Es gab Zeiten, da waren Woody-Allen-Filme kulturelle Events, aber jetzt tun sie sich wie Filme anderer klassischer Regisseure schwer, ein Publikum zu finden.
Woody Allen: Das ist richtig. Als ich „Rifkins Festival“ drehte, haben mich manche Leute darauf hingewiesen. Und ja, es ist schade, dass nicht viele Menschen meine Filme sehen. Ich hätte es vorgezogen, wenn sie das tun würden. Aber hält mich das davon ab, neue Filme zu drehen? Nein. Ich frage mich nicht, ob sich das Publikum für die Themen interessiert. Oder ob sich damit Geld verdienen lässt. Das hat keinen Einfluss auf mich. Ich stehe in der Früh auf und mache mich an die Arbeit. Und falls niemand eine Filmidee finanzieren will, dann schreibe ich eben ein Buch oder ein Theaterstück.
Aber Sie wollen doch ein Publikum erreichen.
Allen: Ja, ich möchte mit Menschen kommunizieren. Und mit den Menschen, die sich für meine Filme interessieren, kann ich umso tiefer kommunizieren.
Eigentlich strotzt die Welt gerade vor Themen, die nach filmischer Aufbereitung schreien.
Allen: Ja, aber als Filmemacher interessiert mich die Tagespolitik nicht. In 100 Jahren interessiert sich niemand mehr dafür. Ich mache das einfach wie immer: Ich sitze zu Hause und schreibe die Geschichten auf, die mir etwas geben – zu den Fragen nach Leben und Tod, wie sie auch einen Rifkin bewegen.
Aber Sie spielen nicht mehr in Ihren Filmen wie früher, obwohl die so persönliche Themen berühren.
Allen: Ich würde das schon noch tun, aber je älter ich werde, desto geringer werden die Gelegenheiten. Der romantische Liebhaber zum Beispiel kommt schon lange nicht mehr infrage.
Sehen Sie eigentlich selbst Ihre Filme? Sie meinten mal, dass Sie keinen davon angeschaut hätten.
Allen: Diese Aussage gilt nach wie vor. Seit meinem ersten Film „Woody der Unglücksrabe“ 1969 habe ich keinen gesehen. Immer wieder werde ich angesprochen: „Erinnerst du dich noch an diesen oder jenen Gag?“ Aber ich muss passen. Ich habe es genossen, diese Filme zu drehen. Mit den Beteiligten hatte ich ein gutes Verhältnis. Ich danke den Kameraleuten, die mich gut aussehen ließen. Aber sobald ein Film fertig ist, siehst du nur noch seine Schwachstellen. Ich bin dem Publikum sehr dankbar, dass es über die hinweggesehen hat, aber ich erkenne nur, was ich besser machen würde. Bei einem Theaterstück ist das was anderes. In der Hinsicht sind Filme wie das Leben: Du kannst nachträglich nichts mehr ändern.
Die Veränderungen in Ihrem Leben in den letzten Jahren waren aber nicht besonders angenehm.
Allen: Wenn Sie Covid ansprechen, so stimmt das. Denn ich hatte Angst, mein Haus zu verlassen. Aber ansonsten ist mein Leben dasselbe geblieben. Ich blieb zu Hause, schrieb Stücke, die inszeniert wurden. Ich sehe meine Frau und meine Freunde. Und über alles andere zerbreche ich mir nicht weiter den Kopf.
Im Zuge der Farrow-Affäre waren und sind Sie ja unentwegt Angriffen ausgesetzt. Hoffen Sie auf Besserung?
Allen: Ich würde mir wünschen, dass da Frieden einkehren würde, aber ich habe keinerlei Hoffnung.
Teilweise war auch die Veröffentlichung Ihrer Werke davon gefährdet. Sie haben sich ja in einem Interview schon sehr negativ über die Cancel Culture geäußert.
Allen: Jede Generation begeht eben ihre Dummheiten, und das ist eben der aktuelle Trend. Es wird noch ein bisschen dauern, dann werden das immer mehr Leute als Idiotie erkennen.
Sie sagten ja, dass Sie unbeeindruckt von allem weitermachen. Es besteht für Sie auch nicht die Gefahr, dass Sie am Schreiben die Lust verlieren?
Allen: Ich habe in meinem Leben an allem Möglichen gelitten, aber nie an einer Schreibblockade. Für mich ist das Schreiben Entspannung, denn ich kann dabei aus der Realität entfliehen. Ich erfinde Geschichten und Charaktere und lebe in einer Fantasiewelt. Das einzige Problem besteht darin – wenn es um Drehbücher geht –, dass ich sie auch noch verfilmen muss. Denn ansonsten wäre das Ganze tot. Es würde keinerlei Sinn ergeben. Ansonsten würde ich einfach gleich den nächsten Text schreiben.
Doch die Bedingungen für das Filmemachen sind nicht besser geworden, wie auch Ihr Alter Ego Rifkin in Ihrem neuen Film beklagt.
Allen: Ich weiß, es ist entmutigend. Die Generation der Filmemacher, der ich angehöre, verschwindet langsam. Immerhin arbeitet Martin Scorsese noch und macht wunderbare Filme. Vor Kurzem traf ich Francis Ford Coppola, der dreht auch noch weiter. Aber das Problem ist auch, dass die Leute nicht mehr so ins Kino gehen wie früher.
Können Sie das verstehen?
Allen: Es ist natürlich bequemer, wenn du mit Familie und deinen Freunden zu Hause sitzt. Du musst nur auf einen Knopf drücken und prompt bekommst du den gewünschten Film auf dem Fernseher geboten. Du musst nicht in der Kälte raus, du brauchst kein Vermögen auszugeben. Du bist auch nicht gezwungen, eine Menschenmenge um dich zu ertragen. Aber es ist trotzdem eine komplett andere Art und Weise, Kunst wahrzunehmen. Es wäre so, als hätte Picasso ein Bild gemalt, das er zu dir nach Hause bringt, damit du es anschauen kannst. Du zahlst ihm Geld dafür, und dann bringt er es wieder weg, um es in einem anderen Haushalt zu zeigen. Alles wird zu einer individuellen Erfahrung.
Sind Sie nostalgisch veranlagt?
Allen: Das versuche ich zu vermeiden. Denn das ist eine Falle. Wenn du nostalgisch wirst, dann bleibst du in deiner Vergangenheit stecken.
Ihre Charaktere scheinen aber eine Vorliebe für die Vergangenheit zu haben.
Allen: Man darf mich nicht mit ihnen verwechseln. Die sind viel interessanter als meine Person. Und hoffentlich auch lustiger. Auch mein Leben ist langweiliger als ihres. Ich lebe einfach in meiner kleinen Blase.
Doch am Ende lauert der Tod, wie uns „Rifkins Festival“ in einer Hommage an Bergmans „Das siebte Siegel“ zeigt. Haben Sie damit Ihren Frieden gemacht, wie es der Gevatter im Film fordert?
Allen: Es bleibt mir nichts anderes übrig. Wir alle steuern auf die ewige Vernichtung zu – so wie die Züge in der Eröffnungsszene von „Stardust Memories“, die alle Passagiere zu einem Müllplatz bringt. Für mich ist der Tod so etwas wie ein endloser Schlaf, und das ist ja nichts Schlimmes. Und ich bin mir bewusst, dass ich mich auf der Reise durchs Leben in einer sehr privilegierten Stellung befinde. Wobei Ruhm, Geld und Erfolg auf dieser Fahrt nicht glücklich machen.
Was macht Sie denn dann glücklich?
Allen: Meine Frau – die ich selbst wiederum glücklich zu machen versuche. Unsere beiden Töchter. Die Tatsache, dass ich arbeiten kann und dass das Publikum netterweise meine Filme mochte. Es gibt viele kleine Dinge – eine schöne Landschaft, freundliche Menschen. Ich erkenne durchaus an, dass das Leben ganz wunderbar sein kann. Und dass es mich sehr gut behandelt hat. Aber all diese Freuden haben keinen Bestand. Denn eines Tages ist alles vorbei. Und es geht viel zu schnell. Deshalb ist das Glas für mich halb leer. Nachdem ich aber nun mal auf der Erde bin und mir nicht aussuchen kann, ob ich geboren werden möchte oder nicht, will ich das Leben auch auskosten. Doch es ist alles nicht so einfach.