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Kunst: Ausstellung in Wien: Ai Weiweis Stinkefinger schockt keinen mehr

Kunst

Ausstellung in Wien: Ai Weiweis Stinkefinger schockt keinen mehr

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    Zum Markenzeichen ist diese Geste im Werk des chinesischen Künstlers Ai Weiwei geworden, hier in „Study_of_perspective – Eiffel Tower“.
    Zum Markenzeichen ist diese Geste im Werk des chinesischen Künstlers Ai Weiwei geworden, hier in „Study_of_perspective – Eiffel Tower“. Foto: Mischa Nawrata

    Am Anfang war das F-Wort. In Ai Weiwei sitzt nicht nur der ständige Widerspruch, sondern genauso dieses „Ihr könnt mich mal kreuzweise“. Freundlich ausgedrückt. Wo er Verwerfungen oder Ungerechtigkeit sieht, kritisiert er harsch und rührt dabei oft genug in den Wunden der Gesellschaft. Oder an der Achillessehne einer autoritären Obrigkeit. Das hat ihm in seiner Heimat China Verfolgung und Gefängnis eingebracht. Und selbst im Westen, wo er lange euphorisch gefeiert wurde, mehren sich die genervten Stimmen.

    Der chinesische Starrkünstler Ai Weiwei teilt nach allen Seiten aus

    Ai ätzt nach allen Seiten. Und so gab es zum Auftakt seiner Superschau „In Search of Humanity“ in der Albertina Modern Dresche auf ein „scheinheiliges Europa“, das zwischen Flüchtlingen aus Syrien und der Ukraine einen schwerlich zu übersehenden Unterschied macht. Nur tut das in Wien so wenig weh wie das „FUCK“, das nun quer durch den zentralen ersten Raum leuchtet. Und selbst der Stinkefinger kann keinen mehr schocken.

    Zu provozieren ist überhaupt schwierig geworden. 1995 war der erhobene Mittelfinger am Platz des Himmlischen Friedens freilich eine riskante Sache und ein „hart erkämpftes Manifest aus dem Stegreif“, wie Ai in seinen Erinnerungen „Tausend Jahre Freud und Leid“ schreibt. Die radikale Abscheu gegenüber dem Staatsapparat ist bekanntlich nicht ohne Grund. Sein Vater Ai Qing, der zu den bedeutendsten Lyrikern Chinas zählt, galt Mao Zendongs Kulturrevolutionären als verräterischer Abweichler.

    Die Retrospektive "In Search of Humanity" zeigt 140 Objekte des chinesischen Starkünstlers Ai Weiwei

    Erst nach dem Tod Maos 1976 kommt die Rehabilitierung des Vaters, und zwei Jahre später kann Ai Weiwei auch schon an der Filmakademie in Peking studieren. Doch die Demütigungen sitzen tief, Ai bleibt auf Distanz, wechselt 1981 nach New York, und mit Street-Fotografien aus jener Zeit beginnt dann auch die mit 140 Objekten wahrscheinlich größte Retrospektive dieses omnipräsenten Starkünstlers. Die Bilder zeigen einen suchenden jungen Kerl, der in das Leben der US-Metropole eintaucht, staunt, genau beobachtet, sich eine Art visuelles Tagebuch zusammenknipst und dabei ein Faible für Straßenabsperrungen, Polizeikontrollen und Verhaftungen entwickelt.

    In dieser Phase der Orientierung – Ai geht auf die 30 zu – experimentiert er mit der künftig für ihn bestimmenden Konzeptkunst, mit dem Minimalismus, Dada, mit der Pop-Art Andy Warhols, und er kreiert Readymades à la Marcel Duchamp. Zudem arbeitet sich Ai an Mao ab. Das reicht vom Triptychon, an dem die Farben herunterrinnen wie mit Beuteln beworfen, bis zum fotorealistischen Plakatkonterfei, bei dem er billiges Wellblech als Malgrund vortäuscht.

    Ai Weiweis Kunst ist Haltung

    Kunst ist Leben und mehr noch Haltung. Das wird in den New Yorker Jahren zum Credo dieses Künstlers, für den die handwerklich minutiöse, teils sehr ästhetische Ausarbeitung als eine Art Markenzeichen mit dazugehört. Das behagt den Sammlern, während er zugleich auch die Frage nach dem Wert stellt. Jeder kennt die Fotografien, auf denen Ai Weiwei 1995 eine Urne aus der Han-Dynastie – damals billige Massenware – fallen lässt und damit beim Betrachter bis heute ein klammes Gefühl verursacht.

    Dieses subversive Berserkern geht einher mit den fast schon ikonischen Coca-Cola-Vasen, die immer auch die Zerstörungen der jahrtausendealten chinesischen Kultur durch die Kommunisten sowie das planmäßige Ausradieren und später das Vergessen der ausgetüftelten Handwerkskunst durch die kapitalistische Massenproduktion reflektieren. Die Dekonstruktion zieht sich fortan wie ein Leitmotiv durch Ais Schaffen. Das kann zum kunstvollen Arrangieren traditioneller Hocker führen, zum Zerteilen von Möbeln oder Fahrrädern und schließlich zum Mahnmal aus unzähligen gekrümmten Eisenstäben: Sie verweisen auf die mangelhafte Bauweise einer Schule, unter deren Trümmern nach dem schweren Erdbeben 2008 in Sichuan massenhaft Kinder den Tod fanden. Die Tragödien gehen dem 64-jährigen Aktivisten nicht aus. Da sind Rettungsringe und -westen, die auf den Überlebenskampf im Mittelmeer deuten, und da ist der kleine Junge, der tot am Strand liegt und den Ai Weiwei in Lego-Steinchen „gepixelt“ nachstellt. Spätestens da wird es fragwürdig und übertrifft noch die Selbststilisierung von „S.A.C.R.E.D.“ (2013).

    Das Großprojekt aus sechs Dioramen schildert Ais 80-tägigen Gefängnisaufenthalt 2011. Dass die Arbeit 2013 in Venedig während der Biennale in der Kirche Sant’Antonin zu sehen war, hat sie in die Nähe christlicher Martyrien und der Passion gerückt, der Titel kommt ja nicht von ungefähr. Und das ist bei aller Bewunderung für dieses Engagement doch der schwer erträgliche Tick zu viel. Aber Ai Weiwei ist in seiner „Suche nach Menschlichkeit“ eben auch ein großer Selbstdarsteller und nicht frei von Eitelkeit.

    Ausstellung bis 4. September in der Albertina Modern. Katalog 39,90 Euro über www.albertina.at.

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