Er muss nicht eine Zeile singen, damit sein Publikum in frenetischen Jubel ausbricht. Andreas Gabalier tritt aus dem künstlichen Nebel der Bühnentechnik, wie ein Berggott, der aus den Alpen herabgestiegen ist. Eine Gottheit in Lederhosen, schwarzer Weste und Sonnenbrille, die Gitarre auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet, als wolle er die ganze Welt umarmen. Mit "We Salute You" startet der Steirer in das bisher größte Konzert seiner Karriere.
Der Weg vom Parkhaus zur Arena auf der Münchner Messe gleicht einer Pilgerfahrt. Ein Großteil der Besucherinnen und Besucher hat sich mal mehr, mal weniger traditionell in Tracht geschmissen: Gabalier-Fan-Shirt zur Lederhose, Sneaker zum Dirndl. Einige haben sich wohl den Ratschlag, feste Schuhe anzuziehen, von der Johanniter-Unfall-Hilfe zu Herzen genommen. Die Hilfsorganisation war mit rund 100 ehrenamtlichen Ärzten und Sanitätern vor Ort. Laut Einsatzleiter Markus Bauer hatten sie bei früheren Gabalier-Konzerten schon meterweise Pflaster ausgegeben, "weil Haferlschuhe noch nicht eingelaufen waren oder die Pumps zum Dirndl Blasen verursacht haben". Die beliebtesten Accessoires sind rot-weiß karierte Tücher, Sonnenbrillen in derselben Farbgebung und Leuchtgeweihe aus Gabaliers Fanshop.
Robbie Williams und Helene Fischer sollen auch auf die Bühne in der Messe
Für manche ist der Tag nicht so freudig wie für die Massen, die gut gelaunt in Richtung Konzertgelände spazieren. Ein Mann versucht noch seine Tickets an die Vorbeigehenden zu verkaufen. "Halber Preis", bietet er an. Seine Begleiter hätten sich mit Corona angesteckt. Am Einlass angekommen zeigt sich neben der Größe des Geländes auch ein Problem, das ein Ereignis dieses Ausmaßes mit sich bringt: Die Laufwege sind lang. Wer etwa seine Tickets am Eingang Ost abholen muss, aber zum Eingang West gekommen ist, muss einmal um die ganze Messe herumlaufen.
2019 hat der selbst ernannte "Volks-Rock'n'Roller" aus Österreich noch das Münchner Olympia Stadion mit 72.000 Menschen gefüllt. Jetzt reichte ihm selbst das nicht mehr aus. Sein Landsmann, der Unternehmer Klaus Leutgeb, hat ihm ein Monstrum von Bühne in die Messe Riem in München gestellt, wie es Deutschland noch nicht gesehen hat. Mehr als einen Monat wurde an dem Konzertgelände gebaut mit Tribünen, Boxen und großflächigen Bildschirmen. Damit auch alle Fans Gabalier sehen können, zeigen die Monitore ihn während des Konzerts in Überlebensgröße. Von den dünner besetzten hintersten Rängen ist er auf der Bühne kaum größer als eine Ameise. Neben dem Auftritt des Musikers aus der Steiermark sind noch zwei weitere Mega-Konzerte auf der 150 Meter langen Bühne geplant. Helene Fischer und Robbie Williams dürfen auch noch den Drachen reiten.
Konzert: Andreas: Gabalier erklärte München zum "Epizentrum des Volks-Rock'n'Roll"
Für 150.000 Personen ist das Gelände ausgelegt. Bei Gabaliers Konzert ist es bei Weitem nicht voll, aber über 90.000 Fans sind gekommen. Zur "Volks-Rock'n'Roll-Return-Show" wie der österreichische Musiker das Event nennt, gehört auch das Fan-Festival mit Foodtrucks und Marktständen: ein Volksfest ohne Fahrgeschäfte, auf dem fliegende Händler Bier in Plastikbechern verkaufen und es an fast jeder Ecke einen Breznstand gibt. Hier wurden die ersten Fans schon um 12 Uhr eingelassen, vier Stunden bevor Besucherinnen und Besucher aus allen Ticketkategorien auf das Konzertgelände dürfen – und acht Stunden vor Gabaliers-Auftritt. Der lässt sich nach all dem dann auch nicht einfach von irgendwem ankündigen, sondern von Star-Comedian Mario Barth. Und der, selbst ja einer für die Massen, erzählt davor noch Geschichten aus dem Kreißsaal, um das Publikum zum Lachen zu bringen. Die beiden haben sich, so Barth, nach einer gemeinsamen Show beim gemeinsamen Alkoholgenuss näher kennengelernt. Wie Freundschaften unter solchen Männern nun mal entstehen.
Aber dann, endlich: Gabalier! "Es ist so schön, dass man es nicht glauben kann", sagt der dazu, dass er wieder vor tausenden Menschen auf der Bühne stehen kann. Besonders in der Stadt, die er vor einigen Jahren zum "Epizentrum des Volks-Rock'n'Roll" erklärt hat. Neben dem obligatorischen Schreien des Stadtnamens, fragt sich Gabalier zwischen seinen Liedern, was die Corona-Pandemie und die Maßnahmen mit den Menschen gemacht haben. Seine Fans hat es zumindest nicht abgehalten, auf sein Konzert zu kommen. Niemand trägt Maske und Abstandhalten ist in den ersten Reihen vor der Bühne ohnehin schwer.
Egal, was morgen in den Zeitungen steht, Gabalier muss draufhauen
Was der immer mal wieder umstrittene 37-Jährige sonst so sagt? Zum Beispiel: Für ihn sei es aktuell "eine spannende Zeit", weil er es spannend finde, was über ihn in den Zeitungen stand. In Sachen Corona und so. Und aktuell dazu: "Ganz egal, was morgen in den Zeitungen steht", sagt Gabalier, er müsse für seine Fans draufhauen. Inwiefern? Das heutige Konzert sei "100 Prozent richtig" – während ja auch massenhaft andere Konzerte überall anders stattfinden. Mit erhobener Faust zitiert er dazu auch noch seine eigene Liedzeile, "A Meinung ham, dahinter stehn", ehe er den dazugehörigen Song anstimmt, den er auch schon im Duett mit dem inzwischen reumütig gewordenen und Abbitte leistenden Xavier Naidoo gesungen hat.
Der Rest der Lieder ist eine Mischung aus alten Werken und Neulingen vom neuen Album "Ein neuer Anfang". Natürlich ist in dem zweieinhalbstündigen Programm auch "Hulapalu" dabei. Wo Platz auf dem Konzertgelände ist und nicht alle Fans dicht an dicht stehen, wird mal mehr, mal weniger nüchtern getanzt. In den Pausen zwischen den einzelnen Stücken, wenn Andreas Gabalier mal nicht davon redet, wie "geflasht" er von dem Abend sei, erklärt er den Hintergrund der Songs und erzählt Anekdoten, etwa wie er seiner fünfjährigen Nachbarin Marie während der Pandemie das Gitarrenspielen beibrachte. Und dann ist da wie immer sein generelles Bekenntnis zu traditionellen Werten, für die er stehe – und die Videos im Hintergrund einiger Songs setzen die Tradition ins Bild: ein Heimatfilm-Idyll mit feschen Buam und Madln in Tracht auf der Alm.
Nächstes Gabalier-Konzert in München ist Teil seiner Tour 2023
Bei den langsameren Liedern wünscht sich Gabalier ein Lichtermeer, und das bekommt er auch. Überall auf dem Gelände flackern Handylichter auf. Feuerzeuge hat hier scheinbar niemand mehr. Und bei den schnelleren wird auf der Bühne genug Feuerwerk abgefackelt, um wettzumachen, dass die Leute an Silvester in den Pandemie-Jahren teilweise darauf verzichten mussten.
Für seinen emotionalsten Song erklimmt der Österreicher die oberste Ebene der Bühne und setzt sich an den Flügel. Es ist Still wie bei einer Andacht auf der Messe, als Gabalier "A moi seng ma uns wieder" singt – das Lied, das er seinem verstorbenen Vater und seiner verstorbenen Schwerster gewidmet hat. Fans haben Tränen in den Augen und liegen sich in den Armen. Aber ein Lied später ist die Partystimmung wieder zurück. Gabalier beendet den Abend, wie er ihn begonnen hat, breitbeinig mit ausgebreiteten Armen. Er ist schon sicher: "Dieser Abend geht in die Geschichte ein." Es sei "nicht nur ein Konzert", sondern "kräftiges Lebenszeichen". Das Nächste in München ist schon als Teil seiner Tour 2023 geplant.