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Kino: Kritik zu "The Lost King": Vorhersehbar, aber berührend

Kino

Kritik zu "The Lost King": Vorhersehbar, aber berührend

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    Der Film "The Lost King" kommt in die Kinos. Sally Hawkins spielt darin die Hobby-Archäologin Philippa Langley.
    Der Film "The Lost King" kommt in die Kinos. Sally Hawkins spielt darin die Hobby-Archäologin Philippa Langley. Foto: Graeme Hunter (Archivbild)

    Auf dem Asphalt des Parkplatzes prangt ein großes, weißes R. Auch wenn der Wächter darauf hinweist, dass der Buchstabe für „reserviert“ steht, ist Philippa (Sally Hawkins) davon überzeugt, einen weiteren Hinweis gefunden zu haben. Sie ist sich sicher: Dort unter dem Parkplatz des Sozialamtes im englischen Leicester liegen die sterblichen Überreste von Richard III. 

    Philippa ist keine Archäologin oder Historikerin, aber sie hat sich tief in die Materie eingearbeitet. Alles fing an mit einer Theateraufführung von Shakespeares „Richard III.“, die den buckligen König als Thronräuber und blutgierigen Kriegstreiber zeichnete und damit die alles bestimmende Erzählung über den Monarchen stützte. Aber Philippa erkennt in der tragischen Figur einen Seelenverwandten, dessen wahres Wesen über Jahrhunderte gezielt verkannt wurde. Denn wie man weiß, wird die Geschichte immer von den Siegern geschrieben, die den unterlegenen Widersacher nach Kräften diskreditieren. 

    Richard III. lässt die Angestellte nicht mehr los

    Mit Stigmatisierungen kennt sich die Angestellte eines Marketing-Unternehmens aus. Philippa leidet am chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) und wird bei Beförderungen regelmäßig übergangen, obwohl sie noch keine Deadline versäumt hat. Nach dem Bühnenerlebnis lässt sie dieser Richard nicht mehr los, der nun regelmäßig als Vision in ihrem Garten erscheint. So beginnt sich Philippa intensiv mit dem Fall des dämonisierten Herrschers zu beschäftigen, gräbt sich in Bibliotheken ein, meldet sich auf der Arbeit krank und findet interessierte Gleichgesinnte beim örtlichen Stammtisch der „Richard III. Society“. Die Gruppe von skurrilen Hobbyhistorikern setzt sich für die Anerkennung des vermeintlichen Usurpators aus dem Hause Plantagenet ein, der England zwei Jahre regierte, bis er 1485 in der Schlacht gegen die Tudors umkam. Aber Philippa geht einen Schritt weiter und ist überzeugt davon, dass sie die verschollenen Gebeine des Königs finden kann.

    Mit „The Lost King“ erzählt Stephen Frears die wahre Geschichte der Amateurhistorikerin Philippa Langley, der es im Jahr 2012 tatsächlich gelang, das Skelett von Richard III. unter einem Parkplatz in Leicester auszugraben. Frears und seine Drehbuchautoren Jeff Pope und Steve Coogan, die schon mit „Philomenia“ einen ähnlich strukturierten Stoff auf die Leinwand gebracht haben, erzählen die Geschichte im klassischen David-gegen-Goliath-Format. Die unscheinbare Heldin muss sich tapfer in ungläubigen Tafelrunden aus Stadtverwaltung, Sponsoren und Universitätsprofessoren durchsetzen, die ihr Projekt zunächst skeptisch torpedieren. 

    Die Lorbeeren sammeln der Archäologie und die Karrieristen ein

    Dass die zielstrebige Hobbyhistorikerin nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch ihr intuitives Gespür und die eigene emotionale Verbindung zu dem verstorbenen Monarchen argumentativ ins Feld führt, wird vom archäologischen Establishment müde belächelt. Frears hingegen nimmt diese spirituelle Verbindung zwischen Philippa und Richard ernst und lässt den König in Person des Theaterschauspielers aus der Shakespeare-Vorführung mal schweigend auf der Gartenbank, mal hoch zu Ross als realistische Vision auftreten. Mithilfe dieser geistigen Verbindung wird Philippa fündig – nur um mitansehen zu müssen, wie der von ihr angestellte Archäologe und die Karrieristen der örtlichen Universität nach erfolgreicher Exhumierung die Lorbeeren einsammeln. 

    Mit bewährten Freund-Feind-Schemata wird hier der Sexismus und Standesdünkel im akademischen Establishment veranschaulicht. Während sich die Uni-Elite bei der pompösen Beisetzung von Richards sterblichen Überresten vor den Kameras der Weltöffentlichkeit feiern lässt, tritt Philippa vor eine Mädchen-Schulklasse, um ihre Geschichte zu erzählen. Aus dem Abspann erfährt man, dass sie später von der Queen für ihre Verdienste ausgezeichnet wurde und auch Richard III. nun offiziell als legitimer Monarch und nicht mehr als Thronräuber gilt. 

    Dass der Film trotz einiger dramaturgischer Vorhersehbarkeiten seine berührende Wirkung entfaltet, ist vor allem der fabelhaften Sally Hawkins zu verdanken, die ihre Figur mit einer ganz eigenen, fragilen Hartnäckigkeit ausstattet. Sehr liebevoll wird auch das familiäre Umfeld der Protagonistin gezeichnet, die von ihrem Ex-Ehemann (Steve Coogan) nach anfänglichen Vorbehalten nicht nur bei der Betreuung der gemeinsamen Kinder umfangreich unterstützt wird.

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