Würde in Samuel Becketts „Warten auf Godot“ tatsächlich der liebe Gott auftauchen, er müsste so aussehen wie James Turrell. Mit seinem schlohweißen Haar und dem dichten Bart wirkt dieser Künstler wie die menschenfreundliche Version von Michelangelos Allmächtigem. Und irgendwie pfuscht Turrell ja auch in dessen Handwerk.
„Es werde Licht“, heißt es in der biblischen Genesis, beim Schöpfergott genügt so ein Spruch, während die Sterblichen dafür schon einiges erfinden müssen. Erst recht, wenn daraus ein magisches Leuchten werden soll wie bei James Turrell, der an diesem Samstag 80 Jahre alt wird und überhaupt nicht daran denkt, seine immer neuen Licht-Raum-Installationen langsam runterzudimmen.
Der tief gläubige Turrell bezieht sich auf mittelalterliche Mystik
Von Argentinien bis Vorarlberg und von Uruguay bis Berlin ist er überall auf der Welt gefragt, da legt man nicht einfach die Hände in den Schoß. Und schließlich ist sein Opus magnum noch gar nicht vollendet. Seit 1974 gräbt Turrell sich mitten in der Wüste von Arizona durch einen erloschenen Vulkan, den „Roden Crater“. Dabei entstehen Gänge, Kammern, Schächte und astronomisch berechnete Öffnungen, durch die man den Himmel und dieses kaum fassbare Schauspiel von Mond, Sonne und Sternen auf ganz besonders intensive Weise erleben kann.
Das hat ihn immer schon fasziniert. Nie konnte es weit genug hinaufgehen, deshalb hat der Sohn einer Quäkerfamilie aus Los Angeles mit gerade mal 16 Jahren den Flugschein gemacht. Dort oben gibt es keine Grenzen, das ist letztlich auch ein Prinzip seiner Kunst. Wer im Diözesanmuseum in Freising die neue Kapelle oder „Chapel for Luke and his Scribe Lucius the Cyrene“ betritt, verliert bald die Orientierung zwischen sanftem Gelb, Rosarot, Lila, Grün und unzähligen Zwischentönen. Wo die Räumlichkeiten enden, ist sowieso nicht mehr auszumachen. So muss sich die Unendlichkeit anfühlen, von der Meister Eckhart schwärmt: Gott sei mit ewigem Licht verbunden. Und der tief gläubige Turrell bezieht sich immer wieder auf den mittelalterlichen Mystiker.
Der studierte Psychologe Turrell tüftelt an seinen Inszenierungen
Für den Zauber des Künstlers ist freilich ein bisschen mehr nötig, Technik nämlich. Also begann Turrell mit Diaprojektoren zu experimentieren und dazu mit geöffneten und verdeckten Fenstern den Lichteinfall zu regulieren. Die Kommilitonen fassten sich an den Kopf. Doch der studierte Mathematiker und Psychologe hat so lange an seinen Inszenierungen getüftelt und gefeilt, bis sie für das menschliche Auge zum Geheimnis wurden.
Wie aus dem Nichts leuchtet farbiges Licht, wechselt die Nuancen und die Intensität, nichts flackert, es gibt weder Zäsuren noch Einsprengsel, und wenn, dann erfindet sie die Netzhaut, respektive das Gehirn. Weder Kabel noch der Ursprung dieses Abrakadabra dürfen wahrzunehmen sein. Irgendwann hört man auch auf zu suchen, überlässt sich diesem Mysterium, angeschickert, torkelnd, betört und entrückt. Wer braucht da noch Drogen, wenn es so dermaßen clean geht?
Turrells zeigt seine Kunst in den Swarovski Kristallwelten
Auf der anderen Seite müssen die öffentlichen Sammlungen zusehen, dass die Besucher in diesen Turrellschen Lichtbädern, der Meister spricht von „Ganzfeldern“, sicher sind. In Freising stehen Museumsmitarbeiter am Eingang und fangen Schwankende auf. In den Swarovski Kristallwelten in Wattens nahe Innsbruck, wo „Umbra“ wie eine sich öffnende Wunderkammer funktioniert, hat man den breiten Ausgang im Rücken – und eine Bank. Die Aufsichten müssen hier eher achtgeben, dass niemand nach vorn über eine dezente kniehohe Abgrenzung stolpert oder bewusst drübersteigt, um einfach mal nachzusehen, wo diese nahen und doch so fernen Leuchtquellen sitzen.
Turrell lässt sich nicht gerne in die Karten blicken. Hauptsache, die Kombination aus Lichtwellen und architektonischen Tricks flutscht reibungslos. Und während die handverlesenen, mit mindestens einer 5000-Dollar-Spende zugelassenen Besucher im „Roden Crater“ von einem „lebensverändernden Ereignis“ jubeln, fühlen sich andere geradezu erotisiert. In der Turrell-Schau in Hannover wurden Paare mit schöner Regelmäßigkeit beim Sex überrascht. Selbst die Installation von Kameras konnte das nicht verhindern.
Eine Wanderung zu James Turrells "Skyspace" am Tannegg
In 1700 Metern Höhe kommt man eher nicht auf solche Ideen. Vor ein paar Wochen noch war es in Oberlech am Arlberg eisig kalt, und man brauchte schon ordentliches Schuhwerk, um durch den Schnee zum „Skyspace“ am Tannegg zu wandern. Die Kuppel des ovalen, in den Hügel eingelassenen Hauptraums kann geöffnet werden. Und kurz vor Sonnenauf- und nach Sonnenuntergang tauchen Wände und Decke in farblich wechselndes Turrell-Licht. Der Himmel rückt zum Greifen nah, das imaginäre Raumschiff hebt leise ab.
Und wenn dann noch echter Schnee durch die Luke fällt, kann es keine Steigerung mehr geben. Zumindest nicht in den Bergen. Das mag in der Abgeschiedenheit von Arizona anders sein. Nicht ohne Grund baut sich der liebe Gott mit dem Cowboyhut genau hier seine Lichtkathedrale. Ein Ende ist nicht in Sicht, aber 80 für einen Magier auch kein Alter.
Info: Diözesanmuseum Freising: "Chapel for Luke", Di bis So 11 – 12 und 14 – 15 Uhr, www.dimu-freising.de; Swarovski Kirstallwelten: „Umbra“ täglich 9 – 19 Uhr, www.kristallwelten.swarovski.com; Lech am Arlberg: „Skyspace Lech“ bis 31. Mai 9 – 18, Juni bis Ende November 1 Stunde vor Sonnenaufgang bis 1 Stunde nach Sonnenuntergang, www.skyspace-lech.com.