Vor drei Wochen: Bob Dylan in Magdeburg. Einer von 29 Auftritten seiner Europatournee 2022. Eines von zehn Konzerten, die er in diesem Herbst in Deutschland spielte. Vergangenen Freitag: Wolfgang Niedecken in Augsburg. Das Motto im Parktheater: „Niedecken liest & singt Bob Dylan“. Ein Nebenprojekt des emsigen Kölners. Er bestreitet den Abend mit Gitarre, Mundharmonika und einem Pianisten. Im November ist Niedecken dann wieder mit großer Kapelle unterwegs, mit seiner Band BAP. Für nächstes Jahr hat Niedecken schon weitere Dylan-Abende terminiert.
Bob Dylan verkrümelt sich hinter seinem Piano
Ihre Rastlosigkeit ist eine der Gemeinsamkeiten von Dylan und Niedecken. In vielen anderen Punkten aber ergeben ihre Auftritte ein spannendes Kontrastprogramm. Der „echte“ Dylan war in Magdeburg wortkarg wie immer, hat das Publikum weitgehend ignoriert, verkrümelte sich – für viele kaum sichtbar – hinter sein Piano, nuschelte zwei-, dreimal so etwas wie „Thank You“ und stellte am Ende wohl seine Mitmusiker vor. Verstanden hat man ihn dabei kaum. Aber: Seine Songs sprachen beeindruckend für ihn. Es war ein großes, bewegendes Konzert, basierend auf seinem jüngsten Album, das er fast komplett darbot.
Wolfgang Niedecken, Deutschlands Dylan-Kenner, -Versteher, -Fan Nummer eins, hat ein anderes Konzept. Er wendet sich seinen Gästen zu. Gefühlt die Hälfte seiner zweieinhalb Stunden auf der Bühne spricht er. Fast eine Viertelstunde dauert es, bis erstmals musiziert wird. Die Wortbeiträge kommen nur zum kleinen Teil spontan, so wie zum Auftakt, als der weitgereiste 71-Jährige das Kurhaus-Ambiente bestaunt („sensationell, noch nie gesehen“). Meist liest Niedecken aus seinem 2021 erschienen Dylan-Buch vor. Der rote Faden darin sind die Dreharbeiten zu dem Fernsehmehrteiler „Bob Dylans Amerika“. 2017 hatte Niedecken für diese Dokumentation des Senders Arte Stationen der Dylan-Lebensgeschichte in den USA besucht. Das Buch und die Konzerte (die bereits auf einer Dreifach-CD festgehalten sind) stellen jetzt quasi die Zweit- und Drittverwertung der damaligen Expedition dar.
Wolfgang Niedecken sammelt in seinem Dylan-Buch Berührungspunkte mit seinem Idol
Niedecken hat mit dem Buch nicht den Fehler gemacht, sich an einer weiteren, unnötigen Dylan-Biografie zu versuchen. Er thematisiert stattdessen anekdotisch sein eigenes Leben und dessen Berührungspunkte mit Dylan. Von der ersten Kenntnisnahme in ganz jungen Jahren („Dylan? Nie gehört“), der Anerkennung als Vorbild („Ohne ihn wäre ich nie Musiker geworden“) bis hin zur persönlichen Begegnung mit dem Idol (die eher ernüchternd verlief). Das trägt Niedecken vor. Und – was nicht jedem Autor gegeben ist – er erweist sich als guter Vorleser. Einer mit Gefühl für Rhythmus und Pointierung. Auch wenn die Besucherin, der Besucher den Text schon mal selber gelesen hat oder auf der CD gehört hat – das Live-Erlebnis sorgt doch noch mal für Spannung.
Die schafft Niedecken auch, wenn er zwischendurch dann Dylan-Songs spielt. Dankenswerterweise lässt er die Finger vom Versuch originalgetreuer Cover. Gemeinsam mit dem Pianisten Mike Herting, dem musikalischen Star des Abends, hat er etwa ein Dutzend Lieder (teils Hits, teils weniger geläufige Werke) neu arrangiert. Herausragend dabei die ruhigen Stücke wie „With God On Our Side“ oder „Only A Hobo“, packend die Umgestaltung von „One More Cup Of Coffee“. Niedecken singt teils in Englisch, teils in Kölsch. Aus „Like A Rolling Stone“ wird „Wie ne Stein“. Manchmal wechselt er im Song die Sprache. Wobei für süddeutsche Ohren die Erfassung des Englischen oft einfacher ist als das Dechiffrieren des Kölner Dialekts.
Den berührenden Song "Leev Frau Herrmanns" singt Wolfgang Niedecken selten
Mit ein Höhepunkt des Programms ist aber kein Dylan-Werk, sondern „Leev Frau Herrmanns“. Der erste Song, den Niedecken je geschrieben hat. Ein kleines, gleichwohl berührendes Lied zum 93. Geburtstag der „lieben Frau Herrmanns“, die der junge Wolfgang als Zivildienstler im Seniorenheim kennengelernt hatte. Viele Jahre schien Niedecken der Song unpassend für seine Auftritte. Jetzt hat er ihn wieder belebt.
Solche Hintergründe zu seinen Werken hat der „echte“ Dylan kaum je preisgegeben. Und selbst wenn, dann nicht so sympathisch und mit einer Prise Selbstironie gewürzt dem Publikum dargeboten. Das kann Niedecken eindeutig besser als sein Idol. Die Fans im ausverkauften Parktheater jedenfalls waren vom erzählenden Musikanten und dem mehr als begleitenden Mann am Klavier begeistert.