Am 3. November startet auf Sky die achtteilige Serie “Unwanted” von Oliver Hirschbiegel. Es geht darin um ein Kreuzfahrtschiff, das schiffbrüchige Flüchtende aufgreift. Unbeschwerte Urlauber treffen darin auf verzweifelte Migranten. Was, hoffen Sie, können Zuschauer aus dieser Serie mitnehmen?
JONATHAN BERLIN: Ich hoffe, dass sie Empathie hervorruft. Wir bewegen uns in Zeiten, in denen die Flüchtlingsthematik viel zu oft als reine Statistiken gesehen wird. Aber es werden kaum die Schicksale der Menschen dahinter gesehen und beleuchtet, und in der Zeit, in der besonders in Europa oder auf der ganzen Welt Rechtspopulismus so massiv um sich greift, hoffe ich, dass es die Augen öffnen kann für einige, die sich vielleicht nicht damit beschäftigen wollen oder das bisher nicht getan haben. Ich komme aus dem Landkreis Günzburg. Da hatte die AfD in den Landtagswahlen die höchsten Wahlergebnisse. Das ist auch eine ganz klare Aufgabe von uns, diese Geschichten zu erzählen, damit anders über dieses Thema nachgedacht wird.
Ist Kunst manchmal das beste Mittel, um auf Misstände aufmerksam zu machen, die die Politik nicht lösen kann?
BERLIN: Das ist auf jeden Fall einer der Hauptantriebe für den Beruf, dass man andere Perspektiven einnehmen kann, sowohl als Schauspieler, aber auch als Zuschauer. Es gibt einem die Chance, dass man den eigenen Standpunkt verlassen kann, und ich glaube, das ist gerade etwas, was im politischen Betrieb sehr, sehr selten passiert, dass Standpunkte auch mal überprüft werden oder es zumindest versucht wird, die Gegenseite nachzuvollziehen, damit man nicht immer nur gegeneinander feuert. Das ist das Wunderschöne und auch Einzigartige an dem Beruf des Schauspielers – oder vielleicht auch insgesamt an der Kunst.
Was hat Sie ganz persönlich an der Geschichte bewegt und an Ihrer Rolle fasziniert? Womit konnten Sie sich identifizieren?
BERLIN: An der Figur des Jürgen fand ich interessant, dass er alles tut, um vor seinen Eltern und eigentlich auch vor seiner eigenen Identität wegzulaufen, aber dann durch diese Begegnung auf den Schiffen sich neu kennenlernt. Ich fand es auch ein Geschenk, dass es eine queere Geschichte ist, gerade auch in dem Kontext, der erzählt wird. Denn in den Herkunftsländern vieler Geflüchteter ist queeres Leben oft nicht möglich.
Apropos queere Geschichten – Sie waren 2021 Teil der Initiative Act Out im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Würden Sie sagen, es hat sich seither etwas verändert in der Film- und Fernsehbranche in Deutschland oder gibt es noch sehr viel Nachholbedarf?
BERLIN: Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass es sehr viel ausgelöst hat. Die Verantwortlichen sind sehr viel wacher geworden für queere Identitäten im Film und das ist ja auch eine Bereicherung, diverser und breiter aufgestellt zu erzählen. Es ist immer noch ein Stück zu gehen, weil es sich natürlich auch nur in einer gewissen Sparte von Formaten abbildet, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Gerade in dieser Zeit, in der Minderheiten oft eine Zielscheibe darstellen, kommt es darauf an, ihre Geschichten zu erzählen.
Sie haben vorhin angesprochen, dass die Figur des Jürgen jemand ist, der sich selbst erst finden musste. Wussten Sie schon früh, dass Sie Schauspieler werden wollen?
BERLIN: Ja, das war ziemlich früh klar. Ich wollte mit sieben Jahren Marionettenspieler werden, dann habe ich mit acht angefangen, Theater zu spielen, habe dann irgendwann gecheckt, dass es die staatlichen Schauspielschulen gibt. Ab dem Zeitpunkt, war dann klar, dass ich Schauspieler werden will. Ich wusste lange nicht, wie man zum Film kommt, weil ich nicht aus einer Künstlerfamilie komme. Ich wurde aber immer von meinen Eltern drin unterstützt. Das hat mir sehr geholfen, ein Gefühl zu bekommen für den Weg, den ich gehen will, und für eine Sinnhaftigkeit in meinem eigenen Leben.
Sie sind neben der Schauspielerei auch als Aktivist tätig und setzen sich für Fridays for Future und Greenpeace ein. Warum ist Ihnen das so wichtig?
BERLIN: Der Beruf und die Reichweite, die man damit erzielen kann, das kann man nicht ungenutzt lassen, gerade mit Produktionen, die ein politisches Thema im Kern haben. Ich finde es unglaubwürdig, wenn ich mich nicht auch selbst positioniere. Die Klimakrise ist für mich das allumfassendste Thema, das in alle Bereiche eingreift, deswegen ist das eines der Hauptthemen, mit denen ich mich auseinandersetzen möchte und zu denen ich mich positionieren möchte.
Die Welt ist voller Krisen. Was gibt Ihnen Hoffnung in dieser Zeit?
BERLIN: Hoffnung müssen wir uns selbst stiften. In einer Zeit, in der man dazu neigt, den Glauben an die Menschlichkeit zu verlieren, gibt mir eine Serie wie "Unwanted " Hoffnung, weil ich das Gefühl habe, dass man damit vielleicht einfach auf einer anderen Ebene zu Menschen vordringen kann. Info: ab 3. November auf Sky & Wow.
Zur Person
Jonathan Berlin, geboren 1994 in Ulm, ist in Günzburg aufgewachsen und lebt heute in Berlin. Erste Schauspielerfahrungen machte er im Jungen Ensemble des Theaters Ulm. Seine Schauspielausbildung absolvierte er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Er wirkte in Filmen wie "Der Passfälscher“, „Das Weiße Haus am Rhein“ und „Criminal“ mit.