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Jazz in Gefahr: Öffentlicher Rundfunk streicht Improvisiertes

Rundfunkreform

Wo bleibt der Jazz? Über die Verzwergung der Musiksparte im Radio

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    Die Zeiten, in denen Milch und Honig flossen, sprich jeder Sender sein eigenes Jazzprogramm ausstrahlen durfte, gehören definitiv der Vergangenheit an.
    Die Zeiten, in denen Milch und Honig flossen, sprich jeder Sender sein eigenes Jazzprogramm ausstrahlen durfte, gehören definitiv der Vergangenheit an. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Und wieder einmal oblag es Gerhart Baum, den Finger in die Wunde zu legen. Der frühere FDP-Innenminister gehört mit seinen fast 92 Jahren zu einer inzwischen nahezu ausgestorbenen Generation von Politikern, die Dinge noch aus einem anderen Blickwinkel betrachten und dabei auch dank ihres Lebensalters in der Lage sind, Bezüge zwischen Gestern und Heute herzustellen. Vor einigen Monaten wetterte Baum also vehement gegen die geplante Reform der ARD-Rundfunkanstalten, mit der diese „zukunftsfest“ werden sollten. In der offiziellen Lesart will man dabei dem veränderten Mediennutzungsverhalten sowie der digitalen Transformation Rechnung tragen – aber in Wirklichkeit geht es vor allem um das liebe Geld. Nachdem die Haushalte der neun Rundfunkhäuser zum Teil sogar schon die Milliarden-Schallmauer durchbrochen haben (2023 lag das Budget beim Westdeutschen Rundfunk bei 1,4 Milliarden Euro, beim Bayerischen Rundfunk bei 1,2 Milliarden Euro), aber auch der Druck von Seiten der Politik wächst, sollen nun Nägel mit Köpfen gemacht werden.

    So soll der öffentlich-rechtliche Hörfunk reformiert werden

    In den nächsten Wochen wollen sich die Ministerpräsidenten über weitere Schritte verständigen. Auf dem Prüfstand stehen unter anderem das Abspecken der Sparten- und Digitalkanäle im Fernsehen sowie eine Neuordnung der Hörfunkwellen. Hauptleidtragende wären die kulturellen Nischen wie die Programme für Jazz und improvisierte Musik. Wie die Zukunft des Jazz bei den Öffentlich-Rechtlichen aussieht, kann derzeit niemand vorhersagen. Aber die Zeiten, in denen Milch und Honig flossen, sprich jeder Sender sein eigenes Jazzprogramm ausstrahlen durfte, gehören definitiv der Vergangenheit an.

    Die ersten Schritte der Reform greifen schon ab 23. September. Dann soll jeden Montag und jeden Mittwoch in allen Kultursendern von Kiel bis Garmisch-Partenkirchen das gleiche Jazzprogramm zu hören sein. An zwei weiteren Abenden kooperieren mindestens zwei Sender, wie zum Beispiel der BR und der SWR, die dann regionale Themen behandeln. Das bedeutet für manche eine Erhöhung der gesendeten Jazzprogramm-Stunden, für andere wiederum eine massive Reduzierung. Es gibt also ökonomische Synergien, aber weniger Vielfalt der Inhalte insgesamt im Bundesgebiet. Genau dies entspräche dann aber nicht mehr den ursprünglichen Zielen der am 9. Juni 1950 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ – kurz: ARD –, die sich auf die Fahne geschrieben hatte, „ein Programmangebot zu schaffen, das die Vielfalt und die Interessen der deutschen Bevölkerung widerspiegelt“.

    Gerhart Baum kritisiert den Umgang mit Jazz im Hörfunk

    Gerhart Baum hat dazu eine klare Meinung: „Den Ländern wurde im Grundgesetz aus gutem Grund die alleinige Zuständigkeit für das Rundfunkrecht zugesprochen. Es sollte pluralistisch geprägt sein. Föderalismus ist manchmal beschwerlich, aber ein Wesenselement unserer Grundrechtsordnung.“

    Da wo bisher also die Anstalten an mehreren Abenden der Woche ihre eigenen Jazzprogramme sendeten, wird die Vielfalt nun massiv eingedampft. Die Folgen betreffen vor allem Musikerinnen und Musiker. Allem Anschein nach gibt es künftig auch weniger Produktionen und Livemitschnitte, weil der Ausspielbedarf nicht mehr gegeben ist. Mit einer fatalen Konsequenz: Weniger Sichtbarkeit für die Protagonisten des Jazz. Die bereits kleine Nische schrumpft bis zur Unkenntlichkeit zusammen.

    Die Verzwergung des öffentlich-rechtlichen Jazz schreitet voran

    Und der Prozess der Verzwergung des öffentlich-rechtlichen Jazz hat bereits vor Jahren begonnen. So nützte man das Erreichen der Pensionsgrenze der verantwortlichen Redakteure beim Hessischen Rundfunk und beim Radio Berlin-Brandenburg, um die Redaktionen sukzessive wegzurationalisieren. Gleichzeitig hat die Deutsche Jazzunion als Interessenvertretung des Genres festgestellt, dass damit ein Abbau von Ressourcen für die Produktion (Ü-Wagen, Tonmeister) einhergeht. Was wiederum bedeutet, dass einige Sender ihren Anteil am Verbund irgendwann nicht mehr einspeisen können. Ein Teufelskreis, dessen Ende man erahnen kann: In München gibt es dann eben Jazz aus Köln zu hören. Oder vielleicht irgendwann gar keinen mehr.

    Seit die Pläne im Herbst vergangenen Jahres bekannt wurden, stehen Musikerinnen und Musiker auf den Barrikaden. Die Deutsche Jazzunion hat im August eine Kampagne gestartet, in der sie auf die Auswirkungen der Reform für die Szene aufmerksam machen will. Den Aufbau einer digitalen Plattform „ARD Jazz“, äquivalent zu „ARD Klassik“, beobachtet sie ebenso mit Argwohn wie die Protagonisten selbst. „Wir werden damit vertröstet, dass unsere Musik weiterhin, teils sogar in Rotation, gesendet wird“, erklärt der Augsburger Vibrafonist Wolfgang Lackerschmid, der einen großen Teil seiner Bekanntheit seiner jahrzehntelangen Dauerpräsenz auf den Jazz-Wellen der Republik verdankt. „Das bringt im besten Falle Lizenzen ein, aber ohne redaktionelle Beiträge dazu geht der Kontakt zu unserem Publikum verloren.“

    „Kürzungen führen zu Mittelmäßigkeit“, sagt Ulrike Haage

    Die Berliner Pianistin Ulrike Haage befürchtet: „Kürzungen, die dem Radio die Vielfalt nehmen, führen zu Mittelmäßigkeit.“ Und der Bremer Trompeter und Professor Uli Beckerhoff nennt die geplante Reform sogar einen „Skandal, der einen massiven Kahlschlag für die gesamte Szene“ bedeuten würde.

    Natürlich ist es kein Geheimnis, dass Jazz noch nie ein Quotenrenner war. Aber die öffentlich-rechtliche Pflichtaufgabe besteht nun mal darin, sich bei der Kultur nicht nur am kommerziellen Erfolg zu orientieren, sondern auch die Ränder zu beleuchten. Und da fallen Kürzungen eher auf als bei den großen Feldern. Um die Zusammenlegung komme man nicht herum, weil es eine Entscheidung auf Intendantenebene gewesen sei, sagt Beate Sampson, Leiterin der Abteilung „Musikwelten“ beim Bayerischen Rundfunk und ehemals selbst Jazzsängerin. Diese betreffe nicht bloß den Jazz, sondern alle Bereiche. „So, wie wir das jetzt mit den anderen Anstalten erarbeitet haben, finde ich, dass es eine ganz gute Lösung geworden ist.“

    Beate Sampson sieht die Zukunft nicht so schwarz

    Für die BR bedeutet dies: Drei Tage auf BR Klassik und ab 1. Dezember eine lange Jazz-Nacht von Mitternacht bis sechs Uhr morgens auf Bayern 2 – deren Inhalte Liebhaber überwiegend zeitversetzt über die Mediathek konsumieren. Sampson: „Ich sehe gar nicht mal so schwarz, denn wir verlieren nicht viel. Hoffentlich können wir das möglichst lange halten. Jazz bleibt in der ARD nach wie vor ein wichtiger Player!“

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