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Jubiläum: Der Urvater der Black-Lives-Matter-Bewegung

Jubiläum

Der Urvater der Black-Lives-Matter-Bewegung

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    Max Roach, Jazzschlagzeuger, 1996 in New York.
    Max Roach, Jazzschlagzeuger, 1996 in New York. Foto: Reinhard Köchl

    Manchmal konnte er einem schon auf die Nerven gehen. Das mochte man eigentlich kaum glauben angesichts des freundlichen, älteren Herrn, der einem da bei einer Begegnung in Manhattan im September 1996 gegenübersaß. Denn der erzählte nicht nur mit ruhiger, tiefer, warmer Stimme von damals, von den Zeiten, als er im New Yorker Village Vanguard spielte und dozierte. Im Laufe der Zeit hatte Max Roach auch gelernt, zuzuhören, zu reflektieren, sein eigenes Handeln in einem Kontext zur Gesellschaft zu stellen, ohne dabei Gefahr zu laufen, gleich als zahnlos oder altersmilde abgestempelt zu werden.

    „Ja, das war ich auch“, lachte er. Max Gordon, der Besitzer des legendären New Yorker Jazzclubs, hatte ihn mehrmals anherrschen müssen: „Halt den Mund, und spiel einfach!“ Denn der Schlagzeuger war in jenen Jahren dafür berüchtigt, vor und während der Auftritte und Konzerte provokante Statements abzugeben: zur Bürgerrechtsbewegung, zu Martin Luther King, zu Malcolm X. 1960 hatte er das bahnbrechende Album „We Insist! Freedom Now Suite“ veröffentlicht, ein revolutionäres Pamphlet, das ihn lange als Aussätzigen brandmarkte, jenseits eines gepflegten Jazz, der seinen Rhythmus vor allem vom Klirren der Whiskeygläser an den Tischen vor der Bühne ableitete. Das Business wollte etwas anderes, wie es Gordon unmissverständlich anmahnte: „Don’t talk, just play the goddamn drums!“ 

    Bei Max Roach widersprach das Image des Agitators dem äußeren Eindruck

    Das Image des politischen Agitators widersprach sowieso dem äußeren Eindruck des korrekt gekleideten jungen Mannes aus Brooklyn, der vor genau einem Jahrhundert am 10. Januar 1924 im Newland Township in North Carolina geboren wurde und im zarten Alter von vier Jahren mit seiner Familie nach New York City zog. Max genoss eine gute Erziehung, war belesen, ein Ausbund an Höflichkeit und Dankbarkeit; gegenüber seinem Vater, der ihm ein Schlagzeug schenkte, gegenüber seinen Idolen Charlie Parker oder Dizzy Gillespie, die den 18-Jährigen in eine neue Welt einführten. Und doch befand er sich schon da mitten in der Revolution des Bebop, der ersten musikalischen Segregation, die Weiß von Schwarz trennte.

    Roach lernte schnell: das Schlagzeug nicht als Rhythmusmaschine zu missbrauchen, sich von weißen Schallplattenfirmen- und Clubbesitzern nicht über den Tisch ziehen zu lassen. „Wir waren anfangs nicht besonders politisch“, gestand seine Frau, die Sängerin Abbey Lincoln, „wir veränderten uns einfach.“ Konkret begann das Mitte der 1940er-Jahre. Bebop markierte auch die Geburtsstunde des modernen Schlagzeugspiels, das der junge Mann mit der intellektuellen Brille zur Vollendung führte. Der dumpfe, gleichmäßige Herzschlag der Basstrommel wurde von den polyrhythmischen Wirbeln auf den Becken abgelöst, der metrische Puls, der den harmoniebedürftigen Solisten das Gerüst vorgab, durch die sprudelnden Melodien der emanzipierten Tomtoms ersetzt. Ungerade Rhythmen von sprechenden Trommeln waren da zu hören, überkreuzten sich mit den überbordenden Läufen von Bläsern. Seit Max Roach darf das Schlagzeug sein eigenes Lied spielen. Es singt Melodien. 

    Max Roach ging es immer um Freiheit

    Er galt als ruhender, gleichwohl meinungsstarker Pol in einer bewegten Zeit, der wie ein Politiker vermitteln, aber bei Bedarf auch provozieren konnte. Bis in seine letzten Jahre, als ihn die Alzheimerkrankheit zum Rückzug zwang, stand die aufrechte, fast bewegungslose Statik des Oberkörpers im völligen Widerspruch zu der wirbelnden, die Augen des Hörers oft überfordernden Bewegung der Hände. Und er entdeckte die Mehrdeutigkeit in Spirituals wie „Singing With A Sword In My Hand!“. Daraus schloss er: „Der Mensch muss für das Überleben vorbereitet sein.“ Das galt und gilt vor allem für Afroamerikaner. Max Roach ging es immer um Freiheit, um Gleichberechtigung, ums Miteinander, im Politischen wie im Musikalischen. 

    In Erinnerung bleiben vor allem die musikalischen Zwiegespräche; mit Abbey Lincoln, mit den Pianisten Cecil Taylor und Abdullah Ibrahim, dem Saxofonisten Anthony Braxton oder dem Trompeter Dizzy Gillespie. Dass er mit grenzüberschreitenden Großprojekten, mit Hip-Hop („Der Bebop der Gegenwart!“), mit Streichquartetten, Chören, mit der Trommler-Formation M’Boom oder mit Tänzern in Europa erfolgreich war, mochte ihn zufriedenstellen, die Massen begeistern konnte es nicht immer. Roachs politisches Engagement stieß auf Ablehnung, jahrelang hatte er Mühe, überhaupt Auftritte und Plattenverträge zu erhalten. „Max hat einen hohen Preis bezahlt für seine Überzeugungen“, konstatierte Abbey Lincoln. Dennoch – oder gerade deshalb – kürten ihn 100 führende Jazzmusiker in einer Umfrage zum „größten Drummer aller Zeiten“.

    Man müsse erst jemanden mit eigenen Augen sehen, um zu glauben, was er spiele, proklamierte Max Roach, der am 16. August 2007 im Alter von 83 Jahren starb. Auf ihn, diesen ernsthaften, gebildeten Mann, der Musik mit Stil und Politik verwob, traf dies in jeder Hinsicht zu. Ein elegant gekleideter, musikalischer Rhetoriker der radikalen Ansichten. Der Urvater der Black-Lives-Matter-Bewegung. 1996 in Manhattan beklagte er die sich verschlechternde Situation der Schwarzen seit der sogenannten Gleichberechtigung, wünschte sich die Segregation zurück, eine Zeit, in der die „Great Black Music“ noch nicht der freien weißen Marktwirtschaft ausgeliefert war. Die Hoffnung gab er nie auf: „Wir werden überleben. Für mich manifestiert sich das in meinen Michael Jordans, meinen Michael Jacksons, meinen Miles Davis’, meinen Charlie Parkers, meinen Toni Morrisons.“ Und in unseren Max Roachs.

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