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Foto: Copyright: Henn
Foto: Copyright: Henn

Der Gasteig steht zwar, ist aber dringend sanierungsbedürftig und soll auch umgestaltet werden, wofür das Architekturbüro Henn bereits Pläne vorgelegt hat.

Kulturbauten
19.02.2023

Zwei Münchner Konzertsäle und zwei Zwickmühlen

Von Rüdiger Heinze

Weder kommen die Planungen für das Konzerthaus vom Fleck noch die Entscheidungen für die Gasteig-Sanierung. In dieser Situation wird eine alte Idee wiederbelebt.

Als im Oktober 2021 in München die Isarphilharmonie, diese Ausweichspielstätte für den zu sanierenden Gasteig-Konzertsaal, unter Jubelarien eingeweiht wurde, da sprach Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter – wir haben es seinerzeit notiert – öffentlich auch den folgenden Satz: "Ich ahne bereits, dass dieses Interim hier relativ lange Bestand haben wird." 

16 Monate später darf des Oberbürgermeisters einstige Ahnung – wie kam er nur darauf? – als Gewissheit gelten, und dies gleich zweifach abgesichert. Erstens, weil mittlerweile feststeht, dass die auf vier Jahre veranschlagte Sanierung des Gasteigs deutlich später beginnen wird als ursprünglich vorgesehen. Und zweitens, weil Ministerpräsident Markus Söder für jenes seit 2012 mehrfach versprochene neue Konzerthaus, das am Ostbahnhof dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks eigenen Raum und damit Heimspiele geben soll, eine "Denkpause" verordnet hat. Sie dauert nun schon seit knapp einem Jahr. Man darf gespannt darauf sein, wann das Denken – bei laufender Planung, laufenden Kosten – wieder erlaubt sein wird. Und was dann als Frucht gedeiht – oder verdorrt.

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Foto: Cukrowicz Nachbaur Architekten, dpa
Foto: Cukrowicz Nachbaur Architekten, dpa

Das Konzerthaus am Münchner Ostbahnhof ist zwar bereits in fortgeschrittener Planung, dennoch wird derzeit wieder nachgedacht, ob der Entwurf zu realisieren ist.

Backstage ist auch der Herkulessaal ein Sanierungsfall

Solange aber der Gasteig-Konzertsaal unbespielbar bleibt, solange das neue Konzerthaus nicht steht, so lange werden die Münchner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und weitere Ensembles in der Isarphilharmonie aufspielen beziehungsweise das BR-Orchester auch in jenem Herkulessaal der Residenz, der zumindest im Backstage-Bereich genauso sanierungsfällig ist wie der Gasteig. 

Weder der Gasteig-Konzertsaal kann, wie 2021 noch verkündet, bereits in der Saison 2025/26 fertiggestellt sein – und auch nicht das Konzerthaus, wo anscheinend zurzeit die Harmonisierung von Architektur und Akustik Schwierigkeiten bereitet. So bewundernswert schnell, pünktlich, kostengünstig und voll innerer Akustik-Werte es auch klappte mit der Isarphilharmonie als Ausweichspielstätte: Bei der Gasteig-Sanierung ist der Bandwurm drin, seit sieben Jahren. Jüngst wurde er wieder länger. Indem die Stadt keinen geeigneten Investor fand, der 450 Millionen in Europas "größtes Kulturzentrum", wie es einst genannt worden war, zur Sanierung hineinsteckt, um hernach jährlich Einnahmen von der Stadt zu erhalten. 

Auch die Zwischennutzung kostet Geld

Jetzt steht erst einmal bis Ende 2023 Europas "größte Zwischennutzung" durch Europas "größtes Subkulturzentrum" an, wofür sich Veranstalter wie Nepomuk Schessl (MünchenMusik), Michael Kern (Freiheitshalle, Utopia), Till Hofmann (Lustspielhaus) starkmachen. Sie wollen die Räume nicht selbst bespielen, sondern weitervergeben und rufen dafür zum allgemeinen Brainstorming auf – praktisch das Gegenteil einer Denkpause. Kostenpunkt der Gasteig-Zwischennutzung für die Stadt München: 5,7 Millionen Euro zur Herrichtung, gut 500.000 Euro pro Monat für den dann folgenden Betrieb. 

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Ob die Zwischennutzung Ende 2023 tatsächlich enden wird oder – gut möglich – in die Verlängerung geht, das hängt auch davon ab, wie schnell die Stadt München sich entscheiden kann, in welcher Weise sie selbst fortfahren will. Die Entscheidungsfindung wird Verzögerung nach sich ziehen, wohl an die zwei Jahre. Neuerliche Investoren-Ausschreibung bei angehobenem Kostendeckel? Oder städtische Eigensanierung? 

Die große Generalsanierung mit einer vorgelagerten schicken gläsernen Brücke zwischen den Gasteig-Backstein-Bauten (Architekturbüro Henn) ist nach den eklatanten Baukostensteigerungen 2022 jedenfalls nicht mehr für 450 Millionen Euro zu realisieren. Andererseits: Bei der billigeren Grundsanierung wären sowohl Tiefgarage als auch Konzertsaal, dem die Sanierung ja ursprünglich vor allem gelten sollte, nicht enthalten – ganz abgesehen davon, dass dem Architektenbüro für die Generalsanierung trotzdem das Honorar zusteht. Eine rechte Zwickmühle also ist gegeben, in der zusätzlich eine Rolle spielt, welche der Versionen den ökologischen Zielen der Stadt am besten dienen wird. Dennoch: Knackpunkt sind die Kosten. 

In Bayern gibt es Finanzbedarf bei vielen Kulturbauten

Und das gilt selbstredend auch für das derzeit auf Eis gelegte neue Konzerthaus am Ostbahnhof. Obwohl es ministeriell versprochen wurde, obwohl längst auch vertragliche und damit finanzielle Bindungen (wie 88-jährige Erbpacht in Höhe von 600.000 Euro jährlich) eingegangen sind: Der Geldtopf für die Hochschulen, Universitätskliniken und Kulturbauten zeigt sich mit rund 670 Millionen Euro jährlich nicht umfassend genug, um Neubauten zusätzlich zu stemmen, da doch schon seit Jahren geplante Bauvorhaben im Stillstand verharren. Verwiesen sei etwa auf die längst fälligen Münchner Sanierungen von Musikhochschule, Herkulessaal sowie Haus der Kunst. Hinzu kommt in absehbarer Zeit noch die Bayerische Staatsoper. Da scheut mancher in der CSU die zusätzliche Investition von geschätzten 750.000 Euro in einen neuen Münchner Konzertsaal vornehmlich für das BR-Orchester. 

Im Mai will Wissenschafts- und Kunstminister Markus Blume einen bayerischen "Masterplan Kultur" vorstellen. Ob er – nach beendeter Denkpause, aber kurz vor der Landtagswahl – ein Bekenntnis zum schnellen Bau des Konzerthauses abgeben oder einen Rückzieher vom längst eingefädelten Projekt machen wird? Beides eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist, dass er das Konzerthaus in seiner Zwickmühle einfach auf die lange Bank schiebt. 

"Noch einmal die Köpfe zusammenstecken!"

Das sieht auch der kulturpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Volkmar Halbleib, so. Er erwartet sich von dem "Masterplan" eine klare Aussage und Entscheidung in Sachen neues Konzerthaus – und zwar in Zusammenhang mit einer Prioritätenliste für alle anstehenden Aufgaben neben den Hochschul- und Uniklinik-Verpflichtungen. Dazu fordert Halbleib, "dass der Freistaat und die Stadt München noch einmal die Köpfe zusammenstecken, um Möglichkeiten zu eruieren, ob es nicht bezüglich des Gasteig-Konzertsaals eine gemeinsame finanzielle Lösung gibt, die zudem Ressourcen freilegen könnte für andere Vorhaben – wie für die Sanierung des Herkulessaals". 

Damit reanimiert Halbleib eine alte Idee. Doch liegt das durchaus auf der Hand bei den aktuellen Gegebenheiten rund um Konzertsaal-Denkpause hier, Gasteig-Sanierungsverzögerung dort und als Schnittmenge die staatlichen und städtischen Finanzierungsprobleme. Gleichwohl wurde diese Idee der Gasteig-Kooperation zwischen SPD-Stadt und CSU-Land in der Vergangenheit schon einmal ad acta gelegt. Das war 2015. Obendrein ließ Minister Blume jüngst in Sachen Gasteig kühl verlautbaren: "Wir sehen uns nicht veranlasst, hier einzugreifen."

Und was sagt der neue Chefdirigent zur Situation?

Gleichwohl: Der Druck, sich bei ähnlich gelagerten Problemen aufeinander zuzubewegen, könnte sich erhöhen. Sollte sich der Freistaat engagieren bei der Gasteig-Konzertsaal-Sanierung, dann hätte das insofern Charme, als dort für das BR-Orchester bessere, das heißt, gleichrangige Auftrittstermine ausgehandelt werden könnten. Denn dies war ja immer ein wesentlicher Grund auch für die Forderung nach einem eigenen BR-Konzertsaal: dass die städtischen Münchner Philharmoniker als Hausorchester das Erstbelegungsrecht haben. 

Und was sagt Simon Rattle zu den bayerischen Umständen, bevor er im Herbst als neuer Chefdirigent des BR-Orchesters antritt? Rattle, der wegen eines versprochenen und dann wieder annullierten Londoner Konzerthauses ein gebranntes Kind ist, sagt: "Das Einzige, was mich in München wirklich überrascht, ist der außergewöhnliche Mangel an Erkenntnis, zu echten Lösungen zu kommen. Das macht mich wirklich sprachlos."

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