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"Knife" von Salman Rushdie: Eigentlich eine Liebeserklärung

Literatur

Das verletzte Glück des Salman Rushdie: So liest sich sein Memoir "Knife"

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    Autor Salman Rushdie veröffentlicht sein jüngstes Buch «Knife», in dem er ein auf ihn verübtes Attentat und dessen Folgen literarisch verarbeitet.
    Autor Salman Rushdie veröffentlicht sein jüngstes Buch «Knife», in dem er ein auf ihn verübtes Attentat und dessen Folgen literarisch verarbeitet. Foto: Arne Dedert/dpa Pool, dpa

    Salman Rushdie sitzt im Gefängnis. Ihm gegenüber gefesselt der Attentäter, der am 12. August 2022 in Chautauqua, einem gemeinnützigen Bildungszentrum am Eriesee, versuchte, das Lebens des Schriftstellers auszulöschen. Er fragt den Mann: „Was, wenn ich Ihnen sagen würde, dass sich mein Buch, das Sie hassen, obwohl Sie nur zwei Seiten daraus gelesen haben, vor allem um eine mit viel Liebe dargestellte muslimische Familie dreht, die im Osten Londons ein Restaurant führt?“ Er versucht ihn zu verstehen. „Sie sind gerade mal vierundzwanzig Jahre alt. Das ganze Leben liegt noch vor Ihnen. Warum waren Sie bereit, das alles zu zerstören? Ihr Leben. Nicht meines.“

    Neues Buch von Salman Rushdie: "Auf Gewalt wollte ich mit Kunst antworten"

    Dieses Gespräch hat nie stattgefunden. Nur im Kopf von Salman Rushdie, nachzulesen im am Dienstag weltweit erschienenen Memoir „Knife“. Auf 256 Seiten versucht der amerikanisch-britische Autor Salman Rushdie, das Unfassbare zu fassen, zu verstehen, es hinter sich zu lassen. Stellt sich also auch in seiner Fantasie die Begegnung mit dem Mann vor, der ihn töten wollte, um auch ihn dann zurückzulassen und sich wieder dem nächsten Roman widmen zu können. Denn das ist ihm wenige Wochen nach dem Attentat bereits klar: "Erst wenn ich mich mit dem Auf Gewalt wollte ich mit Kunst antworten.

    Rushdie beschreibt in "Knife" die Nacht vor dem Attentat

    Zurück also noch mal in den Sommer 2022, die Nacht vor dem Attentat: Salman Rushdie, 75, badet im Mondlicht und ist ein glücklicher Mann. Sorgenfrei, erfolgreich, demnächst wird sein 22. Roman erscheinen, und verliebt. Fünf Jahre zuvor hat er die Lyrikerin und Fotografin Rachel Eliza Griffiths kennengelernt, mittlerweile seine Ehefrau. Ihre Beziehung halten sie, so weit es geht, aus der Öffentlichkeit heraus, keine sozialen Medien. „Glück“ schreibt er einmal als Ein-Wort-Satz. Er wird in dieser Nacht früh zu Bett gehen. „Und während er schläft, stürzt die Zukunft auf ihn ein“, schreibt der Booker-Preisträger, um sich sogleich zu korrigieren. Denn was da auf den Mann, sprich ihn, einstürzt, ist ja die Vergangenheit, „ein mörderischer Geist aus dem letzten Jahrtausend“, ein 30 Jahre alter Mordaufruf in die Welt geworfen nach Erscheinen seines Romans „Die satanischen Verse“. 

    Vor Salman Rushdies Zuhause lauern die Paparazzi

    Rushdie erzählt in Ich-Form, erinnert, fragt, kommentiert, assoziiert, blickt aber auch manchmal als dissoziierter Erzähler auf sich selbst. Warum eigentlich hat er sich nicht gewehrt, nur die Hand zum Schutz erhoben? Weil, als die Gewalt auf ihn zulief, seine Realität zerfiel: „Es wird vielleicht nicht sonderlich überraschen, dass ich in den wenigen Sekunden, die mir blieben, nicht wusste, was ich tun sollte“. Er beschreibt detailliert seine Verletzungen, sein aus dem Augapfel quellendes Auge, das blind bleiben wird, Flüssigkeit in der Lunge, eine zerschnittene Schreibhand, Schmerzen und Schwäche. „Ihr größtes Glück war, dass der Mann, der sie angriff, keine Ahnung davon hat, wie man einen Menschen mit einem Messer umbringt“, wird ihm ein Arzt sagen. Er erzählt vom Abtransport in einem Hubschrauber, der für ihn beschämenden Frage nach seinem Gewicht vor dem Abflug: „In den letzten Jahren war mein Gewicht geradezu explodiert…“ und von den unausweichlichen körperlichen Demütigungen als Patient. Als er nach Monaten das Krankenhaus wieder verlassen kann, zieht er erst einmal in die Wohnung von Freunden – weil die Paparazzi vor dem eigenen Domizil lauern.

    Er beschreibt, wie ein glücklicher Mann am 12. August ins Unglück gestürzt wird. Und weil Salman Rushdie ein Schriftsteller ist, wird daraus auch eine Art kleiner literaturwissenschaftlicher Exkurs, ob das eigentlich geht, übers Glück schreiben – oder ob es sich damit so verhält, wie der Schriftsteller Henry de Montherlant einst mutmaßte: „Das Glück schreibt mit weißer Tinte auf weiße Seiten.“ Bleibt also unsichtbar. Zig Seiten später führt einen Rushdie in die nächste Gedankenschleife, dem Glück des Überlebenden, dem Glück der zweiten Chance… 

    Was Rushdie vor allem ärgert: "Das Messer definiert mich"

    Wie schwer hat das Attentat den Schriftsteller Rushdie getroffen? Es ärgert ihn vor allem, dass er wieder zurück aufs ungewollte Terrain gezogen wird. Es von seinen 22 Büchern wieder nur um das eine gehen wird und er von nun an immer der sein werde, "der mit dem Messer angegriffen wurde. Das Messer definiert mich. Ich kann mich dagegen wehren, fürchte aber, ich werde den Kampf verlieren." Die Antwort auf die Frage, wie sich das alles auf sein Schreiben auswirken werde, lautet für ihn daher: "Es wird sich darauf auswirken, wie meine Bücher gelesen werden. Oder nicht gelesen werden. Oder beides". Er müsse das akzeptieren, wie auch seine Rollen in der Öffentlichkeit – Partylöwe, Dämon oder auch Ikone der freien Meinungsäußerung. Ein letztes Mal aber wolle er sich jetzt zur Religion äußern. "Im Privaten kann jeder glauben, was er will. In der rauen Welt der Politik und des öffentlichen Lebens darf keine Idee unangreifbar und gegen jede Kritik gefeit bleiben."

    "Ein Buch, das ich lieber nicht hätte schreiben müssen", schreibt Rushdie

    Nachdenklich, traurig, sarkastisch, nur nicht wütend zeigt sich Rushdie in dieser literarischen Abrechnung, die sich dann aber vor allem wie eine große Liebeserklärung liest: an jene Menschen, die ihn vor Ort noch vor dem Sterben bewahrten, an seine Familie, seine Kinder und insbesondere an seine Frau. Wenn das Glück so tief verletzt wurde, kann es wieder ganz heilen? Auch das ist eine Frage, der Rushdie nachgeht. Und antwortet mit Nein. "Es war ein verletztes Glück, und in einer seiner Ecken lauerte ein Schatten, vielleicht für immer. Trotzdem war es ein starkes Glück, und während wir uns umarmten, wusste ich, es würde genügen". 

    Was den Attentäter betrifft, Salman Rushdie gibt ihm keinen Namen. Er bleibt A. wie A... Und was das Memoir betrifft, erklärt er dies: "Ehrlich gesagt, es ist und bleibt ein Buch, das ich lieber nicht hätte schreiben müssen." 

    Salman Rushdie: Knife – Gedanken nach einem Mordversuch". Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin Verlag, 256 Seiten, 25. Euro

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