Die ersten Bilder von „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“, in dem der 80-jährige Harrison Ford seinen Abschied von der Rolle des ewigen Abenteurers nimmt, sind ein Schock. Nachdem ihm ein Sack vom Kopf gezogen wurde, sitzt dort Ford nicht nur in einer SS-Uniform, sondern auch als um einige Jahrzehnte verjüngte Version seiner selbst auf einem Stuhl.
Das mit der Uniform ist schnell geklärt. Sie dient als Tarnung für den Archäologen, der sich im Jahre 1944 als amerikanischer Spion bei den Nazis eingeschlichen hat, um einige geraubte, antike Fundstücke zu sichern. Aber während ein Indiana Jones in den besten Jahren eine ausufernde Schlägerei mit den Nazis beginnt, die wiederum zu einer atemberaubenden Verfolgungsjagd auf dem Dach eines fahrenden Zuges führt, wächst nach anfänglicher Irritation eine leise Befürchtung heran: Wird man - wie zuletzt mit Robert De Niro in „The Irishman“ geschehen – die nächsten Kinostunden mit dem digital „entalterten“ Antlitz einer Filmikone verbringen müssen, auf deren zerknittertes Gesicht man sich schon gefreut hat?
Harrison Ford im wohl letzten "Indiana Jones"-Film
Aber glücklicherweise ist die Reise in die Zeit des Zweiten Weltkrieges nur ein Prolog in diesem fünften und wahrscheinlich auch letzten „Indiana Jones“-Film, für den zum ersten Mal nicht Meisterregisseur Steven Spielberg, sondern James Mangold als Nachfolger verantwortlich zeichnet. Nach der Eröffnungssequenz, in der Indiana Jones und sein britischer Kollege Basil Shaw (Toby Jones) dem deutschen Schurken-Wissenschaftler Dr. Voller (Mads Mikkelsen) ein wertvolles Artefakt abjagen, wird zwei Dekaden ins Jahr 1969 vorgespult. Und da sitzt der vollkommen unbearbeitete Harrison Ford in der Küche seines New Yorker Apartments und legt die Stirn grimmig in Falten angesichts des Partylärms, der aus der Nachbarwohnung dringt. Überall in der Stadt wird gerade die Mondlandung gefeiert. Die ganze Welt blickt in die Zukunft.
Nur der Archäologie-Professor scheint sich noch für die Vergangenheit zu interessieren. Früher hingen die Studentinnen an seinen Lippen, heute kann sich kaum noch jemand von den jungen Leuten in seinen Vorlesungen wachhalten. Jones ist mittlerweile selbst zu einem Relikt geworden und wird mit einer halbherzigen Abschiedsfeier in den Ruhestand entlassen.
Auch in seinem privaten Leben ist alles Vergangenheit ohne Aussicht auf Zukunft. Der Sohn ist im Vietnamkrieg umgekommen. Die Trauer um den Verlust hat die Ehe zerrüttet. Die Scheidungspapiere liegen zur Unterschrift auf den Küchentisch. Das Blatt wendet sich, als Helena Shaw (Phoebe Waller-Bridge) in New York auftaucht. Die Tochter des britischen Archäologen besucht ihren Patenonkel, weil sie mehr über jenes Schicksalsrad des Archimedes erfahren will, dessen eine Hälfte Jones und ihr Vater den Nazis entrissen haben. Vollständig soll das antike Wunderwerkzeug in der Lage sein, das Raum-Zeit-Kontinuum zu durchbrechen.
Aber Helena ist weniger an den Zeitreisemöglichkeiten des Instrumentes interessiert als an dem Preis, den sie dafür auf den Schwarzmarkt erlangen kann. Kaum hat Jones im Archiv der Universität das versteckte Fundstück ausgegraben, steht auch Dr. Voller mit seinen schießwütigen Helfershelfern in der Tür. Der Wissenschaftler hofft mit der archimedischen Erfindung die Niederlage von Nazideutschland ungeschehen machen zu können. Und so geht es los in altbewährter Globetrottermanier, in der die Abenteuer- und Actionszenen vor pittoresken Kulissen in Stellung gebracht werden. Im Zuge der ersten Verfolgungsjagd reitet Indiana Jones auf einem geklauten Polizeipferd durch eine Parade, die Treppen hinunter in die New Yorker Metro und ab durch das Tunnelsystem auf der Flucht vor herannahenden U-Bahn-Zügen.
Schon hier zeigt James Mangold, dass er sich wie Spielberg in den Vorgängerfilmen an keinerlei Wahrscheinlichkeitsgesetzgebung hält. Und so geht es weiter im marokkanischen Tanger, in dessen engen Straßen Jones & Co die Verfolgung mit einem Tuk-Tuk aufnehmen, auf einen abenteuerlichen Tauchgang mit Antonio Banderas als bärtigen Schiffskapitän in der Ägäis und natürlich in ein Höhlenlabyrinth, in dessen Gängen sich das Grab des Archimedes befinden soll.
Vor 40 Jahren eroberte Harrison Ford als "Indiana Jones" die Leinwand
Mangold kettet die einfallsreich choreografierten Actionssequenzen äußerst zügig aneinander und bedient dabei gleichermaßen die Unterhaltungsbedürfnisse der Generationen „X-Box“ wie die nostalgischen Gefühle der älteren Fans von Indiana Jones, der vor mehr als 40 Jahren zum ersten Mal die Leinwand eroberte. Wie in den Vorgängerfilm ist es auch hier neben der Verve eines klassischen Abenteuerfilm das Charisma seines Hauptdarstellers, das die Geschichte über alle Kapriolen und ein hirnrissiges Finale hinweg zusammenhält.
Denn Harrison Ford hat es einfach immer noch drauf. Was ihn von anderen Hollywood-Stars immer unterschieden hat, war seine tiefenentspannte Natur-Lässigkeit. Ford war nie ein De Niro, Pacino oder DiCaprio, die sich die Seele aus dem Leib gespielt haben. Scheinbar mühelos ließ er seine magnetischen Kräfte walten und konnte mit einem coolen One-Liner mehr sagen als andere mit langen Monologen. Und das funktioniert auch mit 80 noch bestens, erst recht in dieser Rolle, die er so gut eingetragen hat wie Indiana Jones seinen Abenteurerhut.
Dafür, dass „Das Rad des Schicksals“ nicht allein zur nostalgischen Wohlfühlveranstaltung wird, sorgt die fabelhafte Phoebe Waller-Bridge, die mit ihrer taufrischen Performance einen gelungenen Kontrast zu der betagten Kino-Ikone bietet. Ihre Helena trägt den Abenteuergeist des jungen Indiana Jones genauso in sich wie die moralische Unberechenbarkeit ihrer Generation. Die „Fleabag“-Autorin und -Darstellerin füllt die Rolle des weiblichen Sidekicks mit sprühender Intelligenz und Chupze.