Kunst zum Eintauchen liegt im Trend: Im Zentrum steht oft ein populärer Künstler wie Claude Monet oder Salvador Dalí, sein Werk wird in riesigen Ausstellungshallen als Farbenspiel an die Wände projiziert. In den aufwendig inszenierten Shows zu Musik wird manchmal auch die Biografie der Künstler filmisch erzählt. Die Besucherinnen und Besucher von sogenannten immersiven Ausstellungen sollen Teil der Inszenierung werden und sich ganz dem Rausch der Bilder hingeben. Ist dies Entertainment oder ein neuer Zugang zur Kunst? Machen die Shows privater Veranstalter herkömmlichen Museen Konkurrenz oder lassen sich auf diese Weise mehr Menschen für Kultur begeistern?
In Dortmund hat das Phoenix des Lumières im ersten Jahr nach der Eröffnung bereits mehr als 530.000 Besucherinnen und Besucher angezogen, derzeit läuft hier eine Schau mit Werken von Salvador Dalí und Antoni Gaudí. Es handelt sich um den ersten deutschen Standort des französischen Unternehmens Culturespaces, das international digitale Kunstzentren gründet. "Wir versuchen immer, das Erlebnis von Kunst und Musik mit historischer Architektur zu verbinden", sagt der Direktor des Phoenix des Lumières, Renaud Derbin. In Dortmund ist es die 5600 Quadratmeter große Gasgebläsehalle des ehemaligen Hochofenwerkes, in Amsterdam ebenfalls eine alte Fabrik und in Bordeaux ein ehemaliger U-Boot-Stützpunkt aus dem Zweiten Weltkrieg.
Port des Lumières in der Hafencity
Im Frühjahr soll in Hamburg das Port des Lumières in der Hafencity öffnen. Der leuchtende Hafen werde dann eine etwas andere Atmosphäre haben als die Standorte der Industriekultur, sagt Derbin. "Es gab immer wieder Skepsis von Leuten aus dem Kunstbereich uns gegenüber", sagt der französische Kulturmanager. Doch schon jetzt sei das Phoenix des Lumières als einer der meistbesuchten Kulturstandorte in Dortmund akzeptiert. "Wir haben auch Kooperationen mit traditionellen Museen und werden eher als Ergänzung statt als Konkurrenz gesehen", betont Derbin.
Neuer Zugang zur Kunst oder Spektakel?
"Es hängt sicherlich davon ab, wie diese Shows gemacht werden", sagt Reinhard Spieler, Vorstandsmitglied im Deutschen Museumsbund. "Natürlich können sie didaktisch gut aufbereitet sein und am Ende zu einem Museumsbesuch anregen. Die bisherigen Angebote sind aber eher auf Überwältigungs- und Bombast-Effekte als auf Bildung und Vermittlung angelegt", kritisiert Spieler, der auch Direktor des Sprengel Museums Hannover ist. Ihn erinnerten die Shows an 3D-Kinos, die es früher auf Jahrmärkten oder in Erlebnisparks gegeben habe, sagt der Museumsdirektor.
Die immersiven Ausstellungen funktionieren vor allem in großen Hallen mit hohen Decken. Die Höhe sollte mindestens 6,50 Meter sein, sonst wirke alles zu gedrungen, sagt Nepomuk Schessl, Produzent der Show "Monets Garten", die derzeit in Hannover, Frankfurt am Main, München und Stockholm in Schweden zu sehen ist. Eine Million Menschen sind dem Produzenten zufolge bereits in "Monets Garten" eingetaucht. Die Besucherinnen und Besucher können sich per Selfie in ein Monet-Bild versetzen, selbst Seerosen zeichnen oder über die Brücke in den Garten des 1926 gestorbenen Malers gehen. Die Blumen hier sind aus Plastik, dennoch wird in diesem Bereich Rosenduft verströmt.
Schessl ist Geschäftsführer der in München ansässigen Alegria Exhibition GmbH. Mit "Viva Frida Kahlo" (aktuell in Berlin) und "Tutanchamun" (derzeit Wien, Hamburg, Stuttgart) hat sein Team ähnliche Ausstellungen über die mexikanische Malerin und den ägyptischen Pharao konzipiert. Monet biete sich für eine immersive Ausstellung besonders gut an, weil er sich vom Objekt gelöst und seine Bilder diffus gehalten habe, sagt der 34-Jährige. Das Werk von Pablo Picasso eignet sich aus Schessls Sicht beispielsweise dagegen weniger gut für das Konzept der Kunst zum Eintauchen.
Erstmals gastiert "Monets Garten" in Hannover in einem Zelt auf dem Schützenplatz, auf diese Weise will das Unternehmen die digitalen Shows als Wanderausstellungen auch in Städte ohne geeignete Location bringen. Dresden und Freiburg im Breisgau sind weitere Stationen der Schau im Zelt.
Gebäude mit besonderer Atmosphäre
Besonders reizvoll seien Gebäude mit besonderer Atmosphäre, etwa in einer ehemaligen Bank an der Wall Street in New York oder in einer früheren Markthalle aus der Zeit um 1900 in Wien, sagt Schessl. Die Eintrittspreise für die immersiven Ausstellungen sind oft etwa doppelt so hoch wie in staatlichen Einrichtungen. "Wir finanzieren uns aber selber und sind nicht wie öffentliche Museen zu 50 Prozent und teilweise sogar zu 80 Prozent subventioniert", gibt der Produzent von "Monets Garten" zu bedenken. Der Kulturmanager sieht die immersiven Ausstellungen als "ganz neues Genre", das noch großes Potenzial habe. Möglich seien weitere Themen aus der Kulturgeschichte abseits der Malerei.
Videoprojektionen könnten nicht Originale ersetzen, sagt Schessl: "Wir sprechen ein breites Publikum an und begeistern die Menschen erst einmal für einen bestimmten Künstler, für die Malerei, für die Kultur. Wenn wir das geschafft haben, soll die Person dann ins nächste Museum gehen, wo ein Original von Claude Monet hängt, und sich in dessen Zauber vertiefen."
Welche Faszination Originale großer Künstler ausüben, erlebt zum Beispiel derzeit die Hamburger Kunsthalle. In den ersten sechs Wochen der Mitte Dezember eröffneten Ausstellung "Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit" kamen laut Kunsthalle bereits mehr als 125.000 Besucherinnen und Besucher. Die noch bis zum 1. April laufende Schau ist laut Museum die umfangreichste Werkschau des bedeutendsten Künstlers der deutschen Romantik seit vielen Jahren.
(Von Christina Sticht, dpa)