Es heißt, dass Sie beim Schnitt von „Lieber Kurt“ viel geweint haben. Hatten Sie sich von vornherein darauf eingestellt?
TIL SCHWEIGER: Davon war auszugehen. Schließlich hatte ich schon eine starke Reaktion auf Sarah Kuttners Roman und ich habe dann ja mit Vanessa Walder das Drehbuch geschrieben. Und vor allem ist es eine Urangst, die bis zu meinem Todestag bleibt, dass einem meiner Kinder etwas passieren könnte. Also war ich darauf eingestellt, dass das sehr emotional wird.
Welche Erkenntnisse hat Ihnen dieser Film in Sachen Trauerarbeit beschert?
TIL SCHWEIGER: Verstehen tut man dadurch nicht mehr. Was das Thema angeht, war ich eben mein Leben lang ein Superverdränger. Deshalb habe ich mich auch um jede Beerdigung gedrückt, wo es nur ging. Als ich 17 war, wurde ein Fußballkollege von mir auf offener Straße erstochen. Das war so ein türkischer Fehdemord. Bei der Beerdigung ist mir schwindlig geworden und ich wäre ins Grab gefallen, wenn die anderen mich nicht aufgefangen hätten. Deshalb habe ich mich nicht mehr getraut, an so etwas teilzunehmen. Die erste Beerdigung seit damals war die meiner Mutter 2021. Das hat fast 40 Jahre gedauert.
Auf die Dauer lässt sich das also doch nicht verdrängen.
TIL SCHWEIGER: Richtig, man kommt in ein Alter, wo man sich langsam damit auseinandersetzen muss. Der Tod gehört ja zum Leben. Allerdings kann man sich auf Trauerarbeit nicht vorbereiten. Und jeder Mensch trauert anders, was auch die Therapeutin im Film sagt. Trotzdem möchte ich es am liebsten nicht wahrhaben, obwohl die Einschläge näher kommen.
Dabei spielt der Tod in Ihren Filmen oft eine zentrale Rolle.
TIL SCHWEIGER: Ich weiß, das war schon bei „Knockin’ on Heaven’s Door“ so. Ich dachte, das ist ein schlechtes Omen, wenn du jemand spielst, der einen Hirntumor hat. Nicht dass du selbst einen bekommst. Und in der Tat hatte ich danach in der Familie einen solchen Fall. Allerdings war ich dann nicht so abergläubisch zu denken, dass das an meinem Film lag. Trotzdem hatte ich im Hinterkopf jetzt wieder den Gedanken: Jetzt spielst du jemand, der sein Kind verliert. Was ist, wenn dir das passiert?
Nun haben Sie diesen Film auch noch während der Pandemie realisiert. Schon der Vorgängerfilm „Die Rettung der uns bekannten Welt“ beschäftigte sich mit einem schweren Thema, nämlich manischer Depression. Inwieweit haben die letzten beiden Jahre Ihr Lebensgefühl eingetrübt?
TIL SCHWEIGER: Nun ja. Jemand meinte einmal, „Der Til ist wie ein Fahrrad. Wenn wer nicht fährt, dann fällt er um“. Und im Lockdown konntest du eben nichts machen. Wir wollten „Lieber Kurt“ ein Jahr vorher drehen und drei Wochen vor Drehbeginn musste alles abgeblasen werden. Da haben wir viel Geld verloren. Das Schlimmste war, nicht zu wissen, wie lange das geht. Aber es gab Menschen, die es viel schlimmer als mich getroffen hat.
Ihre nächste Regiearbeit ist freilich „Manta Manta 2“. Ist das ein Gegenprogramm?
TIL SCHWEIGER: Nein, so plane und denke ich nicht. Ich brauchte nach „Lieber Kurt“ jetzt keinen Wohlfühlfilm. Ich würde drei Actionfilme hintereinander machen, wenn ich drei tolle Actiondrehbücher hätte, oder fünf Komödien hintereinander. Ich weiß, viele Kollegen denken: ‚Jetzt habe ich in zwei Komödien gespielt, jetzt muss ich zeigen, dass ich auch das dramatische Fach beherrsche.‘ Ich dagegen nehme die Dinge, wie sie kommen. Ich wollte schon vor 30 Jahren einen zweiten Teil drehen, aber Bernd Eichinger meinte: „Die Manta-Welle ist vorbei.“ Mein Argument war: Die war schon vorbei, als der Film ins Kino kam. Der Film war deshalb erfolgreich, weil er das Lebensgefühl dieser Clique vermittelt hat.
Kann dieses Konzept viele Jahre später immer noch funktionieren?
TIL SCHWEIGER: Was uns in die Karten spielt, ist der wahnsinnige Erfolg von „Top Gun: Maverick“. Viele Leute meinten vorher: Wer will das noch sehen? Tja, ganz Deutschland wollte sich den Film anschauen. Damals hatte Bernd einen sehr selbstbewussten Slogan entwickelt: „Manta, Manta – Der Film, auf den die Nation wartet.“ Und unserer wird sein: „Manta Manta 2 – Der Film, auf den die Nation über 30 Jahre gewartet hat.“ Der Film wird großartig, weil er nicht nur viel witziger ist, sondern weil er auch viele Emotionen hat.
„Lieber Kurt“ ist auch eine Reise zurück, weil Sie da in die Lebenswelt eines Sechsjährigen eintauchen. Wie stark sind Ihre Erinnerungen an Ihre eigene Kindheit?
TIL SCHWEIGER: Ich bin jemand, der sehr viel vergisst. Es gibt so Schlüsselmomente, an die man sich natürlich erinnert, aber ich erinnere mich viel mehr an die Zeiten, wo meine eigenen Kinder sechs waren.
Neigen Sie dazu, Erinnerungen positiv einzufärben?
TIL SCHWEIGER: Meine Haltung ist: Es war früher alles gar nicht so schlimm, vor allem, wenn es um gescheiterte Beziehungen geht. Andere Leute fangen an, ihren Ex-Partner zu hassen, aber das habe ich nie verstanden, denn man hat den Menschen ja geliebt.
Wie der Film zeigt, können einen Kinder in peinliche Situationen bringen. Was ist Ihnen in der Hinsicht in Erinnerung geblieben?
TIL SCHWEIGER: Viele davon sind in den Film eingeflossen, aber die peinlichsten waren so extrem, dass man sie nicht verfilmen konnte. Die Szene mit den Kondomen hat sich allerdings wirklich so abgespielt: Seinerzeit drehte ich in Barcelona einen amerikanischen Actionfilm und meine Tochter Lilli, die damals sieben war, kam mit einem fetten Grinsen und einer Schachtel Kondome aus dem Badezimmer: „Papa, was ist das?“ – „Das sind Kondome, das weißt du doch.“ – „Aber die Frage ist: Wofür brauchst du die?“ – Da habe ich einen Satz aus Quentin Tarantinos Drehbuch zu „True Romance“ umgemünzt: „Es ist besser, ein Kondom zu haben und es nicht zu brauchen, als ein Kondom zu brauchen und keines zu haben.“ Doch dann meinte sie: „Die große Frage ist: Als ich am anderen Tag reingeguckt habe, waren es sieben, jetzt ist es nur noch eines. Was passierte mit den anderen?“ Ich habe mich dann einfach totgelacht.
Und danach haben Sie Ihr die Geschichte von den Blumen und den Bienen erzählt?
TIL SCHWEIGER: Gar nicht. Die Kinder waren durch das Internet schon viel weiter, als wir es jemals waren.
Vermissen Sie eigentlich die Unschuld der Zeit, als es noch kein Internet gab und man die Welt ganz anders entdecken musste?
TIL SCHWEIGER: Ich habe immer gesagt, bei allen Vorteilen, die das Internet bietet, überwiegen meiner Meinung nach die Nachteile. Natürlich finde ich es toll, dass ich mir Informationen nicht mehr mühselig zusammenkratzen musste. Als ich während meiner Zeit auf der Schauspielschule den Hollywood-Schauspieler Eric Roberts für mich entdeckte, musste ich monatelang zu ihm recherchieren. Aber insgesamt finde ich, dass das Internet mit seiner ganzen Propaganda und Fake News die Welt schlechter und brutaler gemacht hat. Schauen Sie mal in ein Restaurant: Da sitzen lauter Pärchen und jeder guckt auf sein Handy. Ich schließe mich da auch nicht aus. Noch sechs Wochen vor „Knockin’ on Heaven’s Door“ habe ich gesagt, „Ein Handy brauche ich nicht“. Dann habe ich mir als Produzent doch eines zugelegt und nach vier Wochen war ich süchtig und konnte mir ein Leben ohne es nicht mehr vorstellen.
Zur Person
Til Schweigers Film „Lieber Kurt“, nach einem Roman von Sarah Kuttner, läuft am 15. September in den Kinos an.