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Kritik zu "Romeo und Julia" am Staatstheater Augsburg

Staatstheater Augsburg

"Romeo und Julia" oder die Liebe im Zeitalter des Niedergangs

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    Alle wissen es von Anfang an: Es wird kein gutes Ende nehmen mit Romeo (Mehdi Salim) und Julia (Sarah Maria Grünig).
    Alle wissen es von Anfang an: Es wird kein gutes Ende nehmen mit Romeo (Mehdi Salim) und Julia (Sarah Maria Grünig). Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Dass die Sache nicht gut ausgehen wird, weiß man. Shakespeares Liebespaar "Romeo und Julia" kennt ja irgendwie jeder. Liebe auf den ersten Blick, Verona, Balkon und das Fake-Gift. Als Shakespeare sein Drama geschrieben hat, muss auch allen von Anfang an klar gewesen sein, das kann nicht gut gehen. Liebe, das war damals das, wonach sich alle heimlich sehnten. Liebe, das war das, was bei der Heirat nur bedingt eine Rolle spielte. Ehe war eine Form von Ökonomie und Altersvorsorge. Und heute: staunt man hierzulande, wenn in Deutschland und anderswo noch Mann und Frau von Vätern und Familien zusammengeführt werden. Heute tindert man, um den einen zu finden. Was heißen soll: Diese Liebesgeschichte ist eine von gestern, eine, die der Liebe als Idee fürs Zusammenleben den Weg bereitet hat.

    Bei Regisseurin Lilli-Hannah Hoepner bröckelt der Beton in "Romeo und Julia"

    Wie den Stoff also erzählen, inszenieren? Die Regisseurin Lilli-Hannah Hoepner verlegt ihn für das Staatstheater Augsburg in eine graue Ebene mit ein wenig Schutt. Die viel diskutierte Infrastruktur macht es nicht mehr, der Beton zerbröckelt. Zwei große Bausäcke stehen herum, die Paletten sind leer geräumt. Da verfällt etwas, aber es stört niemanden mehr (Bühne: Katrin Hieronimus). Der Blick in eine nicht allzu ferne Zukunft. Statt den Staatskarren wieder gemeinsam aus dem Schutt zu ziehen, fingern die Montagues und Capulets lieber am Abzug ihrer Handfeuerwaffen herum. Ist doch viel weniger anstrengend. 

    Die Familien investieren nicht in Steine, sondern in Pistolen und Holster. Damit keine Missverständnisse aufkommen, es keine Verluste durch "friendly fire" gibt, putzen sich die Capulets in Blau heraus und die Montagues in Beige und Gelb (Kostüme: Katharina Beth). Anlässe, aufeinander die Waffen zu richten, gibt es genug. Es reicht, sich einfach auf der Straße zu begegnen, dann greifen die Reflexe und der Tanz des Kampfes beginnt (Choreografie: Ronnie Maciel Moreira Soares). Die Welt wäre so einfach und klar. Doch es begegnen sich Romeo und Julia, und sie haben nur noch Augen für sich.

    Die Finger sind schnell am Abzug bei den Capulets und Montagues in der Augsburger Inszenierung von  Shakespeares "Romeo und Julia".
    Die Finger sind schnell am Abzug bei den Capulets und Montagues in der Augsburger Inszenierung von Shakespeares "Romeo und Julia". Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Auf der Bühne entfaltet das im ersten Teil einen unwiderstehlichen Sog, getrieben auch von den Klängen und der Musik von Charlotte Brandi. Das Ensemble beweist sich als wunderbarer Chor, der auch Gregorianik könnte. Die Schauspielerin Christina Jung zeigt einmal mehr, dass sie einfach die Seiten wechseln und als Musikerin weitermachen könnte, ob mit sphärisch-düsteren Gesängen oder als Rapperin. Sie kann beides, vor allem aber ihrem Mercutio ein Denkmal zu setzen: als Prototyp des oberordinären Draufgängers.

    In all dem gibt es diesen überraschenden Moment, in dem sich Mercutio und Benvolio (Paul Langemann) küssen. Zwei Großmäuler und Aufsprecher, die einmal kurz ihre Gefühle zulassen. Und anders als Romeo und Julia fehlen ihnen die Worte, um zu benennen, was ist. Grandios! Die Ballszene, in der sich Romeo und Julia erstmals sehen und verlieben, entfaltet dazu einen Zauber eigener Art. Wie lange musste das elfköpfige Ensemble für diese Viertelstunde proben? Schon allein dafür lohnt es sich, ins Theater zu gehen.

    Nach der Pause bewegt sich "Romeo und Julia" in Augsburg auf einer Schussfahrt

    Sarah Maria Grünig als Julia auf der Bühne des Martiniparks am Staatstheater Augsburg.
    Sarah Maria Grünig als Julia auf der Bühne des Martiniparks am Staatstheater Augsburg. Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Mehr davon, hofft das Publikum zur Pause. Doch das Drama beschleunigt und bewegt sich danach auf einer wilden Schussfahrt in die Katastrophe. Diese eine Nacht, die Romeo und Julia ihrem Schicksal abtrotzen, kosten Mehdi Salim und Sarah Maria Grünig noch aus. Sie erkunden in sich die Liebesräume, die die Gesetze der Zeit außer Kraft setzen wollen. Jeder zusätzliche Augenblick verspricht eine Ewigkeit. Das ist doch noch die Nachtigall? Oder schon die verhasste Lerche? Julias riesiger, blauer Rock dient nicht nur als Hochzeitsbett, er knüpft auch das Band zum Horizont.

    Ja, könnten die Menschen nur fliegen, ließe sich mit den Federn, die im ersten Teil des Abends noch oft zu sehen waren, abheben vom Boden. Vielleicht ließe sich die Schwerkraft und die Mechanik der Gewalt überwinden. So aber bleibt der Horizont, dieser Himmel im Bühnenhintergrund unerreichbar. Es geht hinab und hinein in die Familiengruft der Capulets. Julias Plan, sich nur scheinbar zu vergiften, endet auch in dieser Inszenierung im Tod von beiden. Allerdings beschleunigt der Abend dabei immer mehr, wird der emotionale Ausnahmezustand von Romeo und Julia zur Schleudertour, mehr behauptet, als durchlitten.

    Das gipfelt in dem Moment, in dem der schon vergiftete Romeo und die wieder erwachende Julia sich noch für Sekunden sehen und begegnen. Ist das noch Tragödie oder schon die Karikatur davon? Applaudiert wird dennoch, lohnenswert ist der Besuch allemal, auch wenn es sich hinterher wie im Fußball anfühlt: starke erste Halbzeit, schwächere zweite. 

    Weitere Termine am 30. Mai, 6. und 12. Juni, 16. Juli. In der kommenden Spielzeit wird die Produktion wiederaufgenommen.

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