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Kommentar: Debatte um kulturelle Aneignung: Fridays For Future sind lebensfern rigoros

Kommentar

Debatte um kulturelle Aneignung: Fridays For Future sind lebensfern rigoros

Wolfgang Schütz
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    Die Musikerin Ronja Maltzahn darf wegen ihrer Frisur nach einem Entschluss von Fridays for Future nicht bei einer Demonstration in Hannover auftreten.
    Die Musikerin Ronja Maltzahn darf wegen ihrer Frisur nach einem Entschluss von Fridays for Future nicht bei einer Demonstration in Hannover auftreten. Foto: Zuzanna Badziong, dpa

    Ganz sicher wollen sie alles ganz richtig machen: Die Leute von Fridays for Future, die da kürzlich Aufsehen erregten, weil sie eine weiße Sängerin aufgrund ihrer Frisur ausgeladen haben – Dreadlocks nämlich stünden für schwarzen Protest.

    Und wie Fridays For Future schreiten ja seit Jahren immer wieder Wohlmeinende mit dem Vorwurf der „kulturellen Aneignung“ gegen irgendetwas ein. Aber gerade, wenn alles dem Ideal nach eben so ganz moralisch richtig, also gut sein soll, ist das Resultat im Handeln mitunter ein besonders schlechtes.

    Das zeigt sich meist schon an der Oberfläche. Und nicht nur im Fall einer schon mehrfach beanstandeten Frisur, die im Lauf der Kulturgeschichte aber bereits für so viele Glaubens-, Protest- und Stilbekenntnisse gestanden hat, dass eine eindeutige Zuweisung nun selbst einer Aneignung gleichkommt. Nicht selten wirkt es dabei, als habe vor den absoluten Ansprüchen der Gegenwartsaktivisten die Geschichte zu schweigen, sonst würde das Bild von Moral und Wirklichkeit bloß unangenehm diffus.

    Moral als eine Kraft, die Gutes will und Böses schafft?

    Die Künstlerin Dana Schulz wurde Ziel der Empörung, weil sie den schwarzen Jungen Emmett Till im Sarg gemalt hat, der 1955 von zwei Rassisten getötet worden war. Es wurde mitunter sogar die Zerstörung des Bildes gefordert, denn die Malerin ist weiß. Wie der Sängerin von Fridays for Future angeboten wurde aufzutreten, wenn sie sich den Kopf rasiere.

    Eine Vorzeigemoral, die sich so gegen Freiheit in Kunst und Leben stellt und gegen das historisch ja stets bedeutsam Gewesene wendet, dass gerade auch Menschen, die nicht Betroffene einer Unterdrückung sind, sich gegen diese engagieren: Kann das eine gute Moral sein? Eine, die wirklich taugt, eine Schneise zwischen Gut und Böse ins kulturelle Referenzdickicht der Moderne zu schlagen?

    Auch das heute hierzulande hippe Attribut, „woke“ zu sein, also umfassend wachsam ums Richtige bemüht, ist ja eine kulturelle Aneignung, weil „Wokeness“ aus der schwarzen Anti-Rassismusbewegung von vor bald hundert Jahren stammt …

    Auf den Grund dieser Widersprüche an der Oberfläche führt ein bemerkenswerter Satz von Barack Obama (der Dreadlocks tragen dürfte). Am Ende seiner Präsidentschaft und angesichts der Tatsache, dass ihm Trump ins Amt gewählt nachfolgen würde, fragte er: „What if we were wrong?“ Was, wenn wir uns geirrt haben? Und meinte: Was, wenn gerade der Versuch, das der liberalen Überzeugung nach Richtige und Gute in der Gesellschaft zum Durchbruch in Herrschaft zu setzen, das Gegenteil bewirkt hat? Spaltung erzeugt, die Gegner gestärkt, die Untauglichkeit des Ideals gezeigt.

    Und wenn Firmen plötzlich mit queerem Regenbogen werben?

    In der Moral entscheidet nicht die Erhabenheit des Standpunkts, sondern die Lebenspraxis. Das sollte gerade Fridays for Future nicht vergessen. Eine moralische Haltung hat keine 99-prozentige Sicherheit wie ein Befund der Klimawissenschaft. Und lebensferner Rigorismus wie in Debatten um „kulturelle Aneignung“ liefert nicht nur Gegenkräften Futter, sondern verprellt auch Sympathisanten, schadet damit der Sache selbst.

    Sogar rein oberflächliche Aneignungen wie die des (heute) queeren Regenbogens durch Firmen für Imagewerbungen ist viel mehr als eine verlogene Heuchelei. Sie ist ein Indiz, wie mächtig und wichtig die Interessen der Gruppe heute sind.

    Wer jeder Kultur nur ihre ureigensten Bezüge zugesteht und Moral nur in Reinform akzeptiert, wird jedenfalls nur in immer kleineren Gruppen Zusammenhalt herstellen, ideologische Gräben vertiefen und sich dem Charakter der entscheidenden Komponenten der Gesellschaft entfremden: dem Leben und der Politik. Richtig kann daran dann nichts mehr sein.

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