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Kommentar: Diese Documenta ist ein demokratisches Experiment

Kommentar

Diese Documenta ist ein demokratisches Experiment

Richard Mayr
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    Besucher gehen im Hallenbad Ost an Werken der indonesischen Künstlergruppe "Taring Padi" vorbei. Die internationale Kunstausstellung "documenta fifteen" findet bis zum 25. September in Kassel statt.
    Besucher gehen im Hallenbad Ost an Werken der indonesischen Künstlergruppe "Taring Padi" vorbei. Die internationale Kunstausstellung "documenta fifteen" findet bis zum 25. September in Kassel statt. Foto: Dpa / Boris Roessler

    Politischer denn je: Die „documenta fifteen“ in Kassel will in großen Teilen keine Kunstausstellung im herkömmlichen Sinn mehr sein. Sie verweigert sich konsequent den Prinzipien des Kunstmarkts und formuliert im 21. Jahrhundert ein gänzlich anderes Prinzip von künstlerischer Autorschaft. Nicht mehr der Einzelne schafft da (notfalls mit den nie namentlich genannten Helferinnen und Helfern im Hintergrund) Unikate für den Markt, sondern Kollektive erschaffen etwas, das erst im Leben seinen Kunstcharakter bekommt. Damit treffen die Kuratoren und die beteiligten Gruppierungen den wunden Punkt der Zeit.

    Ob die „documenta fifteen“ künstlerisch fruchtbar ist oder nicht, darüber kann man sich die nächsten hundert Tage getrost streiten. An den grundsätzlichen Fragen, die in der Documenta aufgeworfen werden – etwa nach der Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, aber auch dem System – kommt man nur schwer vorbei.

    Documenta 2022 entzieht sich der herkömmlichen Kunstwahrnehmung

    Die „documenta fifteen“ zeigt, dass es einen himmelweiten Unterschied macht, ob einer der globalen Großkuratoren ein Best-of des gegenwärtigen Kunstmarkts zusammenträgt oder ein Kollektiv andere Kollektive einlädt und das zur Verfügung stehende Budget in Absprache mit allen teilt. Das indonesische Kuratorenteam ruangrupa hat eine Documenta geschaffen, die sich der herkömmlichen Kunstrezeption in unseren Breiten entzieht und manchem Galerie- und Museumsbesucher sicher viele Fragen – vielleicht auch unlösbare – stellen wird.

    Die „documenta fifteen“ entstand in der Zusammenarbeit vieler Kollektive. In der Karlsaue präsentiert der Künstler Takashi Kuribayashi seine Kräutersauna.
    Die „documenta fifteen“ entstand in der Zusammenarbeit vieler Kollektive. In der Karlsaue präsentiert der Künstler Takashi Kuribayashi seine Kräutersauna. Foto: Andreas Fischer/epd/Imago Images, Rüdiger Heinze, Richard Mayr

    Aber das Warum hinter dieser Schau ist glasklar. Diese Documenta wirkt wie ein Weckruf. Da geht es um mehr, zum Beispiel den Kapitalismus, der im hochpreisigen Kunstmarkt in seiner Reinform zu beobachten ist. Teuerste Kunst gehört nicht nur zu den extravaganten Statussymbolen, sondern erfüllt auch die Voraussetzung für erstklassige Spekulationsobjekte. Wenn die Kunst dann zwar politisch mahnt und anklagt, später aber wieder dem Markt neue Nahrung gibt, hat das mit dem Politischen in der Kunst etwas Wohlfeiles.

    Kapitalismus kann sich bestens mit korrupten Regierungen arrangieren

    Dieser Documenta kann man das nicht vorwerfen. Hört man ihr zu, öffnet man sich ihren Anliegen, geht es oft um die großen Probleme der Welt – dargeboten allerdings überwiegend nicht aus der westlichen Perspektive, sondern von Kollektiven und Gruppen aus dem globalen Süden, die unverhohlen die Systemfrage stellen: Für sie ist Kapitalismus nichts, das fest zur Demokratie gehört. Sie wissen, dass der Kapitalismus sich bestens mit korrupten Regierungen oder Diktaturen arrangieren kann, oft zum Schaden von großen Teilen der Bevölkerung. Die Gewinne werden dann nämlich mit vielen, sondern nur unter wenigen aufgeteilt.

    Oder – das weltweite Thema – der Klimawandel: Dieser hat vor allem durch die Industrialisierung und damit verbunden die Förderung fossiler Brennstoffe seine unfassbare Geschwindigkeit und Dynamik bekommen. Der Klimawandel kann also historisch als das Vermächtnis des Industriekapitalismus gelten, der seine ökologischen Folgen nie ins System eingepreist hat. Selbst heute wird die Kohlendioxid-Steuer wegen der wirtschaftlichen Widerstände nur zaghaft und nicht weltweit eingeführt.

    Das Kunstwerk des Kollektivs Gudskul auf der Documenta fifteen.
    Das Kunstwerk des Kollektivs Gudskul auf der Documenta fifteen. Foto: Imago

    Diese Documenta zeigt, dass das Unbehagen an diesen Zuständen groß ist. Gleichzeitig führt sie vor, dass es andere Organisations- und Teilungsformen gibt, mit denen auch Großereignisse wie die Documenta trotz des Apparats im Hintergrund und der Erwartungen, die mit ihr verknüpft sind, in etwas gänzlich anderes verwandelt werden können: statt Weltkunstausstellung ein weltweites, durch und durch demokratisches Experiment mit Vorbildfunktion.

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