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Eine erste Literaturempfehlung 2025: Wackelkontakt von Wolf Haas

Literatur

Eine erste Empfehlung im neuen Bücherjahr: „Wackelkontakt“ von Wolf Haas

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    Mit souveränem Humor und funkelnder Sprache: Wolf Haas.
    Mit souveränem Humor und funkelnder Sprache: Wolf Haas. Foto: Peter-Andreas Hassiepen

    So ein neues Jahr, mit dem verbindet man sich meist nicht gleich. Noch muss man aufpassen, nicht das Datum des vergangenen zu schreiben, die eckige vier statt der rundbauchigen fünf, und ob man sich mit diesem Jahr überhaupt anfreunden möchte, steht ja auch noch nicht fest. Die Verbindung ist also noch wackelig, aber dann liegt da eine Lektüre vor einem, die zumindest für das Bücherjahr schon einmal Bestes hoffen lässt: so schön schräg. So also darf es gerne weitergehen, wie es mit „Wackelkontakt“, dem neuen Roman des österreichischen Schriftstellers Wolf Haas, beginnt.

    Der eine liest ein Buch über den anderen – und umgekehrt

    Was ist das alleine schon für eine wunderbare skurrile Idee: Ein Trauerredner sitzt in seiner Wohnung, wartet auf einen Elektriker, der eine Steckdose reparieren soll und liest dabei ein Buch: Über einen jungen Mafioso, der im Gefängnis auf seine Entlassung ins Zeugenschutzprogramm wartet, aber eigentlich mit seinem baldigen gewaltsamen Tod rechnet, und auch der liest ein Buch: Über einen Trauerredner, der in seiner Wohnung sitzt und auf einen Elektriker wartet… Spinnt er jetzt, der Haas, möchte man Anfang fast sagen und erwartet krachendes Scheitern des bizarren Konstrukts. Um dann bestens unterhalten festzustellen: Es hält diesen irrwitzigen Roman tatsächlich zusammen.

    Franz Escher liebt Mafia-Romane und Puzzle

    Franz Escher heißt der Trauerredner mit dem doch ein wenig traurigen Leben: Leidenschaftlicher Leser von Mafiaromanen, Verfasser des nahezu unverkauften Romans „Eine traurige Angelegenheit“, süchtig nach Puzzles, ein 1000er muss es schon sein, unfähig zu Beziehungen. Er leidet quasi selbst unter einem Wackelkontakt – nie ganz verbunden mit der Welt. Was ihn nahezu verrückt gemacht hat: Dass beim Puzzle von Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ das entscheidende Stück nicht mitgeliefert wurde, der Kontaktpunkt zwischen dem Zeigefinger Gottes und Adam, sprich, die Stelle, an der der Funke überspringt. Als der Elektriker sich in seiner Küche an der Steckdose zu schaffen macht, knipst Escher gedankenverloren oder aus tief verankerter Ordnungsliebe zwei Sicherungsschalter von off auf on – und in der Küche macht es einen Rums: Die Wiederbelebung des Elektrikers scheitert, Escher hat ab sofort einem Menschen auf dem Gewissen. Kann man natürlich nicht wiedergutmachen, aber um einen kleinen Teil der Schuld abzutragen, versucht Escher sich der Witwe als Trauerredner beim Begräbnis anzudienen …

    Marko Steiner hat Spaß am Konjugieren

    Der junge Mafioso wiederum namens Elio Russo muss die Rache der Killer fürchten, die er als Kronzeuge hinter Gitter gebracht hat. Nur den Oberboss hat er verschont und auch dessen Versteck, welches er gekonnt mit allen elektronischen Finessen rundum abgesichert hat, nicht verraten – eine Art Lebensversicherung, wie sich später herausstellen wird. Als Marko Steiner mit begradigter Nase taucht er mithilfe der Staatsanwaltschaft in Deutschland unter, schlüpft energiegeladen in die neue Identität, repariert fortan Fahrräder und hat Spaß am Konjugieren: „Ich laufe, ich lief, ich werde laufen. Ich war gelaufen …“ On/off gibt es bei Elio alias Marko nicht: Bei Gabi springt in der ersten Minute der Funke über. Mit ihr und ihrem gemeinsamen Kind Ala landet er irgendwann in der österreichischen Stadt, in der ein Mann namens Escher einen Elektriker benötigt.

    Kann man so eine Idee überreizen? Brennen da einem als Autor nicht irgendwann die Sicherungen durch? Zumal Wolf Haas, der studierte Linguist, ja noch mit Sprache spielt, mit Andeutungen, mit doppeltem und dreifachem Witz. Zur Puzzleliebe kommt Franz Escher über das Geschenk einer Freundin, ein Puzzle der „Drawinghands“ des niederländischen Malers M.C. Escher, das zwei sich gegenseitig zeichnende Hände zeigt. Mit jener Freundin wird es nichts, weil Escher über dem Puzzle die Liebe vergisst, aber da wäre aktuell noch die Kollegin, die seit Jahrzehnten an ihrer kunsthistorischen Dissertation schreibt: Da geht es wiederum um den „Schnitt in der Malerei“!

    Großartig also wie Wolf Haas diesen Roman zu immer verrückteren Wendungen treibt, zwischen seinen zwei Geschichten seiner so konträren Hauptpersonen springt, sie gegen schneidet und immer enger verwebt – das Wort Zusammenpuzzeln kommt einem da kurz in den Sinn, aber für den Lesenden trifft es das nun gar nicht. Denn „Wackelkontakt“ ist kein kontemplatives Buch, sondern eher eine mitreißende Lektüreerfahrung – und die erste Empfehlung fürs Bücherjahr 2025.

    Wolf Haas. Wackelkontakt. Hanser-Verlag, 240 Seiten, 25 Euro

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