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Kino: Wie Regisseur Martin Scorsese Hollywood neu erfand

Kino

Wie Regisseur Martin Scorsese Hollywood neu erfand

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    Der eine ist ohne den anderen kaum vorstellbar: Martin Scorsese (links) und Schauspieler Robert de Niro, Star zahlreicher Filme des Regisseurs.
    Der eine ist ohne den anderen kaum vorstellbar: Martin Scorsese (links) und Schauspieler Robert de Niro, Star zahlreicher Filme des Regisseurs. Foto: Abdeljalil Bounhar, dpa

    Mit seinen Filmen brach eine neue Zeitrechung in Hollywood an. Martin Scorsese gehört zu der Generation von jungen Regisseuren, die einen neuen Ton anschlugen, die nach dem goldenen Hollywood-Zeitalter etwas Neues schufen. Bei Scorsese standen Antihelden grell im Scheinwerferlicht - erst Mafia-Mitglieder in New York, dann dieser unheimliche und psychopathische Vietnam-Heimkehrer Travis Bickle, ein nach Erlösung Suchender, der sich heillos verirrt, der sich zum Retter einer minderjährigen Prostitutierten aufschwingen will und doch nur ein Blutbad anrichtet. „Taxi Driver“ hieß der Film 1976, mit dem nicht nur Scorseses Stern endgültig aufging, sondern auch noch der von Robert De Niro und Jodie Foster in den beiden wichtigen Rollen des Films.

    Für das Hollywood-Kino war das unerhört, eine Radikalkur. Aber als Scorsese nur vier Jahre später wohl sein größtes Meisterwerk, wieder mit Robert De Niro in der Titelrolle, vollbrachte, hatte Hollywood bereits eine andere Abzweigung genommen, hatte mit Luke Skywalker aus George Lucas´ „Star Wars“ das Gute wieder ein Gesicht bekommen, bekam mit Steven Spielberg das Blockbuster-Kino eine immer größere Bedeutung.

    Der Mann, der dem Hollywood-Kino eine neue Richtung wies: Filmregisseur Martin Scorsese.
    Der Mann, der dem Hollywood-Kino eine neue Richtung wies: Filmregisseur Martin Scorsese. Foto: Stringer, dpa

    Bei Scorsese ist Boxen etwas Gewalttätiges

    Und so wurde 1981 nicht „Wie ein wilder Stier“ bei der Oscar-Verleihung zum besten Film gekürt, sondern Robert Redfords „Eine ganz normale Familie“. Falscher lag die Academy bei ihren Entscheidungen nur selten. Aber wahrscheinlich wollte man nach „Rocky“ nicht schon wieder einem Boxerfilm die Ehre geben. Allerdings ist Scorseses „Wie ein wilder Stier“ etwas vollkommen anderes: Die Kämpfe bei Scorsese sind schmerzhaft brutal, halten in Details, mit Zeitlupen, Zeitrafferaufnahmen und Standbildern fest, wie viel Gewalt im Ring stattfindet. Und aus dem durchtrainierten Weltmeister, den De Niro zwischendurch spielt, wird später ein aufgedunsener drittklassiger Entertainer. Zur großen Kunst wird das, weil Scorsese seine Antihelden nicht preisgibt, sondern ihnen mit Sympathie und Verständnis folgt. Es sind die Ausgestoßenen, die Freaks, die Scheiternden, von denen so viel zu lernen ist.

    Wenn Scorsese am Donnerstag seinen 80. Geburtstag begeht, feiert einer der großen, legendären Hollywood-Regisseure, der auch mit den Oscars spät seinen Frieden machen konnte. Dass er nicht für seine Meilensteine ausgezeichnet worden ist, sondern für das Remake „Departed - Unter Feinden“ (2006), erscheint heute nur noch als Petitesse.

    Scorsese war auch ein Ausgestoßener – wider Willen

    Der Film und das Kino bekamen bei Scorsese früh eine entscheidende Bedeutung. Wegen seines schweren Asthmas verbrachte er seine Tage als Kind nicht draußen auf den Straßen New Yorks mit anderen Kindern, sondern allein in Kinosälen. Er war so ein Ausgestoßener wider Willen, der im Hollywood-Kino der späten 1940er und 1950er Jahre seine Abenteuer, seinen Zeitvertrieb, aber auch seine Inspiration fand.

    Sein Heil suchte Scorsese dann später erst einmal nicht beim Film, sondern in der Kirche. Allerdings scheiterte er früh an einer Prüfung, wurde deshalb nicht Priester, schwenkte um auf den Film und strebte fortan in den Filmolymp. Dass das Religiöse ihn auch später umtrieb, zeigte etwa seine Verfilmung von Nicos Kazantzakis‘ Roman „Die letzte Versuchung“, die als „Letzte Versuchung Christi“ auch zu Protesten und Boykott- sowie Verbotsaufrufen führte. Denn Scorsese zeigte da eben nicht den selbstsicheren Erlöser, sondern einen Scorsese Charakter, einen an sich und seinem Auftrag zweifelnden Menschen.

    Nur am Anfang seiner Karriere war Scorsese das, was man hierzulande einen Autorenfilmer nennt, also einer, der seine eigenen Stoffe mitschrieb. Das machte er bei seinem ersten Erfolg „Mean Streets“ (zu Deutsch „Hexenkessel“). Es ist Scorseses erstes Mafia-Drama, spielt im New Yorker Stadtteil Little Italy und war der Beginn der jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit Robert De Niro und Harvey Keitel.

    Eines der Markenzeichen von Scorsese waren Mafia-Filme

    Scorsese entwickelte sich von da an zu einem klassischen Regisseur im arbeitsteiligen Hollywood-Produktionssystem. Seine Drehbücher schrieben andere, sehr oft Paul Schrader. Eines seiner Markenzeichen waren Mafia-Filme: Auf „Hexenkessel“ (1974) folgten „Good Fellas“ (1990), „Casino“ (1996) „The Departed - unter Feinden“ (2006) und sein Spätwerk „The Irishman“ (2019). In all diesen geht es auch brutal zu, immer aber bleibt die Gewalt abschreckend, schockierend, verstörend, hält Scorsese der Versuchung stand, es sich mit ihr einfach zu machen. Vielmehr zeigt er, wie seine Figuren durch die Gewalt selbst korrumpiert und zerstört werden, selbst wenn man sie nur duldet wie der Casino-Geschäftsführer Sam Rothstein in „Casino“.

    Vielleicht liegt es an Scorseses frühen großen Erfolgen, dass sein Publikum eine gewisse Erwartungshaltung gegenüber Scorsese-Filmen hatte. Immer, wenn Scorsese die zum Beispiel durch die Wahl eines überraschenden Stoffes hinterlief, wurde es an der Kinokasse schwierig. Ein frühes Herzensprojekt von ihm war zum Beispiel das Musical „New York, New York“ (1977) mit Liza Minnelli und Robert De Niro in den Hauptrollen. Was ihm vorschwebte, war ein Musical-Film, der aussehen sollte wie aus den 1940er Jahren, inklusive gewollter Kulissenhaftigkeit. Allerdings fiel die Abstimmung des Publikums in Form von Fernbleiben hart aus.

    Scorsese hat viel für die Bewahrung des Filmerbes getan

    Wobei sich in diesem Film auch wunderbar zeigt, was Scorsese auch umgetrieben hat: sein Filmgedächtnis und seine tiefe Achtung vor der Filmgeschichte. Dies führte später auch zu ganz praktischen Vorschlägen, etwa dazu, dass er die Hersteller von Farbfilmen dazu brachte, besseres, weil beständigeres Filmmaterial herzustellen, denn die frühen Farbfilme wurden schnell rotstichig. Scorsese wollte das, was ihm dermaßen lebenswichtig geworden war, auch für spätere Generationen bewahren. Das Material sollte haltbarer werden, gleichzeitig ging auf Scorseses Engagement und die Unterstützung weiterer prominenter Regisseure die Gründung der Film Foundation in den USA zurück, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die alten US-Filme zu restaurieren und zu archivieren.

    Für "Departed" gab es 2007 Oscar-Ehren für den besten Film, Regie, Schnitt und adaptiertes Drehbuch. Regisseur Scorsese bei den Dreharbeiten im Gespräch mit Leonardo DiCaprio (Mitte) und Matt Damon.
    Für "Departed" gab es 2007 Oscar-Ehren für den besten Film, Regie, Schnitt und adaptiertes Drehbuch. Regisseur Scorsese bei den Dreharbeiten im Gespräch mit Leonardo DiCaprio (Mitte) und Matt Damon. Foto: Warner Bros, dpa

    Zwei wichtige Namen fehlen noch im Scorsese-Filmuniversum: Zum einen der deutsche Kameramann Michael Ballhaus. Beide arbeiteten seit den 1980er Jahren kongenial miteinander und waren wie füreinander geschaffen. Der eine dachte Filme tatsächlich immer in Bildern, der andere konnte genau diese Bilder einfangen.

    Und dann ist da noch ein Schauspieler bedeutend: 2002 stand erstmals Leonardo Di Caprio für Scorsese in „Gangs of New York“ vor der Kamera, es folgten darauf vier weitere Filme, unter anderem „Aviator“ über den Filmemacher Howard Hughes und „Departed“, Scorseses Oscar-Film. 2013 brachten die beiden „The Wolf Of Wall Street“ heraus. Vor allem das Sittengemälde anfangs auf die Börsenwelt entfaltet einen unglaublichen Sog und strotzt gleichzeitig vor bitterböser Ironie und zeigt einen Di Caprio in Bestform.

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