"She said": Maria Schrader bringt die Weinstein-Affäre auf die Leinwand
Die Regisseurin baut ihre erste Hollywood-Arbeit "She Said" als typisches Genrewerk auf – mit einem Unterschied: Zwei Frauen ziehen als Wahrheitskämpferinnen ins Feld.
Ganz am Ende von Maria Schraders Film „She Said“ ist es ein einfacher Mausklick, der die Welt verändert. Mit dem Pfeil auf „Publish“ wird im Oktober 2017 der Artikel der beiden New York Times-Journalistinnen Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) veröffentlicht, der den weitreichenden Machtmissbrauch und die sexuellen Übergriffe des Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein aufdeckte. Die Reportage gilt als Initialzündung für die #MeToo-Kampagne, die sich zunächst gegen die sexuelle Gewalt in Hollywood formierte, aber schon sehr bald zu einer weltweiten Bewegung wurde.
In „She Said“ zeichnet Maria Schrader nun den Prozess der mehr als achtzehnmonatigen Recherche der beiden Reporterinnen nach, die hartnäckig daran arbeiten, die Mauer des Schweigens zu brechen, welche sich um das sexuelle, kriminelle Fehlverhalten des mächtigen Film-Moguls über Jahrzehnte hinweg gebildet hatte. Schrader baut ihre erste Arbeit für ein US-Studio zunächst als typisches Genrewerk auf. Gezielt dockt ihr Film an Journalistik-Thriller wie „Spotlight“ (2015) über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche oder den Klassiker „Die Männer des Präsidenten“ (1976) über die Aufdeckung der Watergate-Affäre an.
Groß ist in "She Said" die Scham der betroffenen Frauen
Der Unterschied ist, dass hier zwei Frauen als Wahrheitskämpferinnen ins Feld ziehen, die stets in ihrem spezifischen Alltag als berufstätige Mütter geerdet werden. Hier geht es weniger um coole Posen als um journalistische Professionalität, akribische Recherche und echte Courage. Dreh- und Angelpunkt für die Arbeit der Journalistinnen ist es, die betroffenen Frauen dazu zu bewegen, ihre traumatischen Erlebnisse öffentlich zu machen.
Twohey und Kantor finden zwar einige Schauspielerinnen oder ehemalige Assistentinnen, die ihnen von Weinsteins Übergriffen berichten, aber in eine Veröffentlichung willigt zunächst keine von ihnen ein. Zu groß ist nicht nur die Scham, sondern auch die Angst vor beruflichen wie juristischen Konsequenzen. „She Said“ zeigt noch einmal deutlich auf, mit welcher Systematik der Filmproduzent sein Netz aus Missbrauch, Vergewaltigung und Einschüchterung aufgebaut hat.
Zentral hierbei sind sogenannte Verschwiegenheitserklärungen, welche die betroffenen Frauen mit dem Erhalt einer entsprechenden Geldsumme unterschrieben haben. In den fast zwanzigseitigen Dokumenten wird ihnen juristisch untersagt, über ihre Erlebnisse mit irgendeinem Menschen zu sprechen. Sogar für Therapeutinnen und polizeiliche Ermittler gilt das ganz legale Schweigegelübde, mit dem die Frauen in die vollkommene Isolation getrieben werden.
Eindringlich zeigt der Film, wie die traumatischen Erlebnisse das Leben der Frauen nachhaltig geprägt haben und welche Kraft es sie kostet, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Gleichzeitig verweist er von Anwälten über Buchhalter bis hin zu offiziellen Stellen auf die umfangreiche Komplizenschaft, die Weinsteins kriminellen Machtmissbrauch über Jahrzehnte unterstützt und gedeckt hat. Diese Mitwisser zur Aussage zu bewegen – auch das gehört zur journalistischen Arbeit für eine wasserdichte Story, die juristisch unangreifbar sein muss.
Maria Schrader erweist sich in "She Said" wieder als umsichtige Regisseurin
Schrader erweist sich wie in all ihren Filmen von dem kongenialen Stefan-Zweig-Film „Vor der Morgenröte“ (2016) über die romantische Sci-Fi-Komödie „Ich bin dein Mensch“ (2021) bis hin zur Netflix-Serie „Unorthodox“ (2021) erneut als umsichtige Regisseurin, die ihr Sujet mit hoher Sensibilität und analytischer Klarheit verhandelt. Eine der vielen guten Entscheidungen des Filmes ist es, dem Täter Harvey Weinstein möglichst wenig Raum zu geben. Nur für wenige Sekunden kommt er als Filmfigur ins Bild, als er mit seinen Anwälten unangekündigt im Büro der New York Times auftaucht.
Die Kamera zeigt ihn nur kurz von hinten durch die Glasscheiben des Besprechungszimmers und blickt stattdessen lange in das Gesicht von Megan Twohey, die den machtvollen Sexualstraftäter unerschrocken beobachtet. In ihren Augen spiegelt sich die Gewissheit, dass mit diesem letzten Versuch der Einschüchterung Weinsteins Schicksal besiegelt ist. Allein für diese wenigen Filmsekunden hätte Carey Mulligan einen Oscar verdient, die zusammen mit der nicht weniger differenziert spielenden Zoe Kazan ihre journalistischen Heldenfigur jenseits aller Starke-Frauen-Klischees als komplexen Charakter aufbaut.
„She Said“ wird sicherlich nicht der letzte Film über die Weinstein-Affäre und die #MeToo-Bewegung sein. Aber Schrader arbeitet einen wichtigen Aspekt dieser zeithistorischen Ereignisse klar heraus: Es erfordert nicht nur individuellen Mut, sondern auch das Vertrauen in die gemeinsame Kraft, um sexistische Tyrannen wie Weinstein und seine zahllosen Wiedergänger zu stürzen.
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