Die Rechnung liegt auf dem Tisch. Und das schon eine ganze Weile. Ohne aufzublicken, stiert Yaya (Charlbi Dean) in ihr Smartphone, während Carl (Harris Dickinson) sie mit zunehmender Genervtheit beobachtet. Schließlich bricht der Ärger aus ihm heraus. Warum geht sie stets selbstverständlich davon aus, dass er im Restaurant bezahlt? Nur weil er der Mann ist? Es entwickelt sich ein schnell eskalierender Streit. Yaya wirft ihm vor, kleinlich zu sein, was Carl noch mehr auf die Palme bringt. Es gehe ihm nicht ums Geld, sondern um Gleichheit. Diese frühe Szene in Ruben Östlunds neuem Film „Triangle of Sadness“ ist eine präzise inszenierte Miniatur, in der sich die Frage verdichtet, wie Geld und Geschlechterrollen das Sein und die Beziehungen zueinander bestimmen.
Yaya und Carl arbeiten als Model – der einzige Berufszweig, in dem Frauen dreimal so viel verdienen wie Männer und nicht nur Geld, sondern auch Schönheit eine harte Währung ist. Yaya ist nicht allein auf dem Laufsteg, sondern auch als Influencerin sehr erfolgreich. Dass sie einen gut aussehenden Geliebten in ihren Insta-Stories präsentieren kann, ist ein sozialmedialer Vorteil. Trotzdem ist für sie klar: Die Beziehung mit Carl ist nur ein Vergnügen auf Zeit. Ihr Ziel ist es, als „Trophy Wife“ einen reichen Mann zu heiraten, bevor sie für die Modelkarriere zu alt wird.
An Deck der Jacht aalt sich die feine Gesellschaft
Die beiden landen auf einer Luxusjacht, von deren Kreuzfahrt Yaya über ihren Social-Media-Kanal berichten soll. Hier öffnet sich das Spektrum des Films zu einem Sittengemälde, in dem das obszöne ökonomische Gefälle in der globalen Gesellschaft kraftvoll ausgemalt wird. Als Gäste werden die Superreichen aus aller Welt an Bord begrüßt: Ein russischer Unternehmer (Zlatko Buric) samt Gattin (Sunnyi Melles), der nach dem Untergang des Sozialismus mit Düngemitteln Milliardengewinne erwirtschaftet hat. Ein reizendes britisches Rentnerpaar (Amanda Walker, Oliver Ford Davies), das einen florierenden Rüstungsbetrieb besitzt und Landminen in die ganze Welt verkauft hat. Ein Software-Entwickler (Henrik Dorsin), dessen Algorithmen ihn zum Multimillionär gemacht haben.
Während sich die feine Gesellschaft an Deck in der Sonne aalt und der Kapitän (Woody Harrelsen) sich in seiner Kajüte zulaufen lässt, schuftet die Crew in bedingungslosem Dienstleistungsmodus und hofft auf lukrative Trinkgelder. Als während des Kapitänsdinners ein Sturm aufzieht, brechen die Luxusstandards auf und die Gäste übergeben sich in feinster Abendgarderobe zahlreich. Übrig bleiben nur der Kapitän und der russische Millionär, die volltrunken via Lautsprecheranlage über Marxismus diskutieren. Als die Jacht schließlich von Piraten gekapert wird, landen Besatzung und Passagiere auf einer verlassenen Insel.
Aus der Modebranche führt Ruben Östlund seinen Film auf das Territorium der Parabel
Hier kehren sich die Machtverhältnisse um. Denn die Reinigungskraft Abigail (Dolly De Leon) ist die Einzige, die mit bloßen Händen Fische fangen kann, und wird zur matriarchalen Herrscherin über die Gestrandeten. Aus dem konkreten sozialen Kontext der Modebranche führt Ruben Östlund seinen Film über die Jacht zur Insel und damit auf das Territorium der gesellschaftlichen Parabel.
In seinem letzten fulminanten Film „The Square“ nahm Östlund die moralische Bigotterie der westlichen Kulturszene ins Visier und in „Triangel of Sadness“ führt er seinen kapitalismuskritischen Diskurs weiter. Beide Filme wurden in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, und man kann sich keinen besseren und ironischeren Ort für eine Premiere von „Triangle of Sadness“ vorstellen als die Côte d'Azur mit ihren Luxusvillen und Superjachten.
Der Hang zur Plakativität ist im Sujet begründet
Sicherlich kann man dem Film einen gewissen Hang zur Plakativität vorwerfen, aber dieser ist nun einmal im Sujet begründet. Denn die ökonomische und gesellschaftliche Diskrepanz zwischen Superreichen und Geringverdienerinnen ist an sich von obszöner Plakativität. Umso erstaunlicher, dass Östlund in der Charakterisierung der Figuren nicht in moralisierende Gut-Böse-Schemata verfällt. Ob russischer Düngemittelmillionär oder südostasiatische Putzfrau – die Menschen an Bord der Jacht werden gleichermaßen mit ihren liebenswerten und abgründigen Eigenschaften gezeigt.
Der bekennende Brecht-Fan Östlund zeichnet seine Charaktere allesamt als Produkt ihrer materiellen Verhältnisse und bringt deren sozialen Blasen spektakulär zum Platzen. Das ist demonstrativ und provokant, aber eben auch ungeheuer detail- und einfallsreich in Szene gesetzt. Wie schon in „The Square“ überzeugt Östlund auch hier mit einem scharfen analytischen Blick für die Absurdität der gesellschaftlichen Verhältnisse und zeigt, dass intelligente Unterhaltung und politische Positionsbestimmungen kein Widerspruch sein müssen.