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Foto: Beowulf Sheehan
Foto: Beowulf Sheehan

Die Autorin Jessamine Chan legt mit "Institut für gute Mütter" einen Roman vor, der an Margaret Atwoods "Der Report der Magd" erinnert.

Literatur
03.05.2023

Im Trainings-Camp für Mütter: Jessamine Chans Roman "Institut für gute Mütter"

Von Lilo Solcher

Mutterschaft, Feminismus, Rassismus – diese Motive verstrickt Jessamine Chan in "Institut für gute Mütter" zu einer spannenden wie deprimierenden Geschichte.

Jessamine Chan regt mit ihrem nur leicht dystopischen Roman „Institut für gute Mütter“ zum Nachdenken an – und zu Diskussionen. Denn die amerikanische Autorin nimmt die aktuellen Debatten um Mutterschaft, Feminismus, Rassismus und staatliche Eingriffe ins Privatleben zum Ausgangspunkt einer ebenso spannenden wie deprimierenden Geschichte.

Es war nur ein kurzer Fehltritt, der Frida ihre Tochter und ihr Lebensglück kostet. Die alleinerziehende Mutter hat ihr Baby Harriet im Spielsitz zurückgelassen, um berufliche Unterlagen zu holen. Und weil sie wegen Harriet nächtelang kaum geschlafen hat, ist sie einfach länger weggeblieben als geplant. Zwei Stunden vielleicht. Zu lang, das weiß sie selbst. Doch sie war gestresst, versucht sie der Sozialarbeiterin zu erklären. Die hat wenig Verständnis: „Wenn Sie einfach das Haus verlassen möchten, wann immer Ihnen danach ist, sollten Sie sich einen Hund anschaffen und kein Kind.“

In "Institut für gute Mütter" beschreibt Chan das Schicksal einer Mutter

Die Frau könnte Fridas Überforderung verstehen, wenn sie nur zuhören würde. Sie könnte verstehen, dass Frida darunter leidet, dass ihr Traummann Gust sie wegen einer Jüngeren verlassen hat. Dass sie Angst davor hat, die rothaarige Rivalin könnte ihr Harriet entfremden. Doch weder die Sozialarbeiterin noch der Psychologe wollen verstehen, dass eine Frau nicht rund um die Uhr Mutter sein kann. Mütter haben hier keine Lobby.

Und so nimmt Fridas Schicksal seinen Lauf. Sie wird in eine Einrichtung eingewiesen, die sie zu einer guten Mutter machen soll. Und natürlich ist sie dort nicht allein – allerdings die einzige mit asiatischen Wurzeln. Die Mütter müssen alles abgeben, was an ihr früheres Leben erinnert, sie müssen Einheitskleidung anziehen und sich dem Drill der sadistisch veranlagten „Trainerinnen“ unterwerfen.

In Jessamine Chans Roman trainieren Mütter mit Roboter-Puppen

Um „mütterisch“ zu lernen – kindgerechte Ansprache, Geduld, Empathie, Zeitmanagement – bekommen die Frauen KI-gesteuerte Puppen im Alter ihrer Kinder. Das Ganze erinnert an Dystopien wie Margaret Atwoods „Der Report der Magd“. Emmanuelle nennt Frida ihre Puppe, zu der sie trotz innerer Abwehr nach und nach eine Beziehung aufbaut. Auch, weil ihr kaum Zeit zugestanden wird, mit Harriet zu telefonieren.

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Und dann kommt noch eine sexuelle Komponente hinzu, als die Mütter mit den Vätern einer Paralleleinrichtung elterliche Fürsorgepflicht üben sollen. Die emotional vernachlässigte Frida verliebt sich in einen der Männer auch, weil er ihr Verständnis entgegenbringt. Ein Happy End ist trotz des einjährigen Drills praktisch ausgeschlossen.

Jessamine Chan hat sich für ein dramatisches Finale entschieden. Allerdings haben bis dahin vor allem Leserinnen schon mit wachsendem Unbehagen von den so selbstverständlich wirkenden behördlichen Übergriffen gelesen und von der Empathielosigkeit der Sozialarbeiterinnen gegenüber überforderten Müttern. Mit „Institut für gute Mütter“ ist Jessamine Chan ein Roman gelungen, der unter die Haut geht.

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