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Kunst: Einflussreich bis über den Tod hinaus: Zu Pablo Picassos 50. Todestag

Kunst

Einflussreich bis über den Tod hinaus: Zu Pablo Picassos 50. Todestag

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    Der Künstler Pablo Picasso ließ sich am 23. Oktober 1953 in seinem Atelier in Vallauris (Frankreich) ablichten.
    Der Künstler Pablo Picasso ließ sich am 23. Oktober 1953 in seinem Atelier in Vallauris (Frankreich) ablichten. Foto: Picture-alliance

    Natürlich musste auch er noch in die MeToo-Debatte geraten, 50 Jahre nach seinem Tod. Dazu war er viel zu sehr eine Galionsfigur spanischer Potenz gewesen, ein genuiner Macho, der die Frauen zielgerichtet einerseits anhimmelte, andererseits bedrängte, angriff, auslaugte. Diese Haltung umreißt jedoch nur eines jener Kampffelder, auf denen Picasso über Jahrzehnte hinweg als ein Stier agierte – und für das er noch posthum kritisiert wurde. Zusätzliche Fronten taten sich ihm auf: das verhasste Franco-Regime in seiner spanischen Heimat; sämtliche Gegner des Kommunismus, dem er bekennend anhing; vor allem aber die Masse derer, die ihn beharrlich als künstlerischen Scharlatan, künstlerischen Hochstapler betrachtete. Noch in den 1960er Jahren, da war er längst schon in die Kunstgeschichte eingezogen, wurde er vom Volk auf der Straße als ein "Schmierfink" bezeichnet. Bekannt zwar, ja berühmt, reich, umworben, aber eben ein "Schmierfink". 

    50 Jahre nach seinem Tod: Wer war dieser Pablo Picasso?

    Die Angriffsflächen, die Picasso scheinbar oder tatsächlich bot, sie vermengten – wie es schlechter alter Brauch ist – die Biografie des Künstlers mit seinem Werk und dessen laienhafter Einschätzung. Und zwischen allen ausgehobenen Gräben stand ein berserkerhafter Maler, Bildwerker, Grafiker, Keramiker, der breitschultrig mit seiner Weltsicht nicht hinter dem Berg hielt – bis sich eine letzte Front für ihn auftat, die physischen Begrenzungen des Alters, unter denen er in Südfrankreich litt. Mit dem 8. April 2023 aber ist Picasso nun 50 Jahre tot, womit sich – über die Bewertung seines Privatlebens hinaus – auch die Fragen stellen: Was alles hat dieser Mann durch sein Werk mit seinen vielen Richtungswechseln angestoßen? Wie hat er die Kunstgeschichte vorangetrieben? Woran ist das zu sehen? 

    Die Antwort führt maßgeblich auch in die USA. Mochte sich Picasso in der Alten Welt mit den Altvorderen auseinandersetzen, also mit seinen Landsmännern El Greco und Goya beispielsweise, dazu mit Manet und Cezanne: Wesentliche Entscheidungen, die seine Übervater-Position in der Kunstgeschichte beeinflussten, wurden in den

    "Guernica" gilt als Picassos größtes, bedeutendstes Werk

    Bis dahin freilich war es ein langer Weg. Frühe Großkäufer von Picasso waren jedenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris das amerikanische Geschwisterpaar Leo und Gertrude Stein, sie, die Schriftstellerin und Verlegerin, er der Kunstkritiker. Durch beide, sowie amerikanische Bekannte und Freunde, die nach

    Gertrude Stein schrieb bereits 1912 für eine amerikanische Zeitschrift über den 31-jährigen Picasso; Werke von ihm waren dann erstmals 1913 als Leihgaben Leo Steins bei der Armory Show in New York zu sehen – neben Kandinsky und Duchamp. Das beförderte erheblich die Reise- und Kauflust kunstsinniger Amerikaner gen Paris zu Steins Salon mit den Anfängen der europäischen Moderne.

    Zeitensprung. Picasso hatte mit Les Demoiselles d'Avignon (1907) als Schlüssel- und Hauptwerk seine analytische und auch synthetische Kubismus-Phase längst hinter sich, dazu seinen Ausflug in den Surrealismus, hatte auch das monumentale Antikriegsbilds "Guernica" als Chef d'oeuvre seiner mittleren Schaffensperiode (1937) vollendet, als 1939 in New York die bis dato umfassendste Picasso-Ausstellung im Museum of Modern Art eröffnet wurde – präsentierend auch die frisch erworbenen "Demoiselles" sowie "Guernica" als ein von Picasso auf Zeit in die Emigration geschicktes Bild. 

    Picasso galt als Synonym für moderne europäische Kunst

    Die Schau wanderte durch viele Städte Amerikas und schlussendlich galt Picasso als Synonym für moderne europäische Kunst. Mehr noch: Aufstrebende Maler richteten sich nach ihm aus, arbeiteten erkennbar unter dem Einfluss seines Werks, speziell unter Einfluss der "Demoiselles" und des "Guernica"-Bildes, insbesondere Willem de Kooning, aber auch dessen Künstlerfreunde Arshile Gorky und Jackson Pollock sowie Robert Motherwell. Picassos Kubismus mit seinen Multiperspektiven und seine surrealistische Phase regten diese US-Künstler besonders an, bevor sie – Gorky nahm sich 1948 das Leben – zu Hauptvertretern des abstrakten Expressionismus bzw. des Action Painting wurden. Die Instanz Picasso galt es abarbeitend zu überwinden.

    Und das betraf auch die nächste Generation. Roy Lichtenstein etwa, Andy Warhol und Robert Longo. Lichtenstein führte in den 1960er Jahren solche Picasso-Figurationen wie Dora Maar mit seinem gezoomten Comic-Heft-Stil eng und nutzte die starken Konturen beider Bildwelten; Warhol entwickelte einen Zeichenstrich, der ebenfalls auf Picassos geniales Erfassen von Silhouette/Umrisslinie zurückzuführen ist (man betrachte die lang belichteten Fotos von Picassos "Luft-Zeichnungen" mit Taschenlampe); Longo wiederum schuf – unter etlichen Künstlern weltweit – eine Paraphrase auf "Guernica", bei der diese Panorama-Komposition durch dunkle, senkrechte Streifen durchbrochen wird, also mit der Vorstellung des Gemäldes im inneren Auge ergänzt werden muss. 

    Erinnerungen an Picasso, zu seinem 50. Todestag

    Gut möglich, dass "Guernica" in seiner Grisaille-Klage gegen Not, existenziellen Schrecken und Todesangst das in der Geschichte meistzitierte Werk Picassos ist – neben dem Motiv seiner Friedenstaube. Als "Guernica" zwischen 1937 und 1939 in Skandinavien und England gezeigt wurde, veranlasste Picasso, dass die Eintrittsgelder der Betrachter den Opfern des spanischen Bürgerkriegs zugutekommen. 

    Im Übrigen setzt sich die Aneignung Picassos fort: Wer etwa bei der letzten venezianischen Biennale die jüngsten Arbeiten der US-Künstlerin Christina Quarles (*1985) sah oder derzeit im Hamburger Bahnhof von Berlin betrachtet, der begreift Picassos Einfluss auf Körperlinie und Multiperspektive bis heute, bis zu seinem 50. Todestag. 

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