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Kommentar: Jetzt der Nobelpreis für Salman Rushdie?

Kommentar

Jetzt der Nobelpreis für Salman Rushdie?

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    Der Schriftsteller wird seit Jahrzehnten von religiösen Fanatikern verfolgt.
    Der Schriftsteller wird seit Jahrzehnten von religiösen Fanatikern verfolgt. Foto: Henning Kaiser, dpa

    Am 6. Oktober wird bekannt, wer in diesem Jahr den Nobelpreis für Literatur erhält. Geht es nach dem französischen Schriftsteller Bernard-Henri Lévy, sollte das Komitee sofort aufhören, sich darüber Gedanken zu machen. Niemand nämlich verdiene den Nobelpreis heute mehr als Salman Rushdie. Dem Kämpfer für das freie Wort gebühre nach dem feigen Anschlag auf sein Leben eine Wiedergutmachung. Er, Lévy, werde sofort mit einer Kampagne beginnen.

    Salman Rushdie liegt schwer verletzt im Krankenhaus

    Dass der großartige Schriftsteller Rushdie die Ehrung verdient hätte wie so viele andere großartige Schriftstellerinnen und Schriftsteller, steht außer Frage. Ob er selbst diese als Wiedergutmachung empfinden würde, ob es überhaupt eine Wiedergutmachung geben kann, weiß gerade niemand zu beantworten. Rushdie, der nach dem Attentat noch schwer verletzt im Krankenhaus liegt, hat sich dazu noch nicht geäußert. Und von etwas „Gutem“ in diesem ganzen Zusammenhang zu sprechen ist ohnehin schwierig.

    Wer schreibt, wahrhaft schreibt, braucht Mut. Daran hat sich in den 33 Jahren, seitdem der greise Khomeini seinen grausamen Fluch über den Autor der „Satanischen Verse“ verhängte, nichts geändert. Weltweit sitzen Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Haft oder sind Repressalien ausgesetzt, weil sie das freie Wort gegen Unrechtsregimes, Diktatoren, Despoten, Populisten und religiöse Fanatiker verteidigen. Weil sie sich trauen, wie um ein aktuelles Beispiel zu nennen, die Autorin Tsitsi Dangarembga, die heute in Simbabwe ihren Urteilsspruch erwartet. Dangarembga, vor zwei Jahren bei regierungskritischen Protesten verhaftet, wird öffentlicher Aufruf zur Gewalt, Friedensbruch und Bigotterie vorgeworfen. Ihr drohen mehrere Jahre Haft. Dangarembgas Fall ist nur einer von den unzähligen, die Aufgaben für das PEN-Zentrum werden immer mehr. Darauf hat zuletzt auch Eva Menasse von PEN Berlin aufmerksam gemacht und mehr Engagement europäischer Regierungen für gefährdete Autoren gefordert – und damit vielleicht jetzt mehr Gehör gefunden als so viele vor ihr.

    Schreiben bedeutet, sich verletzlich zu machen

    Wer schreibt, braucht Mut. Auch dort, wo Schriftstellerinnen und Schriftstellern zwar natürlich nicht das Schlimmste droht, kein Tod wie in Mexiko, keine Haft wie in der Türkei, keine Peitschenhiebe wie in Saudi-Arabien, aber dafür Veröffentlichungsverbot, Rufschädigungen, Shitstorms. Wahrhaftes Schreiben bedeutet, sich verletzlich zu machen, sich zu offenbaren, sich hinauszulehnen, etwas zu wagen – überall auf dieser Welt. Und wem das zu pathetisch klingt, der sei doch kurz daran erinnert, dass „Die Satanischen Verse“ in Deutschland, wo man nun schnell das Taschenbuch nachdruckt, ohne die Namen der Übersetzenden erscheint – zu ihrem Schutz.

    Auch wer liest, braucht Mut. Aber nur einen kleinen, den Mut, sich Überforderndem, Abgründen und vielleicht unangenehmen Selbsterkenntnissen zu stellen. Den Aufruf des Kollegen Daniel Kehlmann, jetzt Rushdie zu lesen und sein Buch zurück in die Bestsellerlisten zu befördern, würde der so selbstironische Autor vermutlich mit einer humorvollen Bemerkung quittieren. Wenn es denn eine Wiedergutmachung geben kann, dann aber vielleicht noch am ehesten diese. Oder der Nobelpreis? Mehr Ruhm für den Freigeist Rushdie? Als ob das ginge. Mehr Ruhm aber würde es dem zuletzt ins Strudeln geratene Komitee bringen, weil die Wahl tatsächlich Mut erfordern würde. Jetzt sogar noch etwas mehr. Eine mutige gute Wahl, geht es besser?

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