Hervorgegangen aus der Geschichte der zuletzt in Leitershofen beheimateten Galerie Oberländer, setzt der dortige Kunstraum am Pfarrhof zunehmend neue Akzente durch jüngere Künstler. Jetzt zeigt die zwanzigste Schau der Ausstellungsvilla vertieft Arbeiten der zwei ehemaligen Münchner Kunstakademisten Judith Grassl und Youngjun Lee, die schon einmal bei einer Gruppenausstellung im Kunstraum vertreten waren.
Judith Grassl, bald 40, war Studentin der Professoren Axel Kasseböhmer und Anke Doberauer; Youngjun Lee, bald 42, von Markus Oehlen. Renommierte Lehrer jeweils – was das notwendige Galeristen-Wagnis, sich für Werke noch nicht arrivierter Künstler einzusetzen, relativiert. Bedeutsamer freilich bleibt, ob der einsame Atelier-Einsatz nach beendetem Studium Ergebnisse zeitigt, die als eigenständig, originär, souverän zu betrachten sind.
Judith Grassl ist bereits weit fortgeschritten
Judith Grassl, geboren in Bad Reichenhall, ist bereits weit fortgeschritten auf dem Weg zur souveränen Künstlerin. Stilistische Traditionslinien, auf denen sie sich bewegt, bleiben noch erkennbar, doch sie sind nach Einverleibung weiterentwickelt, neu in Bezug gesetzt, durch sorgfältig- langsame, reflektierende Auseinandersetzung gleichsam „verdaut“. Grassl erschafft neue Ansichten, in denen sich Zweidimensionalität und illusionistische Dreidimensionaliät verschränken: Hier wirft sich eine scharfkantige Fläche plastisch auf, dort reduziert sich ein Raum-Gefüge zu planem Feld. Perspektivischer Wiederspruch tritt in ihrer Acryl-Malerei auf, dazu der Austausch von Bildebenen, also ein Spiel mit „Davor“ und „Dahinter“. Rene Magrittes Surrealismus trägt Früchte – ohne kopiert zu sein.
In diesen (Schein-)Räumen begegnet uns ein sparsames Interieur, abgeleitet zumeist aus der Motivik des Stilllebens. Früchte, Pflanzen, Flasche/Vase, auch das kleine (Wand-)Bild im Bild. Dabei verschränken sich abermals Zweidimensionalität und illusionistische Dreidimensionalität: Zwar winden sich die Pflanzenblätter im Raum, doch künstlich, wie eine ausgeschnittene Folie. Die Früchte werfen Schatten und wirken doch – zumal, wenn sie schweben – wie flächige Collage-Implantate. Flasche/Vase sind angeschnitten im Umriss, gemalt Plastisches derart unterminierend. Gleichzeitig aber kann ein breiter Farbpinselstrich skulpturale Gestalt in Form gewellter Strähnen annehmen. Lauter Irritationen im irritierenden Raum. Auch Hans Arp und seine organischen Flächen spielen in die Kunst der Judith Grassl mit hinein.
Bemerkenswert hat sich auch Youngjun Lee entwickelt
Wie ihre eigene Welt nun entsteht, darf hohes Interesse beanspruchen. Grassl skizziert zunächst, wobei sie sich kaum erkennbar auch von Details historischer Malerei inspirieren lässt: von der weißen Lilie als Symbol der Unschuld Marias, von deren Haar, von der Lanzenwunde des Gekreuzigten, von Früchten in der Hand Adam und Evas. Deutlicher erkennbar bleibt ihr zweiter Arbeitsschritt, das Umsetzen ihrer Skizze in ein tatsächliches, plastisches Modell. Dieses Modell fließt als Abbild dann schließlich in ihre Malerei ein. Damit gibt es Verbindungen zur Arbeitsweise eines dritten Künstlers, zu Thomas Demand, den Fotografen, der Realität nachbaut im Modell und ablichtet. Grassl hat sich mit seiner Arbeitsweise sowohl theoretisch wie praktisch auseinandergesetzt. Das präzis Ausgeklügelte, das präzis Artifizielle: Es spielt hier wie dort – bei unterschiedlichem Endergebnis – eine Rolle. Jedenfalls gilt, dass Judith Grassl unter den vielen Stimmen junger Kunst zu einer formvollendeten ästhetischen Aussage gefunden hat. Wie das weitergehen wird, bleibt unbedingt zu beobachten…
Bemerkenswert entwickelt hat sich auch Youngjun Lee seit seiner Teilnahme an einer Leitershofer Gruppenausstellung 2023. Die Malschichten in Überlagerung, wie sie auch sein einstiger Professor pflegt, sind nicht aufgegeben, aber nun eigengesetzlich umgesetzt. Wie bei Grassl rätselt der Betrachter mitunter über die Hierarchie der Bildebenen. Was ist Vorder-, was ist Hintergrund? Sind seine farbigen Linien, Bänder, Schlaufen, die Assoziationen auch an Kalligraphie wecken, freigelegt oder appliziert? Der Raum tritt vor, der Raum tritt zurück. Das ist in Kolorit, Form, Technik so reizvoll wie raffiniert. Und doch hat es vorerst noch Bedenkenswertes an sich: Das All-Over seiner Farbgeflechte wirkt mitunter wie ein Ausschnitt, Detail aus einem gewagt modernen Stoffmusterbogen. Und dies rückt Lees Arbeit in die Nähe auch des Dekorativen.
Ausstellungsdauer: bis 26. Januar. Öffnungszeiten: donnerstags von 17 bis 20 Uhr, Samstag/Sonntag von 15 bis 18 Uhr.
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