In Lederhosen rocken, Polkaklänge zum Techno-Sound, Tuba statt E-Bass: Volksmusik ist mittlerweile auch im Rock- und Popbereich salonfähig. Mehr noch. Auf der Welle bekannter Gruppen wie La Brass Banda oder dem Holstuonarmusigbigbandclub (HMBC) kommt wieder so etwas wie Regionalstolz auf. Heimat ist nicht mehr bieder, Blasmusik ist nicht mehr altbacken. Doch woher kommt der Hype? Was ist das viel zitierte Erfolgsgeheimnis?
Wichtigster Faktor ist die Wahrung der Authentizität
„Die Zeit ist gekommen, dass man sich nicht mehr für seine Wurzeln schämen muss“, sagt Philipp Lingg, Sänger des HMBC. Die Gruppe aus dem Bregenzer Wald zelebriert regelrecht ihre Herkunft. Sie greift auf bodenständiges Instrumentarium zurück, macht den Alpenraum zum Mittelpunkt ihrer Texte und singt im Dialekt – meist unverständlich außerhalb des eigenen Heimatkreises. „Wir interpretieren die Volksmusik neu und bringen unsere eigene Note hinein. Ich denke, das ist der Grund, warum die Leute uns gut finden“, ist Lingg überzeugt. Die Gruppe verwandelt schon mal Stefanie Hertels „Über jedes Bacherl geht a Brückerl“ in eine freche Jazz-Nummer oder mischt Gottlieb Weissbachers Polka „Flügelhornzauber“ mit Swing. Dabei ist laut Lingg ein ganz wichtiger Faktor: Authentizität.
"Wir wurden nicht gemacht. Uns redet keiner ´rein."
„Wir haben das große Glück, dass uns kein Manager X zur Plattenfirma Y geschickt hat. Wir wurden nicht gemacht. Uns redet keiner ’rein. Und wir überlassen es den Menschen, ob ihnen unsere Musik gefällt oder nicht.“ Der Erfolg gibt den Musikern recht. Denn den großen Durchbruch hat der HMBC mit dem Video zu seinem Hit „Vo Mello bis ge Schoppernou“ geschafft, das er auf einer Internetplattform veröffentlicht hatte. „Das hat es den Leuten ermöglicht, selber zu wählen“, erzählt Lingg.
Jazztrompeter Matthias Schriefl ist der finanzielle Erfolg "wurst"
Die Wahl lässt auch der Allgäuer Jazztrompeter Matthias Schriefl seinen Zuhörern. Ihm ist es nach eigener Aussage „Wurst, ob der finanzielle Erfolg kommt“. Er macht das, was ihm gefällt. Seit etwa fünf Jahren lautet sein Motto: zurück zu den Wurzeln. Das lässt nicht nur der Titel seines preisgekrönten Albums „Six, Alps and Jazz“ vermuten. Der 32-Jährige greift auch gerne mal zum Alphorn, spielt Gstanzl, mischt alpenländisches Liedgut mit zeitgenössischem Jazz.
Seine Entwicklung sieht Schriefl „biografisch bedingt“. Die Volksmusik ist ihm in die Wiege gelegt worden. Seine Mutter leide an „inkontinenzia vocalis“, sie singe ständig. „Schon bevor ich zur Welt gekommen bin, habe ich gehört, wie meine Mutter meinen Geschwistern Schlaflieder vorgesungen hat.“ Doch auch, als er sich immer mehr auf den Jazz spezialisierte, habe man ihm stets gesagt, dass in seinem Spiel „alpine Elemente“ enthalten seien. „Da lag es auf der Hand, dass ich mich noch mehr mit meinen Wurzeln beschäftigen wollte.“
Die Volksmusik hat sich zur In-Marke gewandelt
Den Wandel, den das Image der Volksmusik derzeit erfährt, hat Schriefl am eigenen Leib erfahren. Seine Mutter stammt aus einer Volksmusiker-Familie, sein Vater war engagierter Hobby-Posaunist in vielen Formationen, viele seiner Bekannten sind in dieser Richtung zu Hause und auch Schriefl selbst spielte jahrelang in Volksmusik- und Jazz-Bands. „Früher wurde man dafür belächelt. Jetzt ist das eine In-Marke, bei der jeder mitschwimmen will.“
Mittlerweile ist laut Schriefl der Punkt gekommen, an dem Volksmusik nicht mehr mit Nazi-Propaganda gleichgesetzt wird, wie es in den 60er und 70er Jahren von „Über-Pädagogen“ oft getan worden sei. Gerade weil man die authentische Volksmusik damals von den Schulen verbannte, habe man den Nährboden für „kommerziellen Heimatkitsch“ wie den Musikantenstadl geschaffen. Schriefl: „Volksmusik gilt jetzt endlich nicht mehr als gefährlich, und das ist sehr gesund für unsere Gesellschaft. Denn die Volksmusik gab’s schon lange vor den Nazis. Und nach der synthetischen Musik der 90er mit dem ganzen Computersound sehnen sich die Menschen wieder nach natürlichen Instrumenten, nach handgemachter Musik.“
„Renaissance der Blasmusik“
Das sieht auch Marcus Kesselbauer so, Saxophonist und Gründer der Bläsergruppe Moop Mama: „Man merkt, dass die Menschen wieder das Ehrliche wollen.“ Er distanziert seine Musik zwar von der Sphäre des Volkstümlichen, spricht aber auch von einer „Renaissance der Blasmusik“. Der Trend zu echter, bodenständiger Musik sei da. „Bläser sind wieder beliebt, weil sie körperlich arbeiten – und das sehen die Leute auch.“
Aufschwung der Volksmusik ist auf die Globalisierung zurückzuführen
Für Christoph Lambertz, Leiter der Beratungsstelle für Volksmusik des Bezirks Schwaben, ist dieses Phänomen eine Reaktion auf die Globalisierung: „Die Musikindustrie ist etwas Grenzenloses. Aber jetzt ist wieder das Lokale und das Handgemachte gefragt.“ Er sieht den Erfolg dieser „neuen Volksmusik“ darin, dass merklich eine Idee dahinter steckt – anders als bei „Retortenbands“. Doch der progressive Umgang mit der Volksmusik sei kein neues Konzept. „Es gibt hier immer wieder Wellenbewegungen. Zum Beispiel gab es mit Hubert von Goisern vor rund 20 Jahren bereits einen ähnlichen Aufschwung“, sagt Lambertz.
Um Erfolg sollte man sich nicht zu viele Gedanken machen
Und wie lange hält der Hype diesmal an? Laut dem Volksmusikexperten geht es vielleicht noch eine Zeit lang weiter. Dann werde die Begeisterung wieder abnehmen. „Der Volksmusik tut das keinen Abbruch. Wer Volksmusik mag, befasst sich auch damit. Ein Grundinteresse besteht, unabhängig vom Trend“, weiß Lambertz. HMBC-Sänger Philipp Lingg will sich „nicht zu sehr verkopfen“. Denn seit vier Jahren schwimmt seine Formation ganz oben, doch auch schon vorher habe es funktioniert. Jazzer Schriefl ist der gleichen Meinung: „Ich freue mich, dass die Entwicklung da ist. Aber man darf sie nicht kommerziell ausschlachten.“ Es gehe um ehrliche Musik. Vielleicht liegt gerade hier das Geheimnis verborgen: Dass man sich nicht zu viele Gedanken um den Erfolg machen sollte.