Wenn Tom Cruise bei den Filmfestspielen in Cannes die Ehrenpalme überreicht bekommt und seinen neuen Film "Top Gun: Maverick" präsentiert, reicht ein schnöder, roter Teppich allein nicht aus. Da muss schon die Kunstflugstaffel der französischen Luftwaffe her, die mit ihren Rauchschwaden die Farben der Trikolore an den Himmel über der Cotê d'Azur malt. Damit dürfte die CO2-Bilanz des Festivals zwar nachhaltig ruiniert sein, aber so viel Show muss sein, wenn man einen Überflieger wie Cruise feiern will.
1986 saß Cruise in dem Militärfilm "Top Gun" selbst im Cockpit einer F-14 und wurde in der Rolle des tollkühnen Fliegers über Nacht zum Star. Der Film war ein herausragend inszenierter Werbeclip für die US-Navy und eine typische Action-Männerfantasie der ausgehenden Reagan-Ära. Eine Gruppe von jungen, gut gebauten Elitepiloten trainierte hier für den Ernstfall im Kalten Krieg, übte sich in internen Hahnenkämpfen, um schließlich im Einsatz als Team zusammengeschweißt zu werden.
In "Top Gun" gab es halsbrecherische Flugakrobatik und homoerotische Duschszenen
Und mittendrin der strahlende Tom Cruise als renitenter Oberalleskönner. "Wenn du nachdenkst, stirbst du", lautete das Mantra seines Pete “Maverick” Mitchell, der am Steuerknüppel des Kampfjets seinen untrüglichen Instinkten folgte. Der Slogan ließ sich durchaus auch als Gebrauchsanweisung für die Sichtung des Filmes lesen, dessen dünne Story von Regisseur Tony Scott mit haptischen Actionszenen, halsbrecherischer Flugakrobatik und homoerotisch anmutenden Duschszenen effektvoll übermalt wurde. Bei einem Minibudget von 15 Millionen spielte "Top Gun" 350 Millionen Dollar ein. Mehr noch als die “Paramount”-Studios freute sich die US-Navy, die damals ihre Rekrutierungsstände direkt vor den Kinos aufbaute und ihre Fangquote erheblich steigern konnte.
Viele Jahre haben die Produzenten Cruise bekniet, sich auf eine Fortsetzung des Erfolgsfilmes einzulassen. Aber der karrierebewusste Jungstar wollte sich weiterentwickeln statt sich zu wiederholen. Erst 34 Jahre später willigte er ein und zwängte sich mit Ende fünfzig erneut ins Cockpit. In "Top Gun: Maverick" zerfließen die Grenzen zwischen Sequel und Remake. Auch wenn die Handlung in der Gegenwart angesiedelt ist, grooven sich Regisseur Joseph Kosinski und seine drei Drehbuchautoren inhaltlich wie ästhetisch voll auf das Achtziger-Jahre-Original ein.
Pete bekleidet in "Top Gun: Maverick" immer noch den Posten eines Captains
Schon der Epilog, in dem die Start- und Landemanöver auf einem Flugzeugträger zwischen Kerosinschwaden im morgendlichen Sonnenlicht zelebriert werden, sind feinster Navy-Porn, der in keinerlei Zusammenhang mit der nachfolgenden Handlung steht. Nach mehr als 30 Jahren im vaterländischen Dienst bekleidet Pete immer noch den niederen Rang des Captains. Statt sich auf einen Schreibtischposten wegbefördern zu lassen, fliegt dieser Maverick lieber als Testpilot mit zehnfacher Schallgeschwindigkeit durch die Lüfte.
Nachdem er leichtsinnig einen überteuerten Prototypen gecrasht hat, wird der eigensinnige Flieger nach San Diego versetzt. An der dortigen Elite-Flugschule, wo er einst selbst sein Handwerk erlernt hat, soll er ein zwölfköpfiges Team auf einen brisanten Einsatz vorbereiten. Ein namenloser Schurkenstaat will in einem gut gesicherten Talkessel waffenfähiges Uran anreichern, was unter dem Radar durch eine effiziente Bombardierung verhindert werden soll. Und so findet sich das Publikum erneut im Trainingslager mit den Besten der Besten wieder, unter denen sich diesmal sogar eine Pilotin befindet. Der Luftraum ist freigegeben für akrobatische Fluggefechte, in denen der versierte Lehrer vor dem Nachwuchs glänzen darf.
Die Kritik: Die Handlung ist vorhersehbar, die Action hat es in sich
Natürlich führt kein Weg daran vorbei, dass der omnipotente Boomer und erfahrene Krieger schließlich doch noch selbst die gefährliche Operation in die Hand nimmt. Für psychologische "Tiefe" sorgen Erinnerungen an den traumatischen Verlust seines Mitfliegers in Teil eins, dessen Sohn Rooster (Miles Teller) nun am Himmelfahrtskommando teilnehmen soll. Unten am Boden wird noch ein wenig Romantik eingestreut, indem der Held das Feuer seiner früheren Flamme Penny (Jennifer Connelly) neu entfachen darf.
"Top Gun: Maverick" ist im Guten wie im Schlechten ein Actionfilm der alten Schule. Die Charaktere sind vorformatiert, ihre Handlungen vorhersehbar, das militärische Happy End garantiert. Aber die Actionszenen haben es in sich und unterscheiden sich deutlich von den seelenlosen Digitalgemetzeln eines Marvel-Films. Tom Cruises physischer Einsatz bei Stunts gehört stets zum Marketing-Konzept und der Film räumt seinem Star mehr als genug Raum zur Selbstdarstellung ein. Viele der Flugszenen sind wohl – die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen – tatsächlich im Cockpit über den Wolken entstanden. Da kommen auch im Kinosessel echte Achterbahngefühle auf. Der dargestellte Militäreinsatz hingegen bleibt auf sterilem Videospiel-Niveau – was angesichts des tatsächlichen kriegerischen Leids, das derzeit die Nachrichten bestimmt, wie eine geradezu obszöne Verharmlosung wirkt.