Sie sind zum dritten Mal zur „Schauspielerin des Jahres“ gewählt worden. Was machen Sie besser als andere Kolleginnen?
LINA BECKMANN: Ich verbiete mir, darüber nachzudenken. Das bringt einen in Teufels Küche. Es gibt davon abgesehen auch Leute, die mich auf der Bühne furchtbar finden und das schreiben. Ich kann mich erinnern, als Olivia Colman im Kino so populär wurde. Ich dachte, sie bringt etwas mit, was wir lange Zeit nicht gesehen haben. Das heißt, es hat vielleicht auch mit Sehgewohnheiten zu tun, warum einem jemand auffällt oder überrascht.
Am 5. September sind Sie im ZDF in dem Film „Alles gelogen“ zu sehen. Ist man als Schauspieler bzw. Schauspielerin auch ein Lügner, weil man ja so tut, als ob?
BECKMANN:
Es fühlt sich nicht wie Lügen an, weil alle wissen, dass ich Lina Beckmann heiße und jetzt diese Rolle spiele. Gleichzeitig geht es mir darum, die Wahrheit einer Figur und eines Charakters zu ergründen.
Können Sie diese Wahrheit jedes Mal im Spiel vermitteln?
BECKMANN: Es rutscht auch manchmal weg. Gerade beim Theaterspielen gibt es Tage, wo ich merke: Mein Kopf ist gerade woanders. Es ist mir heute nicht danach, mich vor Leuten zu zeigen, und dann schummele ich ein bisschen. Unter Kollegen sagt man ‚Du hast heute die Vorstellung gestemmt.‘ Das heißt, man wühlt sich zu heftig in die Emotionen und Szenen hinein.
Sie werden für Ihren Auftritt im „Antikenmarathon“ am Hamburger Schauspielhaus gefeiert. Kann man dabei schummeln?
BECKMANN: Das erfordert eine irre Konzentration, aber auch da gab es Proben und Vorstellungen, wo ich dachte: Heute bin ich nicht in die Tiefe gekommen. Aber dann muss man in anderen Ecken suchen. Wie kann ich das anders erzählen? Wenn das Weinen nicht kommt, dann kommt es nicht. Wenn das Lachen nicht kommt, dann sucht man etwas anderes. Das sind lebendige und spannende Prozesse.
Wie tief muss man eigentlich in sich hineingehen?
BECKMANN: Es gibt verschiedene Techniken. Es kann auch funktionieren, wenn man ein Käsebrötchen isst, das weglegt und dann eine Sterbeszene spielt. Ich habe es noch nie ausausprobiert, aber mich würde es interessieren, das mal zu versuchen.
Hilft Ihnen Ihr Schauspieltalent eigentlich, etwas anderen Menschen etwas im Alltag vorzumachen?
BECKMANN: Im Alltag zu lügen und zu spielen sind zwei grundverschiedene Sachen. Wenn ich meine Nachbarin auf die Bühne stellen würde und sagen: ‚Spiel mal, dass du gerade deinen Mann beim Betrügen erwischt hast‘, würde man ihr das vielleicht nicht gleich glauben. Wenn ich ihr aber das Telefon in die Hand drücke und sage ‚Kannst du beim Arzt anrufen, und irgendwas erzählen, damit du am nächsten Tag einen Termin bekommst?‘ Dann würde das wahrscheinlich funktionieren.
Gibt es denn eine objektive Wahrheit, zu der man durch die Schauspielerei durchdringen kann?
BECKMANN: Jeder hat seine eigene Wahrheit, jedenfalls bei der Schauspielerei. Es ist spannend, wenn verschiedene Kollegen dieselbe Rolle spielen und man überprüfen kann, welche Aspekte sie an der Figur gereizt haben. Innerhalb einer Gesellschaft gibt es natürlich die Pfeiler einer objektiven Wahrheit, an die man sich halten muss. Wenn man einen Film wie „Alles gelogen“ nimmt, wo die Figur von Bastian Pastewka so tut, als sei seine Frau gestorben – dann sprengt die Figur diese Verabredung und das ist der Grund, warum wir erschrocken lachen.
In den digitalen Universen geht ja der Begriff einer Wahrheit auch schnell verloren.
BECKMANN: Absolut. Da ist man manchmal wie ein Spielball und weiß selbst nicht mehr, wem kann man glauben und wem nicht. Ich bekomme diese Links zugeschickt, dass ich irgendwelche Petitionen unterzeichnen oder Geld spenden soll, und ich kann da nur meinem Bauchgefühl folgen.
Sie haben einen 16-jährigen Sohn. Der dürfte ja noch nicht so ein entwickeltes Bauchgefühl haben.
BECKMANN: Der ist eigentlich viel geschulter als ich. Wenn ich etwas unterzeichne oder überweise, dann sagt er „warte Mama, nicht einfach so unterschreiben oder Geld senden.“
Drei Ihrer Geschwister sind ebenfalls Schauspieler geworden. Haben Sie eine Erklärung dafür?
BECKMANN: Nein. Wir haben als Kinder wahnsinnig gerne Rollenspiele gemacht und uns verkleidet. Aber andere Kinder machen das auch und werden dann Biologe oder Physiker. Jeder von uns hat ein Interesse für das Theatermetier und liest gerne Stücke, aber das haben wir alle isoliert voneinander für uns herausgefunden.
Ihre Eltern dürften aber nicht begeistert gewesen sein, als vier von fünf Kindern diese unsichere Laufbahn eingeschlagen haben.
BECKMANN: Meine Eltern haben getrennt voneinander gelebt, und ich hatte eine Hippiemama, die mich sehr stark geprägt hat. Sie hat gesagt. „Es ist schön, wenn dir gefällt, was du machst.“ Sie hat mir eine unglaubliche Freiheit im Kopf mitgegeben und liebt mich bei allem, was ich tue. Das hat mich wahnsinnig gestärkt. Mein Vater meinte einfach nur: „Schau, dass du eine Festanstellung bekommst.“ Als ich das dann studiert habe und gleich einen Job erhielt, war er beruhigt.
Kritisieren Sie und Ihr Mann und Kollege Charly Hübner eigentlich die Leistung des anderen?
BECKMANN: Wir kritisieren uns nicht gegenseitig, aber wir sprechen natürlich über die Arbeit des anderen. Wir kennen uns schon so lange und die Prozesse, die zum Ergebnis eines Films und einer Aufführung führen. Deshalb ist es toll, so nahe an jemand dran zu sein und ihm Sachen zu sagen dürfen und zu können, weil wir so viel voneinander wissen. Gerade weil ich ihn als Spieler so schätze, bin ich wahnsinnig neugierig, wie er etwas findet. Es ist toll, dass ich so jemand an meiner Seite habe.
Zur Person
Lina Beckmann ist jüngst zum dritten Mal von dem Theatermagazin „Theater heute“ zur Schauspielerin des Jahres gekürt worden. Die 43-Jährige gehört zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Am Donnerstag, 5. September, ist Beckmann im ZDF in dem Film „Alles gelogen“ zu sehen.
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