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Foto: ©Marco Borrelli, SF
Foto: ©Marco Borrelli, SF

Ein Jongleur: der lettische Dirigent Andris Nelsons dirigiert die Wiener Philharmoniker.

Konzert-Kritik
09.08.2022

Salzburger Festspiele: Orchesterglück mit Stardirigent Andris Nelsons

Von Rüdiger Heinze

Bei den Salzburger Festspielen gibt es für die Wiener Philharmoniker Licht und Halbschatten. Licht ist, wenn Gustav Mahler von Andris Nelsons dirigiert wird.

Oper, Schauspiel, Konzert – dies sind die Standbeine des Salzburger Festspielsommers alljährlich. Und in der Sparte Konzert wiederum sind es die Wiener Philharmoniker, die das Programm als Säule tragen. Neben den vier Opern in 26 Aufführungen („Il Trittico“, „Zauberflöte“, „Katja Kabanova“, „Aida“) haben sie binnen eines Monats ja noch fünf Konzert-Spielfolgen in elf Wiedergaben zu absolvieren – von den nötigen Proben vorab einmal ganz abgesehen. Da kommt unter ersten Dirigenten wie Muti, Salonen, Thielemann, Welser-Möst einiges zusammen; das ist auch nur durch die schiere Ensemblegröße von über 140 Orchestermitgliedern inklusive Wechseldiensten zu stemmen. Es gilt der Kalauer: Festspiele heißt feste spielen.

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Dass es dabei, selbst unter einem weiteren Stardirigenten wie es Andris Nelsons ist, auch mal zu Halbschatten kommen kann, versteht sich. Béla Bartók ist heuer ein Festspiel-Schwerpunkt gewidmet, und eben dieser Bartók, respektive sein zweites Klavierkonzert, vermochte im großen Festspielhaus wenig zu glänzen. Was war los bei Nelsons und bei Yefim Bronfman am Klavier, die doch beide ihre Handwerk unbestritten beherrschen?

Zum Einen verfiel Bronfman bereits vor dem fahl beginnenden zweiten Satz, wo es tatsächlich angemessen ist, auf einen zumindest weichen, patinierten, wenn nicht gar verwaschenen Anschlag – was Klarheit, Transparenz, nötiger Präzisionsvirtuosität entgegenstand. Zum Zweiten aber wirkte die Wiedergabe des eminent schweren Stücks wie ein beziehungsloses Nebeneinanderherspielen von Solist und Orchesterpart. Kaum Blickkontakt, nur, wenn es unbedingt sein musste – obwohl Bronfman auswendig spielte – , wenig Verzahnung. Bronfman vertiefte sich in die Tasten, Nelsons ins Orchester. Professionell, aber parallel lieferte jeder seinen Part. Quasi zwei Seile, an denen gezogen wurde. Ein wenig schade war es schon.

Dann jedoch Orchesterglück. Dass Nelsons mit Gustav Mahler umzugehen versteht, hat er bei den ersten Orchestern dies- und jenseits des Atlantiks bewiesen. Und die Wiener Philharmoniker sind nun einmal auch ein Mahler-Orchester, in dem interpretatorisches Feuer über Jahrzehnte hinweg weitergereicht wurde.

Die Stärken des 43-jährigen Letten Nelsons, der als Orchestermusiker in Riga begann, liegen darin, das kompositorische Innenleben der Mahlerschen Universen – im vorliegenden Fall der fünften Sinfonie – einerseits freizulegen, andererseits zu dramatisieren. Als ob er eine Seelen-Oper ohne Worte dirigiert.

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Das mag mitunter – wie im dritten Satz, dem Scherzo – ein wenig episodisch erscheinen; das ist aber auch tief, sehr tief ausgehört. Das zerrissene, impulsive, widersprüchlich reiche Gefühlsleben Mahlers: Hier wird es in überragender Organisation von Anspannung und Entspannung Ereignis. Diese Kumulierung von Profanisierung und Verklärung, von Getümmel und Entrückung, von Marsch und Choral, von Sturheit und Nachgiebigkeit. Ein Vexierbild, das immer wieder stockt, abbricht, neu anrollt, enthusiastisch Fahrt aufnimmt. Nelsons ist sein Jongleur. Und man hört, dass Orchesterspiel ganz weltlich auch bedeutet: seine Frau, seinen Mann stehen. Vollkommene Einfühlung, Berührung ist das Eine; dass die Soli auch sitzen müssen, das Andere. Ein Konzert ist auch Demonstration des Könnens. Keine Überhöhung ohne Artistik. Die Wiener haben’s drauf, von den ersten Takten der Solo-Trompete an. Und das berühmte Adagietto: Das singen die Streicher im Chor schon extrem schön. Ovationen.

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