Was, wenn es nicht Charles Lindbergh war, der als erster den Atlantik mit einem Flugzeug überquerte, sondern eine kleine Maus? Mit diesem Gedankenspiel begann vor zehn Jahren ein literarisches Mäuseabenteuer für junge Leserinnen und Leser, das in 30 Sprachen übersetzt ist, mehrere Hunderttausende Mal verkauft wurde und nun in die vierte Fortsetzung geht. Torben Kuhlmann, Illustrator und Autor aus Hamburg, erzählt in seinen prächtigen Bilderbüchern die Geschichte bahnbrechender Pionierleistungen und Erfindungen des 20. Jahrhunderts mit Mäusen als Protagonisten - mit der erzählerischen Pointe, dass sie den realen menschlichen Vorbildern damit erst die Anregung für ihre Taten gaben.
Torben Kuhlmanns Mäuseabenteuer führten schon auf den Mond und zu Albert Einstein
Nach dem literarischen Ausflug in die Luftfahrt (“Lindbergh“) widmete er sich noch dem ersten Lebewesen auf den Mond (“Armstrong“) sowie der Erfindung der Glühbirne (“Edison“) und der Neuvermessung von Raum und Zeit (“Einstein“) - alles geleistet von possierlichen kleinen Nagern in unermüdlichem Forscherdrang.
Jedes dieser Bücher ist nicht nur in einem ruhigen, fast poetischen Ton erzählt, sondern bringt mit seinen großartigen Illustrationen zum Staunen. Seite für Seite ist unterschiedlich gestaltet, mit kleinen Vignetten, vermeintlichen Fotografien, die aber immer als gemalte Bilder erkennbar sind, oder Comic-Panels. Auch Skizzen, Baupläne und Zeitungsausschnitte gehören zu diesem Prinzip, das so nicht nur im Text, sondern auch auf der gestalterischen Ebene Fakten und Fiktion miteinander verbindet und die Grenzen zwischen Bilderbuch und Sachbuch fließend werden lässt.
Prächtige Bildtafeln ziehen sich über Doppelseiten hinweg
Am spektakulärsten aber sind die prächtigen Bildtafeln, oft über eine Doppelseite hinweg, nicht nur ihrer fotorealistischen Akribie und der Liebe zum Detail wegen, sondern auch wegen der faszinierenden Perspektiven mit Aufsicht, Untersicht, Zoom und Weitwinkel. Kuhlmann erweitert das Erzählte in seinen eigenständig neben dem Text stehenden Illustrationen und man kann sich kaum sattsehen an seinem immer wieder überraschenden Ideenreichtum und Witz. So erklärt es sich, dass man sich trotz des wiederkehrenden inhaltlichen Musters auch im fünften Band „Earhart“, der der Luftfahrt-Pionierin Amelia Earhart gewidmet ist, mit ungebrochener Faszination in diesen bildgewaltigen Mäusekosmos begibt.
Für die Kolonie der Wühlmäuse, die sich in einem Garten durch die Erde arbeiten, ist der Zaun die Grenze der Welt. Nur eine von ihnen - sie bleibt namenlos wie viele der Kuhlmann-Helden - fügt sich dem nicht. Umgeben von Zahnrädern, Werkzeugen und Bauplänen tüftelt sie an neuen Ideen. Als sie auf einer Briefmarke das Bild einer riesigen Katze entdeckt, gibt es kein Halten mehr. Sie will wissen, wo es diese Tiere gibt - wirklich in Afrika? Sie überlegt, wie es jenseits ihrer engen Welt aussieht, und träumt davon, nicht mehr unter der Erde zu wühlen, sondern in den Himmel zu fliegen und fängt an, eine Flugmaschine zu bauen.
„Earhart“ von Torben Kuhlmann: Eine Maus will um die Welt fliegen
Mit Fliegerbrille auf der Stirn, ganz schmalen Augenschlitzen, einem Grinsen in den Mundwinkeln und erhobener Faust schwebt die Wühlmaus auf ihrem ersten Flugversuch in einem roten Flugzeug über die Gartenanlage - und wer könnte angesichts dieses Bildes nicht das pure Glück nachempfinden, das es bedeutet, eine große Leistung vollbracht zu haben! Aber das soll noch nicht das Ende sein: „Von oben zeigte sich die Welt als eine Ansammlung aus Rechtecken - Felder, Gärten, Häuserblöcke und Stadtviertel. Aber die Welt war kein Rechteck, sondern eine Kugel! Davon war sie überzeugt. Und morgen würde sie mit ihrer Reise rundherum beginnen.“ Doch sie hat nicht mit dem Widerstand ihrer Kolonie gerechnet. Der behagt es gar nicht, dass da eine ist, die über ihre Grenzen hinaus blickt und sich nicht mit ihrer Rolle begnügt.
Damit ergeht es der Maus ebenso, wie ihrem realistischen Vorbild Amanda Earhart. Sie eckte an, nicht nur mit ihrem Wunsch, Pilotin zu werden, sondern auch mit ihrem Widerstand, sich in vorgegebene Geschlechterrollen einzufinden und die untergeordnete Stellung von Frauen zu akzeptieren. Die 1897 geborene Amerikanerin war die erste Frau, die den Atlantik überquerte, und sie wollte der erste Mensch sein, dem die Umrundung der Welt gelingt. Ihre große Unternehmung startete sie am 20. Mai 1937. Ausgehend von Miami machte sie sich in Äquatornähe in östlicher Richtung auf den Weg - doch Earhart kehrte von diesem Abenteuer nie zurück. Nachdem sie bereits dreiviertel der Strecke hinter sich gebracht und die Überquerung des Pazifik - der schwierigste Teil der Tour - vor sich hatte, brach der Kontakt zu ihr ab. Trotz einer großen Suchaktion der US-Behörden wurden weder sie noch ihr Flugzeug je gefunden. Zuletzt gab es im Frühjahr 2024 Hinweise auf ein Wrack auf dem Meeresgrund, das die Überreste der Maschine Earharts sein könnten.
Selbst für die Kleinsten ist nichts unmöglich
Mit einer geschickten Volte findet Torben Kuhlmann in seinem Buch eine Lösung, dieses große Abenteuer für seine junge Leserschaft nicht mit diesem tragischen Ende abzuschließen, sondern mit der Erkenntnis jener wissensdurstigen, widerständigen, gewitzten Wühlmaus, „dass selbst für die Kleinsten nichts unmöglich ist.“
Torben Kuhlmann: Earhart. NordSüd, 128 Seiten, 24 Euro - ab 6 Jahren.
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