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Interview: Warum sich West- und Ostdeutsche fremd geblieben sind

Interview

Warum sich West- und Ostdeutsche fremd geblieben sind

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    Ein Friseursalon in Bitterfeld 1993.
    Ein Friseursalon in Bitterfeld 1993. Foto: Daniel Biskup

    Herr Biskup, auf Ostdeutschland wird derzeit wieder besonders geschaut. Schaut man sich allerdings Ihre Bilder an, hätte man manches vielleicht viel früher sehen können: Zum Beispiel die Fotos von Montagsdemonstrationen in Leipzig – aus dem März 1991, also nur ein halbes Jahr nach der Wiedervereinigung. 50000 Menschen auf der Straße, und aus „Wir sind das Volk“ über „Wir sind ein Volk!“ wurde „Ossi – Bürger 2. Klasse“, wie auf einem Plakat zu lesen. Waren das irgendwelche alten Kader oder hat das im Westen einfach nicht interessiert?

    Daniel Biskup: Das waren vor allem enttäuschte Menschen, Wendeverlierer, von denen es viele gab. Schon mit der Währungsunion stieg ja die Arbeitslosigkeit rapide an. Man darf nicht vergessen, dass mit der D-Mark zwar Kaufkraft kam, allerdings floss diese vor allem in Westprodukte. Und: Die Firmen in den neuen Ländern mussten ja auch in D-Mark abrechnen mit der Folge, dass deren ganzer Exportmarkt zusammenbrach, weil potenzielle Abnehmer, etwa in Osteuropa, dann natürlich lieber gleich die Ware aus dem Westen kauften. 80 Prozent der Industriearbeiter verloren so im Lauf der Jahre ihren Job…

    Und das hat in der alten Bundesrepublik niemand wahrhaben wollen?

    Biskup: Doch, Fachpolitiker, Gewerkschaften natürlich, nicht aber die breite Öffentlichkeit. Auch in den Medien wurde allenfalls ein Bild gebracht, wenn Kohl von einem Ei getroffen wurde, der Alltag der Menschen, wie sie leben, was sie umtreibt, hat aber die wenigsten interessiert… Moment, da ist gerade… ich muss mal schnell ein Foto machen… [Das Gespräch bricht ab, nach fünf Minuten dann der Rückruf] Entschuldigung, bin gerade vorm Reichstag und da lief eben ein skurriler Mann vorbei mit einem selbst gemalten Bild von Angela Merkel als Domina… Aber so ist das, man spaziert durch die Gegend, und plötzlich läuft einem etwas vor die Nase beziehungsweise die Kamera… Wo waren wir stehen geblieben?

    Das Interesse an Ostdeutschland war gering

    Bei dem Alltag der Menschen, den Sie in Ihren Bildern aus den Wendejahren – zum Beispiel in einem Friseursalon in Bitterfeld – wohl auf ebendiese Weise eingefangen haben…

    Biskup: Ja, wie gesagt, der hat viele nicht sonderlich interessiert. Im Grunde war das all die Jahre zuvor ja auch nicht anders, wenn man nicht zufällig Verwandte im Osten hatte. Natürlich haben sich die Leute im Westen eben nach Westen orientiert, waren neugierig auf die Lebensweise in Frankreich, Italien oder den USA und eben nicht auf die in der ja ohnehin abgeschotteten DDR oder gar, sagen wir mal, im Erzgebirge. Gut sehen konnte man das am 17.Juni, dem Tag der Deutschen Einheit, der ja eher formellen Charakter hatte und seltsam blutleer blieb, selbst in den Unions-Parteien. Und dann nach der Wende, ganz wichtig: Für die Menschen in den alten Bundesländern hat sich wahrnehmbar in ihrem Leben ja nichts verändert – es gab also erst einmal gar keinen großen Grund, sich plötzlich umzuorientieren, dem Osten zuzuwenden. Und eigentlich blieb das bis heute so: Die meisten Menschen aus den neuen Ländern haben Westdeutschland bereist, sich vieles angeschaut, nicht aber umgekehrt…

    …und irgendwann ist man dann überrascht aufgewacht? Seit Pegida, dem Aufstieg der AfD, Chemnitz ging es ja gefühlt zeitweise in jeder zweiten Talkshow um den Osten – mehr oder weniger immer mit der unterschwelligen Frage verbunden, was da eigentlich los sei in diesem fernen Land…

    Biskup: Na ja, ich glaube, mit den Menschen, die vor Krieg, Not und Verfolgung Schutz suchend zu uns kamen und Aufnahme fanden, hat bei vielen Menschen in Ostdeutschland der Frust ein Ventil gefunden. So nach dem Motto: Da wird sich gekümmert, und uns – ich rede jetzt von den vielen strukturschwachen Gegenden, aus denen die Jungen alle weg sind, und nicht den großen Städten – wird immer nur gesagt, was aus Geldmangel alles nicht geht. Das spiegelt sich dann in den Wahlergebnissen, die meiner Meinung nach vor allem gegen den Westen gerichtet sind. Und ein Hilfeschrei.

    Der Lebensstandard ist nach wie vor unterschiedlich

    Also vor allem und immer noch ein wirtschaftliches Problem? Die Arbeitslosigkeit ist ja gesunken, allerdings sind in den neuen Ländern ein Drittel der Beschäftigten im Niedriglohnbereich…

    Biskup: Ja, das muss man sich mal vorstellen. Und man darf gar nicht daran denken, wenn die in Rente gehen und das Geld dann nicht reicht. Daneben spielen aber natürlich auch psychologische Faktoren eine Rolle, die ganzen gebrochenen Biografien, die nicht anerkannte Lebensleistung. Denn es war doch so: Man hat oft genug von einem kaputten System auf die Menschen und deren Arbeit geschlossen. Für das System aber konnten die nichts.

    Mangelnde Wertschätzung also. Hätte man da nicht damals, bei der Wiedervereinigung, wenigstens auf symbolischer Ebene ein paar Dinge anders machen müssen? Also eine neue, gemeinsame Hymne, eine gemeinsame verfassunggebende Versammlung, solche Sachen?

    Biskup: Man darf nicht vergessen: Es ging ja alles so schnell. Und musste es wohl auch, es gab so viele Baustellen… Der Fall der Mauer, Niedergang der Sowjetunion… Es blieb einfach wenig Zeit.

    Helmut Kohl hat also alles richtig gemacht?

    Biskup: Ach, was soll man da im Nachhinein sagen? Richtig ist auf jeden Fall: Die Menschen im Osten haben so viel von ihren Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen in diesen Menschen projiziert – das konnte nur schiefgehen und war selbst für ihn eine Nummer zu groß.

    "Die Geschichte einer enttäuschten Liebe"

    Ganz anders als auf Ihrem Bild aus Erfurt, wo der damalige Kanzler bei seinem ersten Besuch nach der Wiedervereinigung von einem Jungen noch hingebungsvoll umarmt wird… Ein Foto übrigens, das wie so viele in Ihrem Buch noch nie veröffentlicht wurde – und die jetzt genau zur rechten Zeit kommen, scheint es. Gibt es nun, bald dreißig Jahre nach dem Mauerfall und angesichts des zuletzt so gestiegenen Interesses an dem, was im Osten passiert, Hoffnung auf mehr gegenseitiges Verständnis?

    Biskup: Ich befürchte, eher im Gegenteil. Im Westen sagt man, man habe jetzt dreißig Jahre gezahlt und – was ja auch stimmt – selbst genug Probleme, und jetzt is’ mal gut. Und im Osten, wo ja wiederum tatsächlich viel passiert ist, bleibt das Problem bestehen: Die Infrastruktur – also Geschäfte, medizinische Versorgung, Nahverkehr – wird in manchen Gegenden laut Experten nur mit massiven finanziellen Transfers aufrechtzuerhalten sein, die gut ausgebildeten Jungen ziehen mangels Möglichkeiten wenn nicht ins Ausland oder die alten Bundesländer, so doch in die Städte, und zurück bleibt, ja was? Bei vielen Älteren bestimmt auch so etwas wie Verbitterung. Ich meine, man muss sich das noch mal vorstellen: So viel Hoffnung, und plötzlich ist alles ganz anders, der Arbeitsplatz weg, und so weiter, und statt mit Sensibilität und Verständnis kamen Wessis mit alten Autos, um diese zu verkaufen. Natürlich darf man nun auch im Osten nicht so tun, als wäre alles aus dem Westen voll Arroganz, Arglist und schlecht gewesen, im Gegenteil: Die Hilfsbereitschaft war ja groß. Aber im Grunde ist das Ganze die Geschichte einer enttäuschten Liebe.

    Zur Person: Daniel Biskup, 1962 in Bonn geboren, lebt in Augsburg und Berlin. Er fotografierte Politiker wie Donald Trump, Wladimir Putin, Angela Merkel oder Emmanuel Macron – und früher häufig Helmut Kohl. 1988 reiste er das erste Mal in die Sowjetunion und begleitete daraufhin die Umbrüche in Osteuropa mit der Kamera. Sein neues Buch Wendejahre – Ostdeutschland 1990 – 1995 (Salz und Silber, 360 S., 45 ¤) ist soeben erschienen. Seine Ausstellung „Nach dem Mauerfall“ ist derzeit im Museum in der Kulturbrauerei in

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