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Lesung: Franz Xaver Kroetz in der Brechtbühne in Augsburg

Lesung

Franz Xaver Kroetz in Augsburg: Beim Schreiben hat er keine Angst

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    Postdramatische Theater nervt ihn: der Dramatiker und Schauspieler Franz Xaver Kroetz
    Postdramatische Theater nervt ihn: der Dramatiker und Schauspieler Franz Xaver Kroetz Foto: Peter Fastl

    Tisch, Wein, Sakko, Streifenpullover, Turnschuhe. So sieht es aus, wenn Franz Xaver Kroetz auf der Brechbühne liest. Sein persönliches Erfolgsgeheimnis: Keine Tabus und eine Schreibmaschine. Es dauert nicht lang, die etwa 100 Zuhörer in der Brechtbühne zu fesseln. Mucksmäuschenstill ist es, während Kroetz (78) im Scheinwerferlicht liest. Wobei, eigentlich liest er nicht. Der preisgekrönte Bühnen-Autor und Kult-Schauspieler der Serie „Kir Royal“ performt. Er schlägt auf den Tisch, wischt den Schlag weg, schaut die imaginäre Frau an, die mit ihm sitzt, schaut, nickt. Kroetz spielt den Dialog, ist zugleich Regisseur, Figur und Erzähler. Er regt sich auf, grinst, lacht, flucht, liest alles mit, auch die Pausen. Das Ganze im bayerischen Dialekt, versteht sich. Er schreibt auch Dialekt, sagt er.

    Franz Xaver Kroetz fesselt die Zuschauer in der Brechtbühne

    Szene eins. Sie muss gleich weg, arbeitet beim Kaufhof. Der Mann bleibt, er hat nichts zu arbeiten, geht auf den Balkon der kleinen Wohnung, ruft den Phantom-Nachbarn Dinge zu. Keiner antwortet. „Die deutsche Wirtschaft hat keinen Durst mehr, ich bin arbeitslos. Ich muss einsehen, dass ich den Gürtel enger schnallen muss. 845 Mark Arbeitslosengeld, das ist zu viel“, monologisiert der Mann vor sich hin. Die Ehe bröckelt, sie versteht ihn, ist aber auch hilflos. Er war Lagermeister in einer Papierfabrik. Die ist jetzt zu. Er fühlt sich entwertet, steht auf dem Balkon des Hochhausblocks, beugt sich leicht vor. Ende. Weiter liest Kroetz nicht, Cliffhanger.

    Kroetz-Figuren sind keine Helden

    Auf Einladung und moderiert von der Augsburger Literaturwissenschaftlerin Bettina Bannasch liest Kroetz an diesem Abend vier Szenen aus seinem 1984 uraufgeführten Stück „Furcht und Hoffnung in Deutschland“. Insgesamt 20 solcher Szenen hat das Drama, alle drehen sich um das dramatischste Thema der 70er und 80er Jahre: Die Arbeitslosigkeit und warum eigentlich ein Mensch ohne Arbeit kein Mensch sein soll. In der Szene „Der arme Poet“ bekommt die Figur einen Anruf der kommunistischen Linken, er soll unterzeichnen und ein Gedicht für einen Aufruf schreiben. „Ich kann mir doch nicht oben die Arbeitslosigkeit hineinstecken und hinten kommt der Klassenkampf raus“, poltert der Poet am Telefon. Für die reine Propaganda lässt er sich nicht einspannen. Doch er ist – wie alle Kroetz-Figuren des Abends – kein Held. Er hat vielmehr auch Angst, wer neben ihm marschieren könnte, ob der Verfassungsschutz ihn ins Visier nimmt. Das Gesamtstück hieß 1984 „Furcht und Hoffnung in der BRD“. Schon dieses Kürzel an sich war damals schon so gut wie verfassungsfeindlich, schrieb er 1997, um es dann – um Material zum Entstehungsprozess ergänzt - unter dem Titel „Furcht und Hoffnung in Deutschland“ zu veröffentlichen. Die Vereinigung machte es möglich, „Deutschland“ zu schreiben, dafür ist er heute dankbar, sagt er. Schon der Titel ist ein Stück Zeitgeschichte.

    Auf das Thema war er, das konnte Bettina Bannasch ihm entlocken, durch Hanne Hiob, die Tochter Bert Brechts, gestoßen worden. Sie habe ihn 1975 angefragt, ob er sich parallel zu Brechts Stück „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ etwas vorstellen könne. Beim Publikumsgespräch erklären Zuhörer, die Themen seien zeitlos. Die existenzielle Not, Kommunikationsleere, Einsamkeit. Kroetz hört zu, lächelt. „Als Dramatiker hofft man ja immer, dass man für die Ewigkeit schreibt.“  

    Der Autor Kroetz hat es sogar in den bayerischen Lehrplan geschafft

    Manche sagen, Kroetz sei ein Skandalautor. Einer, der Tabus bricht, sich mit Regisseuren anlegt, die seine Stücke eigenwillig inszenieren, so wie 1972 mit Rainer Werner Fassbinder. Jedenfalls ist Kroetz einer, der es noch zu Lebzeiten in den Literaturkanon geschafft hat, wie Moderatorin Banasch erklärt. In 30 Sprachen wurden seine Stücke übersetzt, sogar in den bayerischen Lehrplan stieg er auf. Das Rezept für seine sozialkritischen Dramen und Volksstücke mit ihre derben, manchmal vulgären Sprache: „Ich habe keine Angst, beim Schreiben darf es keine Tabus geben“, erklärt er.

    Seit 20 Jahren jedoch nervt ihn - und das sei der Grund, warum er nicht mehr ins Theater geht, wie er kürzlich unserer Redaktion erklärt hatte - das postdramatische Theater. „Wenn die Inszenierung sich vom Stück löst, Videos reinbeamt, der Text in die vierte Reihe rückt - dann geht es nicht mehr darum, wie der Mensch tickt, sondern nur noch um das Drumherum.“ Die Widersprüche und die Dialektik der Stücke gingen verloren, wenn es flimmert und flackert.

    Zu vorgerückter Stunde verrät er dann noch, wie er seine über 60 Bühnenstücke produziert: Er entwickelt seine Figuren am Diktaphon, spricht die Dialoge im Gehen ein, hört sie ab  und tippt währenddessen an der Schreibmaschine. „Ich habe natürlich auch einen Computer. Aber man tanzt an der Schreibmaschine nicht so hin und her. Also arbeitet man konzentriert. Der Text muss gleich richtig rein, denn ganze Sätze durch-x-en, dazu hast du keine Zeit und keine Lust.“

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