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The Weeknd in München: Zwischen 1980 und der Zukunft des Pop

Konzert

Zwischen 1980 und der Zukunft des Pop: Das Konzert von The Weeknd in München

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    In der Kulisse von New York City: Der kanadische Sänger The Weeknd bei seinem Auftritt im Olympiastadion in München.
    In der Kulisse von New York City: Der kanadische Sänger The Weeknd bei seinem Auftritt im Olympiastadion in München. Foto: Martin Hangen

    Wenn einer nicht besser wüsste, wofür er hier gezahlt hat, könnte ihm glatt der Verdacht kommen: Bin ich auf dem falschen Konzert? Da schlendert ein Mann zu Stadiondonner und Blitzlicht auf die Bühne, aber versteckt sich dabei - hinter einer Maske. Könnte aus der Distanz, Sitzreihe eins, auch gut Sido sein, Clown und Rüpel mit Totenkopf-Visier? Oder, harmloser, Cro mit Panda-Maske? Aber nein, hinter der Silbermaske steckt kein Deutschrapper, sondern ein R'n'B-, nein ein Weltstar, der das Münchner Olympiastadion ausverkauft. Die Menge von Zehntausenden tickt aus, sie bricht ein akustisches Erdbeben höherer Güteklasse los, Jubel, Kreisch, ein Lichtermeer von Handybildschirmen. Alles für ihn mit der Maske. 

    2009 lud dieser Mann auf Youtube erste eigene Songs hoch, anonym und schüchtern ohne Namen. Und heute? Noch bevor er eine Zehenspitze auf die Bühne setzt, dann aber ganz in weiß in Funktionskleidung (Weste mit praktischen Täschchen, grenzwertig nah an Engelbert Strauss), ja noch bevor er die Show beginnt, läuft schon die erste La-Ola-Welle durch das Stadion. Dieser Mann mit Maske ist ein Mann für die Nostalgie 2.0 in der Musik. Er trifft den Nerv einer dunklen Romantik. Sein Name, The Weeknd.

    So sah die Bühne beim Konzert von The Weekend in München aus

    Das Bühnenbild? Ein Sommernachtshalbtraum in Chrom: Mit silbernen Stangen haben sie die Fassade von New York City nachgebaut, bis zur Spitze des Chrysler Buildings. Allerdings ist das Chrom angesengt, hier und da geschmolzen. Und dann schreitet eine gruselig-komische Phalanx durch die Halbruinen: Sind das vermummten Nonnen in weiß? Verhüllte Tempeltänzerinnen oder Geheimbündlerinnen? Sie durchqueren das halbe Stadion auf einem Laufsteg, vorbei an einer Zehn-Meter Roboter-Dame, ebenfalls Chrom. Und am anderen Ende des Ganges, der durch das Publikum führt, beten diese Nonnen dann den Ballon an, der über alledem schwebt: Ganz großes Theater, der Mond ist aufgegangen, ein bisschen Matthias Claudius für The Weeknd. Der dann zur Begrüßung einen Mikroständer gen Himmel reckt. "You sound fucking beautiful, Munich!", wird er später rufen, als der Publikumschor seine Texte singt. Frei übersetzt: "München, ihr klingt sehr, sehr schön."

    Star im Steckbrief: Bürgerlich Abel Makkonen Tesfaye, Jahrgang 1990, geboren in Toronto, Kanada, als Sohn äthiopischer, tiefgläubiger Eltern. Vom Glauben fiel er etwas ab, da hatte der Vater schon lange die Mutter verlassen, in Studienzeiten fand Tesfaye die Musik. Und Drogen. Den Exzess. "Klüger werden, sich konzentrieren", das sei die Lehre seiner Jugend gewesen, sagte der Kanadier einmal. So fand er, als anonymer Künstler und damals noch Verkäufer bei einer Klamottenkette, bald Förderer wie den Rapgiganten und Landsmann Drake, Soul-Meisterin Alicia Keys, sogar Beyoncé. Seine Bilanz unter Künstlernamen, seit dem Album-Erstling "Kissland" 2013: Vier Grammys, eine Oscar-Nominierung für den besten Song ("Earned it" zum erotisierten Kinoknüller "Fifty Shades of Grey"), Kritiker-Lobpreisungen. Gelobt wird The Weeknd für seinen Mix der Klangkulturen. Sein hoher Tenor, seine Seufzer im äthiopischen Gesangsstil, die Melodieverschnörkelungen und anzüglichen Texte aus dem R'n'B'. Die Attitüde eines Prince hat er sich draufgeschafft, das Falsett von Michael Jackson, beides erklärte Vorbilder für ihn.

    "Blinding Lights" darf beim Konzert im Olympiastadion nicht fehlen

    Aber all die Feinheiten? Weggeblasen und durcheinandergewirbelt. Der Sound der Show in München verrührt sie zu einem dicken, lauten Brei. Das Maggi in dieser Klangsuppe, das viele Songs ähnlich bis gleich macht, rührt aus der Druckbetankung durch die Boxen. Worte? Schwer herauszufiltern. Der Bass schlägt im Puls aus, das Echo im Dream-Pop-Stil hallt nach. Das alles klingt rockiger, düsterer und dicker, als es The Weeknd im Studio gesäuselt hat. Und visuell wird die Show gar gebraten mit Pyro-Effekten, die Flammen von der Bühne spenden Wärme bis in die Sitzreihe. Alles klar, alles auf Bombast angelegt. New York in Blutrot, dann auch der Deko-Mond.

    Leisen Momente wird es auch noch geben, dann säuselt und surft The Weeknd über die drei Oktaven seiner Stimme. Aber es genügt auch, wenn er ohne Worte nur die Arme hebt, wie auf einer Triumphrunde. Die Masse jubiliert, und wenn er seine Maske absetzt, brandet ein einziger Schrei durch das Stadion. Erst recht, wenn mit einer Reaktionszeit von circa 0,2 Sekunden die ersten Fans schon wissen, dass auf diese Echo-Ufo-Sounds aus dem All jetzt der Monsterhit folgt: "Blinding Lights". Die Methode The Weeknd in Reinform. Das ganze Klangkonstrukt dieses Songs von 2019 ist ein 80er-Jahre-Kaugummiblase, mit Synthie-Schmelz und einem Beat, der ins Gehör hüpft, als wär er gedacht für ein Aerobic-Workout mit Jane Fonda.

    Das Saxophon feiert mit The Weeknd ein Comeback

    Dabei geht es dem Text nach immer um die Liebe, den Sex und das Ego. Schon seit der Single "Can't feel my face" von 2015, die sich noch recht ironisch und funky ausnahm, aber schon Liebesleiden besang. 1,3 Millarden Mal ist das Video zum Song auf Youtube geklickt worden. Aber ins 80er-Delirium führt in München eine andere Nummer: "In your Eyes" erlaubt sich zum Modern-Talking-Synthesizer auch ein Saxofon-Solo, das ein tapferer Solist der Mini-Band unter der Bühne spielt. Dabei darf er auch einmal auf der Großleinwand ins Bild rücken. Das Solo reicht in seiner Saftigkeit schon knapp an den Instrumental-Jodler in "Carless Whisper" von George Michael heran, Captain Cook und seine singenden Saxofone lassen grüßen. Dazu jauchzt The Weeknd im Tenor, als sei er die Reinkarnation des einstigen Königs, des Michael Jackson. Aber das alles klingt nie "vintage", sondern eher "retro", nicht original alt, sondern auf Alt gemacht. Elektronisch gesteuert, digitalisiert und damit frisch verpackt.

    Also alles Wochenend und Sonnenschein mit Weeknd? Der Mister Perfect mit dem einen "e" zu wenig, aber mit der perfekten Rezeptur für ein Ratatouille aus R'n'B, Pop, Elektro und dem Allerbesten der 80er? Der wie ein stolzer Bär über die Bühne hatscht und in Bewunderung badet, sogar noch singend Autogramme gibt? Na ja. Ein, zwei, drei kleinere Plagiatsvorwürfe stehen da als Randnotiz in seiner Vita. Außerdem schneiden seine Schauspielkünste in der Kritik nicht so ganz umjubelt ab. In der HBO-Serie "The Idol" spielt er einen Selbsthilfe-Guru, Anführer eines Kults. Harter Stoff, männliche Fantasien um Macht, Sex und Ausbeutung. Ohne Charme und Charisma, watschte die Kritik Tesfayes Leistung ab. Aber in München auf der Bühne, da scheint The Weeknd seine Rolle gefunden zu haben. Im Irgendwo zwischen 1980, 2023 und der Zukunft des Pop.

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