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Kino-Start von „Wicked“: Expertin erklärt den Hype um Hexen

Interview

Vom Monster zum Vorbild: Was ist dran am Hype um die Hexen?

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    Das Bild der Hexe hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark gewandelt.
    Das Bild der Hexe hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark gewandelt. Foto: Swen Pförtner, dpa

    Frau Rein, wie ​hat ​sich ​denn ​das ​Bild ​der ​Hexe ​im ​Laufe ​der ​Jahrhunderte ​gewandelt?
    KATHARINA REIN: ​Wir ​haben schon ​in ​den ​antiken ​Mythen ​ziemlich ​bekannte ​Hexen, ​zum Beispiel ​Circe ​​in ​der ​Odyssee oder Medea, der Euripides ein Drama gewidmet hat. Relevanter ​wird ​die ​Hexenfigur ​im ​Spätmittelalter ​und ​vor ​allem ​in ​der ​Frühen ​Neuzeit. Da gibt es ​eine ​unheilige ​Allianz ​von ​eben ​dieser ​Hexenfigur ​aus ​der ​Mythologie ​und ​dem ​Christentum, ​das durch ​den ​Sündenfall ​​schon ​immer ​frauenfeindlich ​eingestellt ​ist. Die ​Hexenverfolgung ​findet allerdings ​nicht ​im ​Mittelalter ​statt, ​sondern ​in ​der ​Frühen ​Neuzeit, ​also ​ab ​1500. Im ​deutschen ​Sprachraum findet sie ​ihren ​Höhepunkt ​im ​Dreißigjährigen ​Krieg​. ​​Das Thema ​wandert ​wie eine ​​Welle ​durch ​Europa und schwappt erst ​Ende ​des ​siebzehnten ​Jahrhunderts ​in ​die ​USA ​rüber. Dort hat sich die Hexenverbrennung in Neuengland und Salem ausgebreitet. Zur gleichen Zeit kommen ​mit ​der ​Aufklärung ​in ​Europa ​​die ​ersten ​konträren Stimmen. ​Da ​spielt ​die ​Philosophie ​mit ​rein, ​der Wandel zu Vernunft und ​Rationalismus. Damit ​verschwindet ​das ​Thema ​langsam. In der Kunst entsteht um 1900 ​​ein ​Konzept ​von ​der ​Hexe, die ​für ​ihre ​eigene ​Selbstbestimmung ​einsteht ​und ​sich ​befreit ​aus ​den ​Zwängen ​des ​Patriarchats. Das ​ist ​ein ​Bild, das ​Frauenrechtlerinnen ​aufgegriffen ​haben, ​die ​​genau ​in ​der ​Zeit ​anfangen haben, ​Kampagnen ​für ​Frauenwahlrecht ​zu ​starten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts popularisiert sich dieses positiv umgedeutete und romantisierte Hexenbild sehr stark, angefangen mit der Legalisierung der Magie im Vereinigten Königreich 1951.

    Wie sieht es heute aus?
    REIN: Aktuell ​sind ​ja ​esoterische ​Strömungen ​und Astrologie ​wahnsinnig ​populär. Alternative Heilmethoden knüpfen zum Teil an eine Tradition der Naturverbundenheit und des magischen Denkens an. ​Das ​sind ​jetzt ​nicht ​alles ​Leute, ​die ​sich ​deswegen ​als ​Hexen ​bezeichnen, ​aber ​dieses ​Ideengut ​​stammt ​​genau ​aus ​dieser ​Tradition. Darüber ​hinaus ​gibt ​es ​natürlich ​auch ​Leute, ​die ​sich ​als ​Hexen ​bezeichnen ​und ​Rituale ​praktizieren. Also ​wir ​haben ​zum Beispiel den ​Hashtag ​Witchtok ​und ​andere ​Phänomene, ​wo ​diese ​Hexenfigur ​sich sehr stark ​über ​Social ​Media verbreitet.​ Ich ​glaube, ​der ​Unterschied ​ist, ​dass ​es ​weniger ​sektenartig ​organisiert ​ist, ​weniger ​​regelkonform, ​sondern ​dass es darum ​geht, ​sich ​auch ​als ​Individuum ​auszudrücken. Wir ​sehen hier ​einen ​starken ​Wandel ​von ​einer ​bedrohlichen ​und ​abstoßenden ​Figur hin ​zu ​einer ​positiv ​besetzten, ​die ​auch ​als ​Vorbild ​fungieren ​kann.

    „Verliebt in eine Hexe“, „Charmed“, „Harry Potter“ und jetzt wieder „Wicked“ - Hexen tauchen in der Pop-Kultur über die Jahrzehnte in verschiedenen Formen auf. Woher kommt unsere Faszination?
    REIN: Einer ​der ​Gründe ​für ​ihren ​Erfolg ist, ​dass ​die ​Hexe ​eine ​wandelbare ​Figur ​ist, ​die ​sehr ​vielseitig ​ist ​und ​die ​sich ​selbst ​auch ​schon ​immer ​aus ​diesem ​Mix ​aus ​Geschichte, ​Fiktion, ​Religion, ​Mythos und Romantisierung zusammensetzt​. Sie ​ist ​ein ​imaginäres ​Wesen, ​das ​heißt, ​sie ​ist ​eine ​wunderbare ​Projektionsfläche ​​für ​Ängste oder kann als ​Sündenbock herhalten. ​Aber sie kann ​auch ​im ​positiven ​Sinn ​​für ​Fantasien und Ermächtigung stehen. ​Wir ​wachsen ​ja ​mit ​Hexenbildern ​auf, ​also ​angefangen ​mit ​​Märchen ​und ​Disney ​Filmen ​bis zu ​Mythologien und ​Literatur. Hexerei als Konzept ​ist wahrscheinlich ​auch ​deswegen ​faszinierend, ​weil ​sie ​von ​der ​Geburtsstunde ​an ​​​nicht ​wirklich ​greifbar – und nicht real – war, und weil sie nicht rational funktioniert.

    Also gibt es keine typische „zeitgemäße“ Hexe?
    REIN: Ich ​glaube, ​es ​gibt ​schon ​so ​eine ​Art „Zeitgeist-Hexe“. ​Die ​ist ​eine ​dezidiert ​andere ​als im 16. Jahrhundert ​oder ​500 ​vor Christus. Ich ​würde ​sagen, sie ist ​überwiegend positiv, ​​weil ​wir ​​mit ​einer ​Normalisierung ​​dieser ​Figur ​aufwachsen. ​Das ist ​aber natürlich ​auch abhängig von den Generationen. Ich glaube, ich war elf, als das erste „Harry-Potter“-Buch rauskam. Da ​gibt ​es ​zwar ​auch ​gute ​und ​böse ​Hexen, ​wo ​man ​also wieder ​dieses ​Schwarz-Weiß-Denken ​findet, ​aber ​da ​ist ​natürlich ​keine ​Spur ​mehr ​von ​der Einstellung, dass ​Hexen ​verfolgt ​werden ​müssen. ​Genauso ist es ​​mit der ​feministischen Hexenfigur, ​die ​ihre ​Individualität ​zelebriert ​und ​sich ​​nicht ​unterordnen will, ​sondern ​​ihren ​eigenen ​Willen ​​durchsetzt ​und ​weiß, ​was ​sie ​will. ​Die ​Magie ​ist ​ein ​Instrument ​dafür.

    Warum reden wir denn bei Hexen fast ausschließlich von Frauen?
    REIN: Also ​tatsächlich ​ist ​es ​bei ​den ​historischen ​Hexenverfolgungen ​​in ​der ​Frühen ​Neuzeit so, ​dass ihnen ​beide ​Geschlechter ​​zum ​Opfer ​gefallen ​sind. ​Es ​gibt ​Regionen, ​in ​denen ​​überwiegend ​Männer ​hingerichtet ​wurden. Man muss dazu sagen, dass die Opferzahlen allerdings nur Schätzungen sind. Demnach waren ​europaweit 70 bis 80 Prozent ​derjenigen, ​die ​zwischen ​dem ​15. ​und ​17. ​Jahrhundert ​wegen Hexerei angeklagt ​wurden, Frauen. Dort stechen ​bestimmte Gruppen als ​Opfer heraus, nämlich ​überwiegend ​arme, ​sozial ​ausgegrenzte ​alte ​Frauen. Eine ​zweite ​große ​Opfergruppe ​unter ​den ​Frauen ​waren ​​Heilerinnen ​und ​Kräuterkundige. Das ​hängt ​auch ​mit ​einer Machtumverteilung zwischen Männern und Frauen in medizinischen Berufen ​zusammen.

    „Wicked“ ist die Hintergrundgeschichte der beiden Hexen aus „Der Zauberer von Oz“ und zeigt, dass beide weder vollkommen „gut“ noch vollkommen „böse“ sind. Was transportiert dieses Hexenbild?
    REIN: Ich ​habe ​mich ​auch ​viel ​mit ​Horrorfilmen beschäftigt, ​da ​haben ​wir ​das ​​auch ​​stark, ​dass ​das Monster​ in ​den ​letzten ​20 bis 30 ​Jahren ​vermenschlicht ​wird. ​Auch Vampire sind ​zum ​totalen Sympathieträger ​geworden ​​und ​eben ​nicht ​mehr ​die ​Kreaturen, die sie vor ​80 ​Jahren waren. ​Das ​ist ​genau ​das, ​was ​ja ​ ​bei ​den ​Hexen ​passiert. Indem das Gute und das Böse relativiert werden, wird ​darauf ​hingewiesen, ​dass ​diese ​Schwarz -Weiß Einteilung ​nicht ​funktioniert. ​Dann ​stellt ​sich ​natürlich ​trotzdem ​die ​Frage, ​warum ​braucht ​man ​sie ​dann? ​Wieso kann man nicht ​einfach ​zwei ​Hexen ​haben, ​die ​beide ​charakterliche ​Tiefe ​​besitzen? ​Aber ​ich ​glaube, ​das ​ist ​ja ​wahrscheinlich ​ein ​Mittel, ​um ​mit ​Vorurteilen ​aufzuräumen. ​Dass ​man ​​zeigt, ​dass der ​erste ​Blick ​täuscht. ​

    Zur Person: Katharina Rein studierte Kulturwissenschaft, Philosophie und Alte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie auch ihre Doktorarbeit zu Bühnenzauberkunst um 1900 verfasste. Sie ist Autorin und Herausgeberin mehrerer Werke, darunter „Illusions in Cultural Practice“ und „Magic: A Companion“.

    Kulturwissenschaftlerin Dr. Katharina Rein ist Autorin und Herausgeberin mehrerer Werke.
    Kulturwissenschaftlerin Dr. Katharina Rein ist Autorin und Herausgeberin mehrerer Werke. Foto: Nicolai Wommer
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