Es gibt eine ganz bestimmte Geste von Herbert Grönemeyer, die seine Fans immer wieder in Ekstase versetzt. Grönemeyer bewegt das Mikrofon, das er fest in seiner Hand hält, weg von seinem Mund und streckt es seinem Publikum entgegen. Die Menschen in der ausverkauften Münchner Olympiahalle erfüllen "ihrem Herbert" den Wunsch und vervollständigen die Liedzeilen. "Der Mensch heißt Mensch" singt Grönemeyer, "weil er vergisst, weil er verdrängt" ergänzen die Fans als großer Chor. Dieses Spiel lieben der Sänger und seine Anhänger gleichermaßen und so schaukeln sich beide an diesem Abend immer wieder hoch, bis gemeinsam "Schulterwalzer" getanzt wird. Aber dazu später mehr.
Herbert Grönemeyer in München: Die alten Songs sorgen für Stimmung
Der Abend beginnt mit einer ruhigen Ballade aus dem neuen Album "Das ist los". In "Tau" bleibt Grönemeyer noch selbst am Mikrofon, singt für seine Verhältnisse ausgesprochen deutlich: "Manchmal legt der Tau sich auf mich und dann werde ich leise traurig, weil ich glaube nicht, dass alles so schön ist, wie es ist". Seine Fans, noch etwas verhalten, lauschen den sanften Klängen der neueren Songs, die der Künstler anschließt.
Tanzstimmung kommt beim ersten großen Hit des Abends auf: Der Mann aus Ruhrgebiet singt seine Hymne "Bochum" inklusive des Steigerlieds, streckt seine Hand mit Mikrofon immer wieder zu seinen Fans. "Bochum", grölt Grönemeyer, die Masse antwortet "Ich komm aus dir" und so geht es den Abend über weiter, wenn er seine größten Lieder ("Männer", "Mensch", "Alkohol") gemeinsam mit den Besuchenden performt.
Grönemeyer zeigt in der Olympiahalle klare Haltung
Grönemeyer trägt schwarze Hose, weiße Sneaker und Sakko, hüpft über die Bühne und grönemeyert seine Lieder in gewohnter Art, die Leute grönemeyern mit. Dazu braucht es auch nicht viel. Die Bühne (baugleich wie auf seiner vergangenen Tour zum Album "Tumult") ist einfach gehalten mit einem langen Steg, unter dem ein Klavier versteckt ist, das zu den sanfteren Songs wie von Zauberhand aus dem Bühnenboden klappt. Hinter seiner Band hängt ein großer Vorhang, an den vereinzelt stilisierte Videos projiziert werden. Zu sehen sind mal schwimmende Koikarpfen oder Silhouetten von Menschen in einem Lichtkegel. Simpel, aber ausreichend.
Es reichen Grönemeyer, die Band und die alten Klassiker, die sein Publikum durchgehend mitsingt. Bei den weniger bekannten Liedern klappen die Zuschauenden die Lederhüllen ihrer Smartphones auf, um Erinnerungsvideos in die Familiengruppe zu senden, um spätestens beim nächsten großen Hit wieder zu klatschen und zu singen.
Das Publikum liebt seinen Star, der macht es seinem Publikum aber auch leicht ihn zu lieben. Nach dem umstrittenen Roger-Waters-Konzert am gleichen Ort vor einigen Tagen, Waters hatte mit antisemitischen Äußerungen für Aufsehen gesorgt, erntet auch Grönemeyers politische Haltung auf dem Konzert immer wieder Applaus. Er lobt zwischen den Liedern die Münchnerinnen und Münchner für ihren Einsatz für Geflüchtete seit 2015, singt ein Lied für die Klimabewegung und macht sich für Feminismus stark. Dass an dem Abend mit Grönemeyer und Band ausschließlich Männer auf der Bühne stehen, verzeihen ihm die Fans.
Grönemeyer liebt seine Fans und sie lieben ihn
Denn da gibt es ja auch noch das Lied des Abends. Bei "Männer" verschmelzen Grönemeyer und seine Fans zu einer Symbiose aus unverständlichem Gesinge. Die Menschen in der Olympiahalle schwenken ihre Arme, klatschen oder liegen sich in den Armen. Den Text versteht wahrscheinlich niemand mehr, doch das ist egal, denn es kennt ohnehin jeder und jede in der Halle die Zeile "Wann ist ein Mann ein Mann?". Und so feiert Grönemeyer sein Publikum und das Publikum feiert mit, bis der inzwischen 67-Jährige noch auf eine Idee kommt: Beim Lied "Herzhaft" sollen seine Anhänger mit ihm "Schulterwalzer" tanzen.
Zweimal mit den Schultern nach rechts wackeln und dann wieder zweimal nach links, gegenseitig berühren gerne erwünscht. Schunkeln ohne sich bei Nebenmann oder der Nebenfrau einzuhängen also. Bei diesem Versuch wird klar: Grönemeyer und seine Fans sind gemeinsam alt geworden. Der "Schulterwalzer" wirkt ein wenig wie ein Kreistanz im Altersheim, alle machen mit, alle haben Spaß. Mit Tanzen hat das Ganze wenig zu tun.
Das Problem kommt dann mit dem Fortschreiten des Abends. Der fitte Grönemeyer macht immer weiter, spielt Zugabe auf Zugabe, seine Fans können nach fast drei Stunden gemeinsamem Singen nicht mehr. Gut, dass er beim letzten Lied des Abends sein Mikrofon nicht mehr zu den Zuschauenden streckt. Zu sanften Klavierklängen singt er "Immerfort". "Legt nach, liebt euch Tag für Tag" singt Grönemeyer. Seine Fans lauschen erschöpft und glücklich ihrem Herbert.