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Foto: Plaion Pictures/dpa
Foto: Plaion Pictures/dpa

Als er seinen Geliebten verlor, begann Charlie (Brendan Fraser), Unmengen von Essen in sich hineinzustopfen.

Kino
26.04.2023

Brendan Fraser in "The Whale": Was Charlie in einen Wal verwandelt hat

Von Martin Schwickert

Die Comeback-Hauptrolle in "The Whale" brachte Brendan Fraser gleich auch einen Oscar. Mit dem fabelhaften Protagonisten kann die Regie von Darren Aronofsky leider nicht mithalten.

Auf dem Bildschirm gruppieren sich beim Zoom-Meeting die Bilder der 15 Studierenden um ein schwarzes Rechteck. Der Dozent, dessen sympathische Stimme aus dem Off Ratschläge für die Überarbeitung der Essays gibt, ist nicht sichtbar. Die Kamera sei immer noch defekt, behauptet er. Aber der Lehrer hat seine Gründe, warum er nicht gesehen werden will. Kurz danach zeigt die Kamera ihn von hinten beim Masturbieren. Auf dem Laptop läuft ein Schwulenporno und auf der Couch keucht Charlie (Brendan Fraser) - ein 270 Kilogramm schwerer Koloss von einem Mann, der gerade einen Herzanfall erleidet. 

Ohne Umschweife präsentiert Darren Aronofsky in „The Whale“ gleich zu Beginn den Kontrast zwischen Geist und Körper seines gepeinigten Protagonisten. Der warmherzige Intellekt, der sich über die Stimme entfaltet, wird schonungslos der gewaltigen Fettleibigkeit gegenübergestellt, an deren Anblick sich das Publikum gewöhnen muss. Warum Charlie diese selbstzerstörerische Essstörung entwickelt hat, wird erst allmählich aufgedeckt.

Dass er nicht mehr lange zu leben hat, macht ihm die Krankenschwester Liz (Hong Chau) unmissverständlich klar. Die beiden verbindet eine enge Freundschaft. Sie ist die einzige, die sich um den nahezu bewegungsunfähigen Mann kümmert, auch wenn es schwer auszuhalten ist, dass Charlie jede ärztliche Versorgung mit Hinweis auf eine fehlende Krankenversicherung ablehnt. Den jungen Missionar Thomas (Ty Simpkins) einer christlichen Freikirche, der immer wieder vor der Tür steht, um die Seele des Todgeweihten zu retten, lässt Liz abblitzen. Mit dem Verein hat sie ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Ihr Adoptivvater ist der Vorstand der örtlichen Gemeinde. Dessen religiöse Indoktrination hat Liz Bruder in den Selbstmord getrieben, nachdem er in dem Unidozenten Charlie die Liebe seines Lebens gefunden hatte. Für den Geliebten hatte Charlie damals Frau und Kind verlassen. Nach dessen Tod entwickelte er sein zwanghaftes Essverhalten. Den eigenen Tod vor Augen setzt Charlie nun alles daran, wieder Kontakt zu seiner sechzehnjährigen Tochter Ellie (Sadie Sink) aufzunehmen. Aber die wütende Teenagerin denkt gar nicht daran, sich mit dem Vater zu versöhnen.

Brendan Fraser bekam für die Hauptrolle in "The Whale" den Oskar – und das zurecht

Zurecht wurde Brendan Fraser für seine Rolle in „The Whale“ mit dem Oscar als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Ihm ist es zu verdanken, dass das Hauptanliegen des Filmes, durch die verstörende körperliche Gestalt die Schönheit der Seele zu erkennen, funktioniert. Durch Fatsuit und Gesichtsprothesen hindurch lässt Fraser seine Figur erstrahlen, die trotz fataler Selbstzerstörung nicht aufhört, in anderen Menschen zuerst das Gute zu sehen. Fraser, der Ende der 1990er Jahre in Filmen wie „George, der aus dem Dschungel kam“ (1997) und „Die Mumie“ (1999) als strahlender Abenteurer in Hollywood eine Blockbuster-Karriere begann, verfiel nach brancheninternen Missbrauchserfahrungen und familiären Schwierigkeiten in eine langjährige Depression. 

In „The Whale“ bekommt er die Chance auf ein Comeback und mit dem Oscar für Fraser feiert das System Hollywood auch seine Erlösung von eigenen Schuldverstrickungen. Es ist offensichtlich, dass Fraser in dieser extremen Rolle eigene Lebenserfahrungen als Resonanzraum benutzt und der Figur damit die notwendige Tiefe verleiht. Eine besondere Erwähnung verdient auch die fabelhafte Hong Chau („The Night Agent“), die der Figur der resoluten Krankenschwester und pragmatischen Freundin eine glaubwürdige Seelentextur gibt und zum moralischen Kompass des Filmes ausbaut.

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Regisseur Darren Aronofsky mag Geschichten über menschliche Abgründe

Regisseur Darren Aronofsky, der schon in Werken wie „Black Swan“ (2010) und „Mother!“ (2017) sein Faible für abgründige Geschichten ausgelebt hat, inszeniert dieses Kammerspiel als düsteres, wuchtiges Erlösungsdrama. Seine Vorgeschichte als Bühnenstück, dessen Autor Samuel D. Hunter auch das Drehbuch verfasste, kann die Filmadaption jedoch nicht abschütteln. Aus dem Widerspruch, den fettleibigen Protagonisten mit Untersichtaufnahmen und schwelendem Soundtrack als bizarre Attraktion auszustellen und gleichzeitig dessen innere Schönheit zu beschwören, findet Aronofsky auf visueller Ebene keinen befriedigenden Ausweg. Die pathetische Schlusseinstellung, die an ein Heiligenbildchen aus dem Gebetbuch erinnert, schießt weit, weit über das Ziel hinaus und hinterlässt einen äußerst peinlichen Nachgeschmack.

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