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Er schreibt über Erfundenes und Erlebtes: Sams-Autor Paul Maar wird 85

Literatur

"Ein Hund mit Flügeln": Paul Maar schreibt über Erfundenes und Erlebtes

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    Der Schriftsteller Paul Maar in seinem Arbeitszimmer in Bamberg. Am 13. Dezember feiert er seinen 85. Geburtstag.
    Der Schriftsteller Paul Maar in seinem Arbeitszimmer in Bamberg. Am 13. Dezember feiert er seinen 85. Geburtstag. Foto: Daniel Biskup

    Schon in seiner Kindheit und Jugend waren es die Bücher, die Paul Maar halfen, die Wirklichkeit erträglicher zu machen. Den Spott der Schulkameraden, die ihn wegen seines fränkischen Dialekts hänselten, den kaltherzigen Vater, der ihn im Keller übers Knie legte und mit einem abgeschnittenen Stück Gartenschlauch verprügelte. Ein wenig helfen sie ihm auch jetzt Trost zu finden. 

    Mittlerweile sind es die eigenen Werke, in deren Welt er abtauchen kann, um der unbarmherzigen Wirklichkeit zu entfliehen, mit der Maar täglich konfrontiert ist: dass seine Frau Nele, mit der er über 65 Jahre zusammenlebt, mit der er drei Kinder hat und die ihn so oft begleitete zu Lesungen, auf Buchmessen, dass diese Gefährtin seines Lebens nun "irgendwo dahinsegelt", weit weg von ihm, gefangen von einer Demenz, die sie hilflos macht.

    Sams-Autor Paul Maar feiert 85. Geburtstag

    Dabei war es Nele Ballhaus, die im letzten Gymnasialjahr in Schweinfurt in seine Klasse schneite und ihm eine neue Welt öffnete. Die Tochter aus einer Theaterfamilie, in einer Künstlerkommune auf einem Schloss lebend, unkonventionell, forsch und mutig, stand so ganz im Gegensatz zum bürgerlichen Handwerkerhaushalt, aus dem Paul Maar stammte.

    Es war eine Offenbarung für den schüchternen und in sich gekehrten Jugendlichen, der im Umgang mit seinem abweisenden Vater gelernt hatte, nur nicht aufzufallen, um keinen Unwillen zu erregen. Mit dem Sams, jenem frechen, furchtlosen und kontaktfreudigen Wesen mit den blauen Wunschpunkten, schuf sich Paul Maar als Schriftsteller später das Gegenbild zu seiner eigenen Kindheit und Jugend, das ihm darüber hinaus das angenehme Leben eines der berühmtesten Kinder- und Jugendbuchautoren bescherte. Rund 60 Bücher, 20 Theaterstücke, dazu Hörspiele und Erzählungen für Heranwachsende hat er geschrieben, die Auflagen seiner Bücher gehen in die Millionen und sind in viele Sprachen übersetzt. Aber nur der "Sams"-Autor zu sein, das machte Paul Maar auch ein wenig traurig, war ihm immer zu wenig. 

    Seine Frau Nele öffnete für Paul Maar die Welt zu Kunst und Literatur

    Die erzählerische Kraft, die in seinen Kinderbüchern steckt, kam zuletzt aber auch in dem Buch "Wie alles kam" durch, in dem er über seine geteilte Kindheit berichtet: wie er mit Mutter und Großmutter vor den Bombennächten in Schweinfurt in ein fränkisches Dorf flüchtet, in dem die Welt fast unberührt vom Krieg ist: Maar schreibt über die Freundschaften mit dem Nachbarsbuben, den Geschichten erzählenden Großvater, die Geborgenheit und Warmherzigkeit, die sein Leben in dieser Phase der Kindheit prägen. Damit ist von einem auf den anderen Tag Schluss, als der kriegstraumatisierte Vater zurückkehrt und für Paul Maar zum Schatten über seinem Leben, zum "Schreckensmann" wird. Die tiefgründige Mischung aus Heiterkeit und Melancholie, die seine Kinderbücher so einzigartig im Ton macht, sie prägt seinen "Roman einer Kindheit", wie Maar das Buch nennt. 

    Dieser Klang liegt nun wieder über den knapp 20 Geschichten, die erneut für eine erwachsene Leserschaft unter dem Titel "Ein Hund mit Flügeln" Erfundenes und Erlebtes versammeln. Jenes titelgebende Tier, das Maar neben einigen anderen Illustrationen im Buch für den Einband gemalt hat, zeichnet Herr Lampert, ein philosophischer Alltagspoet in Anlehnung an Brechts Herrn Keuner, auf ein Blatt Papier. Als er es seiner Frau zeigen möchte, entgegnet sie ihm "Welchen Hund? Ich sehe nur ein weißes Papier." Woraufhin er antwortet "Ich hätte ihm keine Flügel malen dürfen. Nun ist er davongeflogen." 

    "Ein Hund mit Flügeln": philosophische Alltagspoesie im Stil von Brechts Keuner-Geschichten

    Bisher unveröffentlichte Geschichten der letzten Jahrzehnte, die Maar in den Sinn kamen auf langen Zugfahrten oder in Nächten ohne Schlaf. Tagebuch- und Reisenotizen finden sich in dem kleinen Band, dazu Gedichte, die des Autors Gespür fürs Hintersinnige im Unsinnigen verraten: "Hundertfünfundzwanzig Dohlen/fliegen heimlich und verstohlen/um den Topf mit heißem Brei./ Hundertvierundzwanzig Dohlen/fliegen heim, um was zu holen/denn nur eine von den Dohlen,/ hat den Löffel mit dabei." Ein Aufenthalt mit anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Russland wird zum skurrilen Dramolett, die Unterhaltung eines Ehepaars am Frühstückstisch über das Konversationsgeplätscher hinweg zu einem gedanklichen Rachefeldzug. Auch in seelische Abgründe lässt Maar blicken wie in der Erzählung "Im Graben", in der die Leere aufscheint, die der Krieg in den Soldaten hinterlässt. Der genaue Blick auf die Menschen und ihre Empfindungen, die Lust am Spiel mit der Sprache, die auch seine Kinderbücher auszeichnet, sind aus jedem dieser Texte für Erwachsene herauszuhören. 

    Berührend wie kein anderes Stück in dieser Sammlung an Erinnertem, Fabuliertem und Betrachtendem aber sind zwei kurze Gedichte, die Paul Maar, der an diesem 13. Dezember 85 Jahre alt wird, seiner Frau Nele widmet. In einem heißt es: "Die Zukunft kommt/ schon morgen früh?/ Kann man die nicht verschieben?/ Ich wär so gern/ und zwar mit dir/ im Heute hiergeblieben." 

    Info: Paul Maar: "Ein Hund mit Flügeln". Fischer, 176 Seiten, 22 Euro.

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