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Jahrestag: Giacomo Puccini: Der Mann, der zu Tränen rühren wollte

Jahrestag

Giacomo Puccini: Der Mann, der zu Tränen rühren wollte

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    Ohne Zigarette ging es nicht: Giacomo Puccini im Jahr 1923.
    Ohne Zigarette ging es nicht: Giacomo Puccini im Jahr 1923. Foto: picture alliance/brandstaetter images/Archiv Setzer-Tschiedel

    Vollständig losgeworden ist Giacomo Puccini die Nachrede nie, seinen Opern hafte etwas allzu Sentimentales, Rührseliges, ja Kitschiges an. Nicht nur in deutschsprachigen Landen galten und gelten mäkeligen Beobachtern des Musiktheaters Werke wie „La bohème“, „Tosca“, „Madama Butterfly“ und andere aus der Feder des italienischen Komponisten als nicht ganz satisfaktionsfähig. Selbst in der Heimat des Komponisten haderte man lange Zeit mit ihm, wenn auch aus anderen, um nicht zu sagen entgegengesetzten Gründen - zu wenig italianità, zu wenig vokale Kunst im alten Stil, lautete der Vorwurf. Und doch ist festzuhalten: Die Opern des aus dem toskanischen Lucca stammenden Puccini haben die Welt erobert, vor allem die drei genannten von insgesamt zwölf Bühnenwerken zählen nach wie vor zu den meistgespielten rund um den Globus. Wie aber geht das zusammen, die außergewöhnliche Popularität auf der einen Seite und auf der anderen die oft naserümpfende Wahrnehmung dieses Werks?

    Womöglich liegt gerade darin das Erfolgsgeheimnis, dass Puccini mit seinen Opern sehr bewusst auf die emotionalen Antennen seiner Zuhörerschaft zielt. Er selbst hat sich dazu bekannt, hat er doch seine Librettisten dazu angehalten, ihre Texte so zu schreiben, dass durch sie das Publikum - Puccinis Wort - „zu Tränen gerührt“ werde. Puccini hat nicht, wie sein großer Vorgänger Verdi, große Dramen der Weltliteratur, ob von Shakespeare oder von Schiller, zur Grundlage seiner Vertonungen genommen, sondern lieber auf Stoffe von Autoren aus der zweiten Reihe gesetzt. Stoffe, die eben nicht die großen Menschheitsideen verhandeln, dafür aber umso mehr ans Gefühl appellieren. Und dieser Linie folgend zog Puccini, zumindest in seinen späteren Werken und für die italienische Operntradition geradezu revolutionär, journalistisch erfahrene Texter zur Ausgestaltung seiner Libretti hinzu, um diese verstärkt dem Alltagston der gewöhnlichen Leute anzunähern. Eine Stoßrichtung, die für Puccini auch maßgeblich bei der Szenengestaltung war. „Schmachtende Liebkosungen, Fleischeslust, glühendes, schier unvorstellbares Drama“ wollte er haben, und es ist typisch für Puccini, dass er solche Direktheit sehr wohl im Verbund mit „Poesie“ zu denken vermochte.

    Puccinis Frauenfiguren durchleben die ganze dramatische Skala

    So schuf Puccini - die Librettisten hatten sich minutiös nach seinen Vorgaben zu richten - mit dem Figurenensemble seiner Opern Identifikationsangebote für sein Publikum: Und dies gerade auch mit seinen Frauenfiguren. Ob nun die Näherin Mimì in „La bohème“ oder die Sängerin Tosca im gleichnamigen Stück, ob die Geisha Cio-Cio-San in der „Butterfly“, die Flussschifferin Giorgetta in „Il tabarro“ (Der Mantel) und selbst die Sklavin Liù in „Turandot“, sie alle und weitere sind keine herkömmlich heroischen weiblichen Figuren, wie sie die Kunstform Oper so gerne ins Rampenlicht stellt. Puccini schuf mit seinen Protagonistinnen Gestalten aus dem normalen Leben, statt Königinnen und Göttinen gab er Frauen von gesetzterem sozialem Status den Vorzug, die er dennoch alle Temperaturen der dramatischen Skala durchleben ließ: Momente des triumphierenden Liebesglücks ebenso wie die Bitternisse des Scheiterns und schließlich den Tod.

    Puccini ist weißgott nicht nur ein Komponist des Liebessentiments. Im Gegenteil, in den Jahren um 1900 und auch noch danach hat kein anderer sich in solchem Maß der Gegenwelt von Gewalt und seelischer Grausamkeit gewidmet. In „Tosca“ ist die Folter, die Toscas Geliebtem widerfährt, während der Polizeichef Scarpia sich sadistisch an den Seelenqualen der Frau ergötzt, eine regelrechte Schockszene. Kaum weniger drastisch „La fanciulla del west“ (Das Mädchen aus dem Goldenen Westen), wo die Protagonistin Minnie mit dem Sheriff Karten um das Leben ihres Geliebten spielt, der unerkannt und blutend im Stockwerk darüber liegt. Und in Puccinis letzter Oper „Turandot“ geht es gleich zu Beginn darum, dass einen Kopf kürzer gemacht wird, wer die Prinzessin begehrt und ihre Rätsel nicht lösen kann.

    Ein Meister im Schaffen von Atmosphäre in der Oper

    Puccini also ein Schöpfer von Musik, die, wie schon zu Beginn der 1930er Jahre ein Beobachter formulierte, „aus den feinsten Giften und heißen Liebestränken filtriert“ ist? Jenseits vertonter Lieben und Gifte besticht der Operntyp à la Puccini durch Neuerungen, wie sie im Musiktheater seiner Zeit ohne Vergleich sind. Im Ausrollen sozialer Milieus und zeitlich-örtlicher Atmosphären ist dieser Komponist ein Meister, auch deshalb, weil ihm dies nicht nur durch entsprechende Klangregistrierung, sondern genregerecht durch die schlüssige Einbindung kleiner und kleinster Nebenrollen gelingt. Das winterliche Paris in der „Bohème“, das religiös-geschäftige Treiben in einer römischen Kirche zu Beginn von „Tosca“, die explosive Männergesellschaft eines Goldgräberlagers in „La fanciulla del west“, die aufgeputsche Stimmung vor Pekings Kaiserpalast in „Turandot“, Szenen wie diese tragen anhaltend zum Wirkvermögen von Puccinis Opernwerk bei.

    Öffentlich seine Werke dirigiert hat er nie, auch nicht, wie andere Komponistenkollegen, ein Opernhaus geleitet. Puccini ist wohl der erste Komponist, der ausschließlich von den Tantiemen seiner Werke leben konnte, und das alles andere als schlecht. Sein Erfolg, vollends mit „La bohème“ einsetzend, machten ihn zum Multimillionär. Ein Mann, der ausgiebig seinen Leidenschaften nachging, mehrere Domizile besaß (bevorzugt die Villa in Torre del Lago), Autos liebte (1922 fuhr er quer durch Deutschland bis Amsterdam) und auch in anderer Hinsicht dem Bild eines Dandys entsprach - Puccini, verheiratet mit einer Jugendliebe (mit der er erst lange Jahre in „wilder Ehe“ zusammenlebte) pflegte zeitlebens erotische Beziehungen zu anderen Frauen. Und er war dem Tabak verfallen, letztlich zu seinem Schaden. Eine Operation bei einem Brüsseler Spezialisten konnte den Kehlkopfkrebs nicht mehr stoppen. Mit 64 Jahren starb der Erneuerer der italienischen Oper vor genau 100 Jahren, am 29. November 1924.

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