Vor knapp zwanzig Jahren veröffentlichte die Schriftstellerin Angelika Klüssendorf den schmalen Band „Aus allen Himmeln“ in kleiner Auflage. Zehn Geschichten über eine elende Kindheit in der DDR, schonungslos erzählt. Beide Eltern trinken, Verlass ist auf keinen von beiden, die Mutter quält die Kinder gerne, der Vater plant jährlich zu Ostern seinen Selbstmord, Geld fehlt immer. Nun, zwei Jahrzehnte später, veröffentlicht Klüssendorf diese Geschichten – versehen mit persönlichen Anmerkungen – im neuen Gewand: „Risse“ ist nun als Roman ausgezeichnet, schaffte es so auch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises.
Warum aber diese nicht überarbeitete, sondern erweiterte Version? Weil Klüssendorf auch das erzählen wollte, was sie damals ausgelassen habe. Sie unterzieht die Geschichten einer autofiktionalen Überprüfung. Diese zweite reflektierende Ebene nimmt den Erzählungen etwas von ihrer unmittelbaren Wucht – und präsentiert eine eigene Geschichte: Wie sich mit der zeitlichen Distanz der Blick auf den eigenen Lebensstoff ändert, freier wird, abgeklärter. Eine Erweiterung also, aber was „Risse“ zum Lektüreereignis macht, sind die mit Härte und Brillanz vor zwei Jahrzehnten geschriebenen Erzählungen.
Angelika Klüssendorf: Risse, Piper, 176 Seiten, 22 Euro