Wer vom Königsplatz her kommend die Gögginger Straße entlang läuft, der stößt beim Kongress am Park unweigerlich auf eine Unterführung hin zur Tram-Haltestelle. Ein kalter, schmuckloser und doch zweckdienlicher Ort; garantiert keiner, der zum Verweilen einlädt. Doch wer jüngst die Treppe hinunterstieg, fand die sonst triste Umgebung mit erstaunlich viel Leben angefüllt vor. Vorbei an der begrünten, außer Betrieb genommenen Rolltreppe blickt man auf ein neues Schild, das den Trubel erklären hilft. Über dem Namen des Straßenbahnhalts lässt man wissen, hier geht’s zur „Kunsthalle UG“.
Denn für einige Monate ist der Raum verwandelt zur Galerie. Bereits zum vierten Mal findet dieses Format des Schöne Felder Vereins statt, doch diesmal unter neuen Vorzeichen. Die beiden Kuratorinnen Anni von Rudzinski und Mara Weyel, zuvor selbst Ausstellende, haben sich ein Motto gegeben passend zum Setting: „untenrum“. Das lässt massig Raum für Interpretation, der von den 21 Künstlerinnen und Künstlern voll ausgereizt wurde, mal sexuell, mal subversiv politisch, oft genug beides.
Kabinett der Schamlosigkeiten – „untenrum“ lotet Tabugrenzen aus
Auch die eingesetzten Mittel umspannen ein weites Feld – von Fotografie über Menstruationsblut auf Papier bis zur überdimensionierten Plüschfigur. Die Schaukästen sind übervoll vom Ideenreichtum der Augsburger Szene. Zur Vernissage war sogar Performance-Kunst zu bestaunen: Neben Glühweinstand und DJ Irie an den Decks verkroch sich Aline Weyel in mehreren am Boden liegenden und ineinander gestülpten Schlafsäcken. Man mag es vielleicht geschmacklos finden, Obdachlosigkeit so in Szene zu setzen, doch eigentlich ist ja genau das der Knackpunkt des Formats: Die Bilder, die sonst in stiller Übereinkunft einer Mehrheitsgesellschaft beiseitegeschoben werden, bekommen im Abseits selbstbewusst und selbstverständlich ihren großen Auftritt.
So die Arbeiten von Eva Krusche und Mia Wilkinson, letztere aus Großbritannien angereist. Beide zeigen sie eine als weiblich erscheinende Figur beim, nun ja, Wasser lassen, ohne das ästhetisch zu skandalisieren. Die Bilder behaupten eine Enttabuisierung, die so bestimmt noch nicht mehrheitsfähig ist. Paul Englmeier schlägt in eine ähnliche Kerbe. Sein zwar technisch eher anspruchsloses Werk „diplomatie lebt von leisen tönen“ nimmt einen der größten Schaukästen in Anspruch – für einen Furz. Aber wie heißt es im Englischen so schön, „A good fart joke is like a breath of fresh air.“
Nicht alle kommen sie aber so obszön daher. Künstlerin und Grafikerin Larry Lenz hat sich dagegen für eine Formenstudie entschieden: ein Blasen bildender Kunststoff vor der blanken spiegelnden Rückwand im Schaukasten. Ein wenig scheint er unter dem Einfluss der schummrigen und doch gnadenlosen Unterführungsbeleuchtung zu wabern. Laura Jungfer, einigen bereits selbst als Kuratorin der Galerie Strömung bekannt, hat sich dagegen für Understatement entschieden. Hier hängt eine Person, nicht zu identifizieren, aber doch gut sichtbar unter dem Tisch. Sie möchte nicht gefunden werden, wofür die Unterführung tatsächlich eine gute Wahl ist.
Die Unterführung am Kongress bietet auch Raum für politische Kunst
Die Ausstellung „untenrum“ zeigt aber nicht nur künstlerische Arbeiten. Die von Samira Rauner ist mehr politisches Statement und ihre Fotocollage mehr Vehikel, um Vorbeigehende auf den beigefügten Text und Audiospuren von Interviews aufmerksam zu machen. Ihr Thema ist Pornografie, also deren weit verbreitete und viel gesehene Formen, die nur ganz bestimmte männliche Fantasien bedienen oder sie erst schaffen und im Kern sowohl frauen- als auch lustfeindlich sind.
Dass solche Beiträge stattfinden, ist nicht zuletzt auch dem geschuldet, wie die Kuratorinnen von Rudzinski und Weyel nach ihnen suchten. Gerade einmal eine Woche vor Ausstellungsbeginn suchten die beiden über Instagram per offener Ausschreibung nach Künstlerinnen und Künstlern. Trotz der kurzen Frist gab es über 50 Einreichungen. Auch ohne Quote befinden sich unter den am Ende 21 Ausstellenden nur drei der sonst in der Kunstszene allgegenwärtigen Männer. Ob das am Motto lag, dem Format oder dem Ausschreibungsprozess? Bei „untenrum“ greift sowieso alles ineinander und sorgt für viele schöne Überraschungen.
Info: Die Ausstellung „untenrum“ ist bis ins Frühjahr 2025 in der „Kunsthalle UG“, der Fußgängerunterführung an der Tram-Haltestelle Kongress am Park zu sehen. Im Frühjahr folgt am selben Ort das nächste Projekt des Schöne Felder Vereins. Wer die Arbeit des Vereins kennen lernen möchte, der kann auch der Einladung zum Open Haus in die Ausstellungsräume am Milchberg 15 nachgehen. Am 12. Oktober ab 16 Uhr sind hier Werke vieler weiterer Künstlerinnen und Künstler zu sehen.
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