schon bekommt der Roman hier sehr deutlich und im Fortgang nur immer noch mehr Schlagseite. Wie der Berliner Ex-Freund von Juli Zehs Hauptfigur in „Über Menschen“ ein bis zu Dummheit ideologischer Klimaretter und Corona-Bekämpfer war, so ist Stefan, der ja immerhin stellvertretender Chefredakteur von einer fiktiven Zeitung analog der tatsächlichen Zeit ist, ein verkopftes, eitles Bürschchen, realitätsblind besoffen von der eigenen Bedeutung, anmaßend beseelt von der Idee, für die Vernunft und das Gute zu stehen – und dabei bloß ein schwafelndes Klischee. 

Theresa dagegen ist klug und witzig, mutig und geerdet, berührend und erschütternd, sozial engagiert und kundig in dem, worüber sie spricht … – ein starker, echter Charakter, haushoch über einem Hirni, eine bloß im Wohlstand lebenstaugliche Lusche wie Stefan thronend, der sich schon schicksalhaft erhoben fühlt, wenn seine dunkelhäutige Kollegin vom „Wir“ spricht und ihn mit meint.

Juli Zeh legt mit "Zwischen Welten" einen streitbaren Roman vor

Und angesichts dieser sich hier wiederholenden Schlagseite kann man doch fragen: Was will Juli Zeh? Literatur goes Aktivismus? Das Äquivalent als Roman zu „Die vierte Gewalt“ von Precht und Welzer, mit denen sie im offenen Brief gegen Waffenlieferungen an die Ukraine an einer Seite stand? Ein narratives Korrektiv einführen, weil sich die öffentliche Debatte ihres Erachtens viel zu sehr um Partikulares, Urbanes wie das Gendern dreht statt um Essenzielles wie die Landwirtschaft, Allgemeinbürgerliches? Zum Preis einer Verhöhnung des Journalismus? 

Und nicht nur das. Auch zum Preis, dass in solchen Romanen etwa die Dramen einer Landwirtin im Brandenburgischen sehr real, packend und politisch wirken, bis hin zur menschlichen Tragödie um den Nazi-Nachbarn in „Über Menschen“ – die des tatsächlichen Rassismus aber unsichtbar, theoretisch bleiben, nur als lobbyistisches Konstrukt vorkommen. Echt jetzt, Frau Zeh? Immerhin, wenn sie einen streitbaren Roman liefern wollte, das ist ihr gelungen.

Roman: Juli Zeh u. Simon Urban: Zwischen Welten. Luchterhand, 448 S., 24 Euro

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