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Literatur: Karl Ove Knausgård und die Sex-Szene mit einer 13-Jährigen

Literatur

Karl Ove Knausgård und die Sex-Szene mit einer 13-Jährigen

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    Heute ist Karl Ove Knausgård 51 Jahre alt und eine Marke in der Literaturwelt. Er hat sich seinen Lebenstraum erfüllt – zu einem hohen Preis.
    Heute ist Karl Ove Knausgård 51 Jahre alt und eine Marke in der Literaturwelt. Er hat sich seinen Lebenstraum erfüllt – zu einem hohen Preis. Foto: Thomas Wågström

    Die Sensation war eine beträchtliche, aber in nationalen Grenzen. Ein 30-jähriger Autor gewann in Norwegen als erster gleich mit seinem Debütroman den renommiertesten Literaturpreis, den Kritikerprisen. Von Skandal damals keine Spur, auch wenn in "Aus der Welt" sehr explizit erzählt wird, wie ein 26-jähriger Aushilfslehrer einer 13-jährigen Schülerin verfällt – und auch, wie er mit ihr Sex hat. Denn hat es das in der Literatur nicht schon in allen Schattierungen gegeben, von Nabokovs "Lolita" bis zu Henry Millers "Opus Pistorum"?

    Gut 20 Jahre später nun ist der Autor ein grenzenloses Phänomen. Karl Ove Knausgård ist inzwischen mit einer sechsteiligen Romanserie, die im Original "Mein Kampf", auf Deutsch freilich anders heißt, zur Weltmarke geworden. Und so, wie nun alles von ihm im aufwendigen Promi-Format erscheint, seien es Bücher mit Notizen zu den Jahreszeiten oder ausschweifenden Gedanken über den Maler Edvard Munch – so erscheint auch sein literarisches Debüt nach und nach in alle Welt übersetzt, nun erstmals auch auf Deutsch.

    Und ist seitdem in immer neuen Wellen ein mal größerer, mal kleiner Skandal. Ein einfach nachgeholter in sehr viel sensibler gewordenen Zeiten angesichts einer sinnlich geschilderten Missbrauchsszene und der trotz Flucht und Erschrecken des Lehrers Henrik auch danach weitergehenden Sehnsucht nach der Kindfrau Miriam?

    Auf dem Ur-Cover von Knausgårds Roman ist ein nacktes Mädchen

    Undenkbar und unfassbar erscheint heute jedenfalls, dass "Aus der Welt" wie im damaligen Original auf dem Cover das Ganzkörperfoto eines stehenden nackten Mädchens von hinten zeigte. Auf der deutschen Ausgabe ist nun die Aufnahme eines Örtchens an einem winterlichen Fjord zu sehen, vom Bruder des Autors fotografiert. Der Ort des Geschehens?

    Schreiben ist für Knausgård immer auch Ergründen des eigenen Selbst.
    Schreiben ist für Knausgård immer auch Ergründen des eigenen Selbst. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Tatsächlich jedenfalls hat jener Karl Ove Knausgård mit 26 einen Winter in jenem baumlosen nordnorwegischen Kaff als Aushilfslehrer verbracht – das wissen die Leser seiner "Mein Kampf"-Serie längst. Sie wissen von den sozialen und sexuellen Hemmnissen, auch von unmoralischen Begierden, die der Autor ausführlich zum Thema gemacht hat, sie wissen von den Eheproblemen des sechsfachen Vaters, deren öffentliche Schilderung seine damalige Frau zur Selbsteinweisung in die Psychiatrie getrieben hat. Denn das Ich, das sich in jenen Romanen schonungslos für sich und sein Umfeld offenbart, heißt wie der Autor: Karl Ove Knausgård.

    Spätestens die literarische Aufarbeitung des Todes seines Vaters, mit dem die Serie anhebt, spätestens mit dem Band "Sterben" sei, so hatte der Schriftsteller erklärt, die Aufarbeitung nur noch unter seinem eigenen Namen möglich gewesen. Und ausgerechnet mit diesem autobiografischen Schreiben nahm das Leben als Romanautor, von dem der Norweger von Jugend an geträumt hatte, dramatisch an Fahrt auf. Und gerade die Authentizität dieses Lebenszeugnisses, das wiederum zu dramatischen Verwerfungen im Leben des Autors geführt hat, war für die Wirkung dieses Schreibens essenziell.

    Knausgårds literarisches Verfahren: ein Gedankenexperiment

    Das Lehrer-Ich in "Aus der Welt" aber heißt noch Henrik Vankel, eine fiktive Figur. Und sie diente dem jungen Autor nicht etwa zum noch versteckten Eingeständnis eigener Untaten, die er später wieder verbarg – sondern zu einem ausufernden Gedankenexperiment, das dieser Roman darstellt. Knausgård nämlich lehnt seine Figur bereits durchaus stark an die eigene Geschichte an, ergründet nach dem Schildern des Missbrauchs etwa die Beziehungen, denen er selbst entstammt, die Verhältnisse seiner Großeltern, die problembeladene Ehe seiner Eltern. Das ist der eine Pol.

    Der andere sind essayistische Passagen, in denen er über die Gestalt und die Rolle der Literatur sinniert, über das Verhältnis von Schreiben und Wirklichkeit, etwa beim Schritt von Flaubert zu Joyce, aber auch über Dante und Kant. So wird das Vergehen der Parallelfigur Henrik für den schreibenden Karl Ove zum Spiegel einer Identitätsbefragung – titelgemäß auch darüber: Wie schnell fällt man aus der Welt, warum fällt man und wohin? Das ist, bei aller typischen Langatmigkeit und Detailversessenheit, wieder ein interessanter literarischer Grenzgang. Und so gar nicht skandalös?

    Nun ja, Mittel waren Knausgård für seine literarische Karriere schon immer alle recht. Und dass ihm hier der Missbrauch einer 13-Jährigen zum fiktiven Instrument wird (was ihm der Tod des eigenen Vaters nicht mehr sein konnte) und statt des Opfers der Täter in seinem Verhängnis dabei eher empathisch begleitet und familienpsychologisch sowie literaturphilosophisch beleuchtet wird, das ist durchaus eine grenzwertige Zumutung. Aber davon freilich strotzt die Geschichte des Romans. Und ja nicht ohne Grund. Die Provokation kann eine klassische Methode der (Selbst-) Aufklärung sein – und ein modernes Erfolgsrezept. Bei Knausgård ist es beides. Das macht es so grenzwertig schwer mit ihm.

    Karl Ove Knausgård: Aus der Welt. Übersetzt von Paul Berf. Luchterhand, 928 S., 26 €.

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