Begabung kann eine Last sein. Besonders, wenn man zu viel davon mitbekommen hat. Mehr noch, wenn man viele verschiedene Begabungen in sich vereint. Aber lassen sich alle zur vollen Entfaltung bringen, reicht dazu das eine Leben, das man hat, oder muss man notgedrungen eine Auswahl treffen? Und welche der Begabungen soll zum Beruf werden, mit dem man seinen Lebensunterhalt verdient?
E.T.A. Hoffmann war ein künstlerisches Multitalent
E.T.A. Hoffmann hat sich solchen Fragen stellen müssen. Er war ein künstlerisches Multitalent, dessen Begabung für Musik, für Literatur, für Malerei schon früh offenkundig war. Und weil ihn die Künste alle gleichermaßen faszinierten, konnte er sich lange nicht für eine Künstlerexistenz entscheiden. Denn das war ihm dann doch bald klar geworden, dass man sich auf eine Disziplin ganz einlassen musste, wenn man es den ganz Großen gleichtun wollte. Weil er sich aber nicht entscheiden konnte, selber einer der „Zerrissenen“ war, die später zum Personal seines erzählerischen Werks gehören werden, wurde er im Brotberuf Jurist.
Zu den Paradoxien im Leben des E.T.A.Hoffmann gehört, dass er deshalb alles andere als ein schlechter Jurist wurde. 1776 im ostpreußischen Königsberg geboren, findet er nach dem Studium eine Anstellung in preußischen Staatsdiensten. Seine gründliche Erledigung der ihm aufgetragenen Rechtsfälle wird geschätzt, man beordert ihn auf verschiedene Posten, schließlich wird er Regierungsrat im damals preußischen Warschau. Neben der Arbeit hat er Zeit, seinen keineswegs ad acta gelegten künstlerischen Neigungen nachzugehen. Er schreibt, komponiert, dirigiert erstmals ein Orchester, mit Erfolg. Und so fasst er den Entschluss, nach Berlin zu gehen und sich nun doch beruflich als Künstler zu versuchen – auf dem Feld der Musik.
Hoffmanns Debüt als Dirigent war ein Debakel
Doch kein Verlag zeigt Interesse an seinen Kompositionen, kein Auftrag von einem Theater wird ihm zuteil. Hoffmann ist inzwischen 30 und Familienvater. In der Not schaltet er ein Inserat, bietet seine Dienste „bei irgendeinem Theater oder Privatkapelle“ an, woraufhin sich zwei Interessenten melden. Das Angebot als Musikdirektor an einer Bamberger Privatbühne nimmt er an. Doch sein dortiges Debüt als Dirigent wird zum Debakel, Hoffmann prompt seines Direktorenpostens enthoben. Gnädigerweise darf er eigene Bühnenkompositionen liefern – er selber nennt es „Musik schmieren“ –, fürs halbe Gehalt.
Allemal befriedigender ist es für ihn, dass sich eine Mitarbeit als Musikpublizist für die angesehene Allgemeine Musikalische Zeitung ergibt. 1809 erscheint hier als Hoffmanns erste veröffentlichte Erzählung „Ritter Gluck“. Die nun regelmäßig erscheinenden Texte in der Musikalischen Zeitung machen Hoffmann bekannt. Die Verbindung von erzählerischem Duktus und musikalischer Reflexion wird zum Charakteristikum seiner Musiktexte.
E.T.A. Hoffmann erlebt Enttäuschungen in der Liebe
In Bamberg gibt es neben der Musikdirektoren-Pleite aber noch weitere Enttäuschungen. Seine heftige Leidenschaft für eine junge Gesangsschülerin wird nicht erwidert, in Hoffmanns eigener Sicht wieder einmal ein Beleg dafür, dass er für Frauen nicht genügend attraktiv ist. Schon von Jugend an hadert er mit dem eigenen Körperbild, nimmt sich als unschön wahr. Vielfach hat Hoffmann sich selbst gezeichnet, auch gemalt. Man sieht diesen Blättern mit ihrem scharfen Strich, ihren oft ironischen Zuspitzungen an, dass ihr Schöpfer nicht so ganz im Reinen mit sich ist.
In Bamberg praktiziert zu jener Zeit der Arzt Adalbert Friedrich Marcus die Methode des Magnetismus und hält Séancen mit Hypnotisierten ab – Phänomene, die damals allgemein für Aufsehen sorgen. Auch Hoffmann fühlt sich angezogen von der durch diese Praktiken zutage tretenden „Nachtseite“ der menschlichen Psyche, was dann Niederschlag in seinem erzählerischen Werk finden wird: in Figuren, die ihr Ich verlieren oder zu Doppelgängern werden, in dunkel-schaurigen Szenen, in einem Erzählstil, der mit dem Geheimnisvollen und Undurchschaubaren spielt – charakteristisch für Erzählungen wie „der Sandmann“ oder „Das Majorat“, „Das öde Haus“ oder „Das Fräulein von Scuderi“ (aktuell Tagesroman unserer Zeitung).
Hoffmanns Erzählungen wurden schließlich zur Musik
Die Provinzstadt Bamberg eröffnet Hoffmann auch Einblicke in das Verhältnis zwischen Künstler-Individuum und Bürgergesellschaft, ein Spannungsfeld, das gerade auch durch eine Hoffmann’sche Figur zum literarischen Topos wurde – durch den Kapellmeister Johannes Kreisler (in der Sammlung „Fantasiestücke in Callot’s Manier“), der deutlich Züge seines Autors trägt. Kreislers Sicht auf die Kunst, die für ihn aller Zweckdienlichkeit enthoben zu sein hat, steht in Konflikt mit dem bürgerlichen Nützlichkeitsstreben, eine Haltung, die auch Hoffmann zuwider ist.
Hoffmann, obwohl schriftstellerisch inzwischen recht aktiv, hängt immer noch dem Traum von der Berufung zur Musik nach – seinen ursprünglich dritten Vornamen Wilhelm hat er nicht ohne Grund durch Amadeus ersetzt –, und so nimmt er ein Angebot als Dirigent einer sächsischen Operntruppe an, entscheidet sich dann aber doch dafür, wieder in preußischen Staatsdienst in Berlin zu treten. Wohl auch, weil er sein Herzensprojekt, die Oper „Undine“, nach langem Brüten inzwischen fertiggestellt hat und darauf hofft, sie hier in Berlin uraufgeführt zu sehen. Das geschieht 1816 auch, der Kammergerichtsrat bekommt dafür viel Zustimmung (unter anderem von Carl Maria von Weber). Doch mehr, das erkennt er wohl selbst, vermag er als Komponist nicht zu leisten. Von heute aus betrachtet, liegt auch für die Musik sein Verdienst mehr in seiner Literatur, in Hoffmanns Erzählungen – Schumann, Offenbach, Tschaikowsky haben sie in unsterbliche Töne gesetzt.
In Berlin schlägt sich E.T.A. Hoffmann die Nächte um die Ohren
Die Nachfrage nach literarischem Stoff aus Hoffmanns Feder hat inzwischen beträchtlich angezogen. Eine Vielzahl von Erzählungen erscheint, vor allem das weibliche Lesepublikum ergötzt sich an dem süffigen Schreibstil. Hoffmann liefert bereitwillig, schreibt manchmal vielleicht zu schnell – dennoch sind seine Erzählungen, zusammengefasst in den Sammlungen der „Fantasiestücke“, „Nachtstücke“ und „Die Serapionsbrüder“, weit mehr als nur hingeworfene Kolportage. Das gilt ebenso für die Romane „Die Elixiere des Teufels“ und „Lebensansichten des Katers Murr“. Die „Elixiere“ wirken zwar durch Versatzstücke wie Mönch, Doppelgänger, Mord zunächst wie das Musterbeispiel wohlfeiler Schauerromantik, haben unter dieser Oberfläche aber doch weit mehr zu bieten: eine Auseinandersetzung mit den Folgen unterdrückter Sexualität, wie sie für die damalige Zeit beispiellos ist.
Nicht als Musiker, als Literat ist Hoffmann nun eine Berühmtheit, in Berlin bei Lutter & Wegner, wo er sich die Nächte mit Punsch und Tabak um die Ohren schlägt, hält er regelrecht Hof. Sein Arbeitspensum ist enorm, auch weil er nach wie vor seinen Dienst als Jurist versieht, wie immer tadellos. Deshalb auch wird er im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse zum Mitglied einer Kommission gegen „demagogische Umtriebe“ berufen. Gesinnungsschnüffelei ist für den liberalen Hoffmann ein Graus, er versucht der Anweisung dadurch die Spitze zu nehmen, dass er die ihm vorgelegten Fälle mit äußerster Genauigkeit angeht – und meist zu dem Schluss kommt, dass nichts dran ist an den Verdächtigungen.
Seine letzten Erzählungen muss Hoffmann diktieren
Sehr zum Unwillen seiner Vorgesetzten, insbesondere des preußischen Polizeidirektors. Der wittert die Chance zur Retourkutsche, als Hoffmann sich anschickt, seine satirische Erzählung „Meister Floh“ zu veröffentlichen. Der Polizeichef hat Wind von der Geschichte bekommen, lässt das Manuskript beschlagnahmen und veranlasst ein Disziplinarverfahren. Der Vorwurf lautet auf Amtsmissbrauch, weil Hoffmann im „Meister Floh“ aus behördlichen Akten zitiert haben soll. Der schriftstellernde Jurist soll seiner Aufgaben entbunden werden.
Doch so weit kommt es nicht mehr. Hoffmann, seit längerem von Krankheit gezeichnet, ist inzwischen bettlägerig, eine Lähmung, die den ganzen Körper ergreift, schreitet zusehends voran. Wie auch seine letzten Erzählungen muss er seine Verteidigung gegen die Anwürfe einem Schreiber diktieren. Hoffmanns Argumente hätten im Kern auch heute noch Bestand, denn der Autor beruft sich auf die Freiheit der Kunst und beharrt darauf, dass das Personal eines fiktiven Textes nicht einfach mit realen Personen gleichgesetzt werden könne.
Vier Monate später – das Verfahren war auf Eis gelegt worden – stirbt Hoffmann, am 25. Juni 1822. Bis zuletzt soll der 46-Jährige noch diktiert haben. Die Frage, wo die wahre Berufung dieses Multitalents lag, war längst obsolet geworden.
Lektüre-Tipps: Das erzählerische Werk von E.T.A. Hoffmann ist in zahlreichen Einzeltiteln wie auch in Auswahlausgaben bei verschiedenen Verlagen erhältlich, beispielsweise bei Reclam. Als umfassende Einführung in Leben und Werk sei die bereits 1984 erschienene, nunmehr neu aufgelegte Biografie von Rüdiger Safranski empfohlen (Hanser, 542 S., 32 Euro).