Wenigstens eines ist jetzt erreicht, mit dem gestrigen Beschluss des Zweckverbandes des Otfried-Preußler-Gymnasiums in Pullach: Klarheit. Das Staatliche Gymnasium soll nicht mehr den Namen des bekannten und beliebten Kinder- und Jugendbuchautors tragen. Nach der einstimmigen Entscheidung auf Namensänderung am Mittwoch und den vorherigen Abstimmungen schon in Eltern-, Schüler- und Lehrerschaft sowie dem Pullacher Gemeinderat liegt die endgültige Entscheidung nun bei Kultusministerin Anna Stolz, die den Antrag „mit der nötigen Sensibilität“ prüfen will.
"Die kleine Hexe" löst ihre Konflikte mit zweifelhaften Strategien
Das wäre schön! Angebracht wäre aber auch, wenn dann nicht mehr an den Haaren herbeigezogene Argumente wie jene, die die Schulleitung des Pullacher Gymnasiums unter anderem ins Spiel gebracht hatte, in die Waagschale geworfen würden: dass die Titelfigur in „Die kleine Hexe“ ihre Konflikte mit zweifelhaften Strategien wie Hexerei löst oder dass Otfried Preußlers pädagogische Vorbildhaftigkeit in Zweifel zu ziehen sind, weil er sich einmal über den anödenden Schulbetrieb geäußert hatte. Preußler, der von vielen Menschen, die ihn erlebt haben, als Dorfschullehrer mit Leib, Seele und Herz beschrieben wird. Dass seit über zwei Jahrzehnten Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich von einem Internatszögling aus England verzaubern lassen, scheint an der Schule in Pullach im Übrigen vorbeigegangen zu sein.
Wirklich sensibel aber sollte die Kultusministerin mit dem Argument umgehen, dass die Vergangenheit Preußlers in der Nazizeit einen Schatten auf seinen Ruf wirft. So war er nicht nur ein begeistertes Mitglied der Hitlerjugend in seiner böhmischen Heimat Reichenberg, sondern schrieb als 17-Jähriger als erstes literarisches Werk die verherrlichende Erzählung „Erntelager Geyer“. Es wäre aber gut, wenn man dies auch im Zusammenhang mit seiner böhmischen Herkunft sehen würde. Preußler wurde als Angehöriger einer deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei in einem Umfeld groß, das deutschnational orientiert war, die sogenannte „Heimkehr ins Reich“ mehrheitlich bejubelte – auch in der eigenen Familie. 1944, als „Erntelager Geyer“ veröffentlicht wurde, kämpfte der junge Mann bereits als Soldat in Russland und hatte alle Illusionen über das faschistische Nazi-Regime verloren. Unter dem Eindruck der Kriegsgräuel und von fünf Jahren in russischer Gefangenschaft legt der weitere Weg des Lehrers und späteren Schriftstellers Otfried Preußler aber deutlich Zeugnis ab von seiner Haltung, die durch Weltoffenheit, Toleranz und Humanität geprägt war.
Otfried Preußler hat sich nie von seinem Erstling "Erntelager Geyer" distanziert
Über seine Vergangenheit, die Erlebnisse im Krieg, inwieweit er in damit einhergehende Verbrechen verwickelt war, darüber hat Preußler nach heutigem Wissen nicht gesprochen oder geschrieben. Sich also nicht explizit distanziert, das ist wahr. Auch seine erste Erzählung verschwieg er, ließ vielmehr sein Werk immer mit "Der kleine Wassermann" offiziell beginnen.
Dass er die Ereignisse aber aufgearbeitet hat, dafür legt sein schriftstellerisches Werk Zeugnis ab. Da ist „Die kleine Hexe“, die zweifelhaften Obrigkeiten widerspricht, da gibt es vor allem „Krabat“, den Jugendroman, in dem die Verführung junger Menschen durch dunkle Mächte so meisterhaft thematisiert wird und den Preußler selbst einmal als den „Roman seiner Generation“ bezeichnet hatte. Wie sehr er da mit der eigenen Vergangenheit ringen musste, zeigt die langjährige Entstehungszeit dieses virtuosen Werks.
Dass die Kultusministerin trotzdem über die Beschlüsse der verschiedenen Gremien hinweg entscheiden und die Namensänderung ablehnen wird, ist wohl nicht zu erwarten. Das sollte sie nun am besten zügig erledigen, damit die unselige Verbindung zwischen dem Gymnasium Pullach und dem Schriftsteller Otfried Preußler schnell wieder aus der Welt ist. Denn erstens bietet eine endlose Debatte rechten Kräften reichlich Stoff, sich wieder einmal gegen die „woke Elite“ in Stellung zu bringen. Und zweitens, und das wiegt noch wesentlich schwerer, beschädigt sie das Ansehen eines Autors, der dafür gesorgt hat, dass Kinder in Deutschland mit Büchern aufwachsen, die ihren Geist, ihre Fantasie und Leselust fördern. Und sie damit auch ein wenig gegen Gleichmacherei, Dummheit, Intoleranz und falsche Autoritäten wappnen.