"Hamlet", Shakespeares Dänenprinzendrama, ist einer jener Schauspielstoffe, von dem die Komponisten lieber die Finger lassen – zu imposant, ja kaum lösbar erscheinen die Ansprüche einer Vertonung, selbst ein Shakespeare-Spezialist wie Verdi hat da letztlich klein beigegeben. Dass dennoch im Lauf der Zeiten die ein oder andere "Hamlet"-Oper entstand, ändert nichts am Mythos des scheinbar kaum angemessen ins Musiktheater zu transferierenden Stücks.
Brett Dean aber hat es getan, hat das tiefen Fragen des Seins nachspürende Drama zur Oper "Hamlet" geformt, uraufgeführt 2017 bei den Opernfestspielen im englischen Glyndebourne, deren Musikchef damals Vladimir Jurowski hieß und der inzwischen Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper ist. Jetzt hat die zweiaktige Vertonung durch den gebürtigen Australier Dean die Münchner Opernfestspiele eröffnet, nicht in einer Neuinszenierung, sondern in einer Übernahme der sechs Jahre alten Glyndebourne-Produktion.
Deans "Hamlet" bewegt sich im Zeitgenössisch-Üblichen
Die Erwartungen waren hochgestimmt, wurden vom faktisch Präsentierten dann aber heruntergeregelt, schon nach der Pause blieben einige zuvor besetzte Publikumsplätze im Nationaltheater leer. Was keineswegs daran lag, dass die Musik so unzugänglich gewesen wäre; nein, Deans "Hamlet"-Partitur bewegt sich, bei allem vernehmbaren Willen zu eigenständiger Gestaltung, nicht über den Rahmen des Zeitgenössisch-Üblichen hinaus. Was ihr jedoch fehlt, ist eine – und gerade bei diesem Plot – entwicklungsfähige Dramaturgie. In dem gut dreistündigen Werk gibt es allzu wenige Momente, in denen der Komponist einem szenischen Moment seinen besonderen Stempel aufzuprägen vermag. Stattdessen beherrscht ein über weite Strecken vorherrschendes Parlando die sängerische Textur dieser Oper, zu wenig, um die Spannung zu halten oder gar noch zu steigern.
Womöglich war es vom Librettisten Matthew Jocelyn auch gar keine so gute Idee, Shakespeares sakrosankte Dramenverse in originaler Diktion zu belassen und den Dramentext lediglich zu kürzen beziehungsweise neu zu schichten. Der sehr wohl verständliche Respekt vor dem Stück Weltliteratur erweist sich so als Hemmschuh für die musiktheatralische Zuspitzung, das Konzept einer Literaturoper geht in diesem Falle nicht auf.
"Hamlet" bei Münchner Operfestspielen: Regie zugunsten plausibler Figuren
Die Inszenierung von Neil Armfield hat weder mit Tagesaktualisierungen noch mit Stückdekonstruktion etwas im Sinn, sie ist dienlich dem Bühnengeschehen insofern, als sie sich vor allem auf die Plausibilität der Figuren besinnt. Das gilt auch für die zurückhaltende Bühnengestaltung, die großteils das Interieur eines klassizistisch inspirierten Schlosses mit hohen Türen und Fenstern und cremeweißen Wänden zeigt.
Sänger und Sängerinnen, etliche von ihnen schon in Glyndebourne mit Deans "Hamlet" vertraut, sind nicht nur stimmlich hervorragend, sondern auch gestalterisch. König Claudius (Rod Gilfry), Polonius (Charles Workman) und Laertes (Sean Panikkar) liefern interessante Charakterstudien, bei Sophie Kochs Königin Gertrude wäre jedoch noch eine Spur mehr Lady-Macbeth-Kälte wünschenswert. Tenor Allan Clayton gestaltet die Titelrolle zwar machtvoll, die zunehmende Gemütseintrübung der Titelfigur aber bleibt er dann doch schuldig – während er als metzelnder finaler Rächer mit dem Degen fulminant aufzudrehen vermag.
Eindeutig geht die sängerdarstellerische Krone dieser Produktion an Caroline Wettergreen für ihre Ophelia. Virtuos die Stimme führend, gestaltet sie den Rollen-"Wahnsinn" der allseits enttäuschten und verlassenen jungen Frau als hochexpressive Entäußerung: Einer der seltenen Momente der Aufführung, die einen mitfühlend in Bann zu schlagen vermag.
Weitere Aufführungen 1., 5., 9. und 12. Juli.