Sie haben aktuell ein neues Projekt am Laufen und den Stummfilmklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ neu vertont. Wie kam es dazu?
KARL BARTOS: Ich habe in den 70er Jahren Musik am Robert-Schumann-Konservatorium in Düsseldorf studiert. Gleichzeitig war ich bei der Band Kraftwerk. Das Kernthema von Kraftwerk ist ja die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Durch den ebenfalls bekannten Stummfilm „Metropolis“ von Fritz Lang, der ja den Kampf zwischen Mensch und Maschine zeigt, wurden wir damals inspiriert, uns mit dem Thema zu beschäftigen. Und das, obwohl wir den Film selbst gar nicht gesehen hatten (er lacht).
Wie sind Sie das Projekt angegangen?
BARTOS: Ich versuchte das zunächst mit elektronischer Popmusik. Aber das harmonierte nicht mit den Bildern. Denn der Film wurde im 20. Jahrhundert gedreht, er spielt im 19. Jahrhundert und im Rückblick geht er noch 100 Jahre weiter zurück. Da passt dann Popmusik einfach nicht.
Sie haben aber nicht aufgegeben.
BARTOS: Nein, ich suchte nach etwas, was alles miteinander verbindet. Und so landete ich beim Sinfonieorchester. Aber ich wollte es in einer transformierten Form. Es sollte so ähnlich funktionieren wie Stanley Kubricks Soundtrack bei ,Clockwork Orange‘.
Sehr ironisch?
BARTOS: Nein, ein bisschen anders sollte es schon sein. Ich wollte keine Ironie des Wahnsinns, sondern suchte eher eine expressionistische Form davon. Es sollte eine Art Gedankenmusik, Seelenmusik werden, über die ich zur Frage kam: Wie klingt eigentlich der Wahnsinn? Ich denke, es kommt auf die Perspektive an. Was fühlt der Wahnsinnige? Hört er in sich Klänge? Und wenn ja, welche Art von Klängen sind das? Ist es so, dass sich dieser Klang musikalisch mit Dissonanzen darstellen lässt, die nach Schönbergs Zwölftonmusik klingen oder ist es vielleicht eher so, dass der Betroffene im Augenblick der Tat vielleicht so etwas wie Erlösung empfindet und ein helles Dur in ihm aufsteigt. Eine wunderschöne Melodie möglicherweise?
Das hat so etwas Nerohaftes.
BARTOS: Genau. Der Führer hat auch bei Opern von Wagner geschwelgt. Der war ja auch Künstler und malte – und übrigens gar nicht schlecht.
Obwohl er als Künstler nie Bestätigung erfahren hat.
BARTOS: Bleiben wir bei den Wahnvorstellungen im Film. Hier geht es um den dämonischen Dr. Caligari, der den Somnambulen Cesare als Jahrmarktattraktion ausstellt und ihn durch Hypnose dazu zwingt, nachts Menschen umzubringen. Es geht also um Kontrolle. Erscheint uns das nicht wie eine Metapher für unsere Zeit. Schließlich erleben wir gerade die größte Verhaltensmanipulation, die es jemals auf diesem Planeten gegeben hat. Kybernetik und Künstliche Intelligenz sind gigantische Herausforderungen für die Menschheit.
In der Ankündigung der Elbphilharmonie heißt es: „Zwei legendäre Welten prallen aufeinander: die Kreativität eines langjährigen Bandmitglieds von Kraftwerk und ein Meilenstein der Kinogeschichte.“ Würden Sie unterschreiben?
BARTOS: Na ja, legendär klingt nach irgendjemand, der schon verstorben ist. Ich bemühe mich einfach, meine Projekte gut zu Ende zu bringen. Wir haben da insgesamt vier Jahre dran gearbeitet. Das Thema hat mich lange beschäftigt und jetzt bin ich froh, dass ich fertig bin.
Ich würde an dieser Stelle gerne eine Brücke schlagen zur Band Kraftwerk, die ja sozusagen den Elektropop erfunden hat, was damals niemand ahnte. Sie waren der Vorläufer von Elektro und Techno. Wie fühlt sich das heute für Sie an?
BARTOS: Ich weiß das gar nicht so genau, obwohl ich es oft gefragt werde. Ich habe fast 20 Jahre versucht, das Thema zu meiden, auch in Interviews.
Warum?
BARTOS: Ich wollte mich vom Thema Kraftwerk emanzipieren. Wir haben ja sieben, acht Jahre großartig zusammengearbeitet. Aber irgendwann setzte dann eine Art Entfremdungsprozess ein.
Sie haben eine klassische Musikausbildung an der Düsseldorfer Hochschule genossen. Ein Dozent soll in den 70er Jahren den Kontakt zu den Ur-Kraftwerkern Ralf Hütter und Florian Schneider hergestellt haben. Wie lief das ab?
BARTOS: Das stimmt, Florian hatte bei ihm angerufen und ihm mitgeteilt, dass Kraftwerk für eine USA-Tournee einen klassisch ausgebildeten Schlagwerker suchen würde. Ich ging dann also dort hin und wollte herausfinden, was läuft.
Sie fanden zueinander.
BARTOS: Ich war ja gewohnt im Opernorchester nach Noten zu spielen. Und Ralf legte mir einen Zettel mit einer G-Dur Tonleiter hin und sagte: Wir spielen ein Lied in G-Dur. Ich dachte Donnerwetter! (er lacht). Ich konnte aber im Gegensatz zu vielen klassisch ausgebildeten Musikern improvisieren, weil ich mit Popmusik und Jazz aufgewachsen bin. Und so fanden wir zusammen.
Lassen wir mal das Ende weg. Wie sehen Sie diese Zeit mit Kraftwerk heute?
BARTOS: Ich erinnere mich an alles, ich bereue nichts und ich liebe immer noch unsere gemeinsame Musik. Aber diese Zeit ist auch wie ein Schatten, der mich immer verfolgt. Heute ist mir klar, dass die Geschichte von Kraftwerk eng verknüpft ist mit der digitalen Revolution. Ich kaufte meinen ersten Computer 1986 für zwölftausend Mark bei IBM. Mit dieser Maschine konnte ich erstmals eine klingende Partitur programmieren. Das war natürlich großartig. Andererseits haben ja alle Partituren die gleiche grafische Gestalt. Meine beiden Kraftwerk-Kollegen sahen den Computer indes eher geschäftlich – eben als eine neue Art der Fabrikation von Musik. Plötzlich kamen Ingenieure aus England und den USA zu uns ins Studio und der Prozess des Musizierens, sich in die Augen schauen und unser Leben in Musik zu transponieren, ging verloren. So! Und das ist auch das grundsätzliche Problem der Digitalisierung!
Können Sie das erklären?
BARTOS: Beispielsweise haben die Digitalkonzerne die Begriffe Innovation und Fortschritt verknüpft. Ich sehe das anders. Denn die Erfindung eines Maschinengewehrs kann eine Innovation sein, ob es aber ein Fortschritt für die Menschheit ist, darf bezweifelt werden. Wenn ich heute spazieren gehe, kommt mir jeder Zweite entgegen und guckt auf sein Handy. Ich glaube nicht, dass das gut ist. Und es scheint mir auch eine Illusion zu sein, dass heute jeder mit jedem kommunizieren kann. Auch die Chancengleichheit, die das Internet schaffen sollte, ist nicht gegeben. Ich bin sehr skeptisch, was die totale Digitalisierung angeht: Schulen, Behörden, jede Art der Verwaltung, Gesundheitswesen, Banken, Gastronomie, Supermärkte, Verkehr, einfach jeder Lebensbereich wird heute zwangsdigitalisiert! Warum ist das so?
Es ist also das Gegenteil des ursprünglich guten Grundgedankens passiert, oder?
BARTOS: Ja, die Grundgedanken dazu stammen ja aus dem Hippietum der amerikanischen Westküste: „Information wants to be free“ („Informationen wollen frei sein“). Nur einige haben damals schon gesehen, was die Globalisierung mit all ihren Folgen und Nebenwirkungen bedeutet. All diese Gedanken hat bei mir wieder der Dr. Caligari ausgelöst. Ich finde es so faszinierend, dass darin die Essenz des menschlichen Zusammenlebens mit einigen wenigen Figuren dargestellt werden kann.
Wohin wird das Thema Digitale Welten den Menschen führen?
BARTOS: Es wird viel davon abhängen, wie sich die Politik in Europa dazu verhält. Heute gibt jedenfalls das Geschäftsmodell der Digitalkonzerne den Ton an.
Das wird nicht gut gehen?
BARTOS: Ich bin doch ein wenig pessimistisch. Andererseits denke ich mir: So lange Menschen noch Gefühle dabei haben, wenn sie Bach hören, besteht immer noch Hoffnung.
Zur Person
Karl Bartos, 1952 in Marktschellenberg als Karlheinz Bartos geboren, ist ein deutscher Musiker, DJ, Musikproduzent, Songwriter und ehemaliges Bandmitglied von Kraftwerk (1975 bis 1990). Seine Vertonung des Stummfilmklassikers „Das Cabinet des Dr. Caligari“ ist am 2. November und am 15. Februar 2025 im Prinzregententheater in München zu erleben. Der Stummfilmklassiker läuft dabei in einer 4k-Fassung.
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