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Kritik zu "Der Buchspazierer": Ein familiengerechtes Kino-Märchen

Kino-Premiere

Kritik zu „Der Buchspazierer“: Ein Film voll liebenswertem Humanismus

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    Christoph Maria Herbst (r) spielt den „Buchspazierer“ Carl Kollhoff, der von Yuna Bennett als Schascha begleitet wird. Der Film startet am 10. Oktober in den Kinos.
    Christoph Maria Herbst (r) spielt den „Buchspazierer“ Carl Kollhoff, der von Yuna Bennett als Schascha begleitet wird. Der Film startet am 10. Oktober in den Kinos. Foto: Bernd Spauke/Studiocanal, dpa

    Bevor Carl Kollhoff (Christoph Maria Herbst) ein Buch aus dem Regal zieht, fixiert er mit den Augen genau den Buchrücken, bläst sich in die Fingerspitzen und reibt die Hände. Jedes Buch ist für ihn eine Kostbarkeit und ein Festmahl zugleich. Zurückgezogen lebt der 72-jährige Buchhändler in einer Dachwohnung, in der vor jeder Wand ein gut gefülltes Regal steht. Bücher sind für den Witwer wie eine „Familie aus Papier“. Sein ganzes Leben hat er in der „Buchhandlung am Stadttor“ gearbeitet, die ihre Ware nicht nur über den Tresen hinweg verkauft, sondern auch persönlich zu den Kundinnen und Kunden nach Hause bringt. So beginnt die Verfilmung von „Der Buchspazierer“.

    „Der Buchspazierer“ ist die Verfilmung des Erfolgromans von Sebastian Henn

    Der Laden wird nun von einer Franchise-Firma übernommen, deren Filialleiterin Frau Jattkowiak (Nikola Kastner) die Buchhandlung sukzessive in einen knallorangen Multimedia-Shop verwandelt. Als Relikt aus alten Zeiten bringt Carl immer noch Tag für Tag der Kundschaft ihre Lektüre nach Hause. Mit Filzhut und großem Rucksack auf dem Rücken sieht er fast aus wie der Almöhi aus Johanna Spyris „Heidi“-Roman. Wie der Almöhi ist auch Carl ein alter Mann, dessen Lebensroutine durch ein junges Mädchen durcheinander gewirbelt wird. Schascha (Yuna Bennett) hat von ihrer verstorbenen Mutter die Leselust vermittelt bekommen. In Carl erkennt sie einen bibliophilen Gleichgesinnten und hängt sich an ihn ran.

    Der Buchspazierer, wie sie ihn tauft, ist wenig begeistert von der neuen Begleitung, die ihn in seinem Eigenbrötler-Dasein stört. Aber Hartnäckigkeit ist nur eine von zahlreichen kindlichen Tugenden, über die Schascha im Übermaß verfügt. Neugier ist eine andere. Während Carl großen Wert auf Diskretion legt, interessiert sich das Mädchen brennend für das Leben der Menschen hinter der Türschwelle.

    Die Geschichte von „Der Buchspazierer“ wird im familiengerechten Filmmärchen-Format adaptiert

    Mit seinem literarischen Debüt „Der Buchspazierer” landete Sebastian Henn 2020 im ersten Corona-Jahr einen Bestseller-Erfolg. Der Wohlfühlroman fügte sich passgenau ins Pandemiegeschehen ein, verbreitete eine herzerfrischende Grundgemütlichkeit, feierte die Literatur als Seelentröster und thematisierte die Schwierigkeiten menschlicher Vereinzelung, die alle gerade erfuhren. Nun hat Regisseur und Kameramann Ngo The Chau die Geschichte für die Kinoleinwand adaptiert und erzählt sie in einem familiengerechten Filmmärchen-Format.

    Christoph Maria Herbst als Carl Kollhoff in einer Szene aus dem Film "Der Buchspazierer".
    Christoph Maria Herbst als Carl Kollhoff in einer Szene aus dem Film "Der Buchspazierer". Foto: Wolfgang Ennenbach/Studiocanal/d

    Christoph Maria Herbst wirft in der Titelrolle alle Sarkasmen und Comedy-Attitüden über Bord und taucht in die Figur des schrulligen Alten ein, der sich in seiner Einsamkeit eingerichtet hat. Ihm gegenüber steht die junge Yuna Bennett, die mit Charme, Witz und Spielfreude bei der Sache ist. Die beiden funktionieren als generationsübergreifendes Duett, weil dem Mädchen jene Pointen in den Mund gelegt werden, die man von erwarten würde. Die liebenswerte Opa-Enkelin-Dynamik bildet das Rückgrat des Filmes, der sein ungleiches Paar auf einen innerstädtischen Roadtrip zu illustren Charakteren schickt.

    Die Kritik: Ngo The Chau bringt den Humanismus unverlogen auf die Leinwand

    Jedem seiner Kunden hat Carl eine Figur der Weltliteratur zugeordnet. Da ist der schwerreiche Mr. Darcy (Edin Hasanovic), der allein in einer Riesenvilla residiert und in der Stadt kein gutes Ansehen genießt. Nachdem ein großer Eisklotz aus einem Flugzeug direkt vor ihre Füße gefallen ist, traut sich die ehemalige Grundschullehrerin Frau Langstrumpf (Maren Kroymann) nicht mehr aus dem Haus. Statt Klassenarbeiten zu korrigieren, spürt sie Rechtschreibfehler in den Büchern auf. Der Gewichtheber Herkules (Tristan Seith) versucht zu verbergen, dass er nicht lesen kann. Effi Briest (Hanna Hilsdorf) ist in einer unglücklichen Ehe gefangen und bestellt die traurigsten Romane der Weltliteratur.

    Mit ihrem nassforschen Temperament findet Schascha heraus, was den Einsamen fehlt. Es gehe nicht darum, ihnen die Bücher zu bringen, die sie wollen, sondern die sie brauchen. Das sind Geschichten, die sie aus ihren selbstgebauten Schneckenhäusern und Wahrnehmungsblasen herauslocken. Was für die Kundschaft gilt, gilt auch für Carl, Schascha und den Vater des Mädchens (Ronald Zehrfeld), die sich ihren Trauer- und Verlustgefühlen stellen müssen.

    Auf dem Weg zum Massen-Happy-End bleibt kein Auge trocken, denn zur offenporigen, märchenhaften Erzählweise gehört auch eine gute Portion Kitsch. Auch wenn die Plotstruktur übersichtlich bleibt und die Probleme auf harmloseste Weise bewältigt werden, gelingt es Ngo The Chau, den liebenswerten Humanismus des Romans unverlogen auf die Leinwand zu bringen, indem er mit seiner Inszenierung einen leicht surrealen Sicherheitsabstand zur Wirklichkeit behält und die Emotionen der Figuren umso klarer ausformuliert.

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