Die Herren, worauf können sich Ihre Fans in Anbetracht der „Rock Believer“-Tour gefasst machen?
Matthias Jabs: Auf Scorpions in Bestform.
Klaus Meine: Wir haben richtig Lust auf die Konzerte. Im vergangenen Jahr haben wir sechzig Shows in Nordamerika und in Europa gespielt, jetzt geht es im April nach Süd- und Mittelamerika, und dann finden endlich auch die deutschen Termine statt, auf die wir uns sehr, sehr freuen.
Die Fans mussten ja auch lange genug warten.
Meine: So ging es uns allen. Nach der Pandemie standen viele Fragezeichen im Raum, ob und wie es weitergeht. Nach dieser belastenden Zeit war es fantastisch, im vergangenen März in Las Vegas erstmals wieder auf der Bühne zu stehen.
Gehen Sie vor einer Tournee eigentlich ins Trainingslager, so wie eine Fußballmannschaft vor einem wichtigen Turnier?
Jabs: Jeder von uns bereitet sich individuell vor. Wir wohnen ja auch gar nicht so nah beieinander. Rudolf verbringt den Großteil seiner Zeit in Thailand, Klaus und ich sind in Hannover, unser Schlagzeuger Mikkey Dee in Göteborg, unser Bassist Pawel Maciwoda in Krakau. Ich zum Beispiel habe seit Anfang des Jahres einen Personal Trainer. Unser letztes Konzert ist jetzt schon einige Monate her, und es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich sportlich fit zu machen – gerade, wenn du in einer ganz anderen Zeitzone tourst oder etwa in Bogota in 2500 Meter Höhe spielst. Musikalisch wiederum haben wir das Programm drauf. Wir treffen uns einmal vorher, spielen alles durch und dann sind wir bereit.
Klaus, haben Sie auch einen Personal Trainer?
Meine: Ja, habe ich. Das letzte Konzert haben wir Anfang Dezember in Mexiko gespielt. Die Zwischenzeit muss man nutzen, damit Energie und Spannung nicht verloren gehen. Das heißt: Krafttraining, Kondition, das volle Programm. Man muss einfach was machen. Das Belastende sind nicht so sehr die Konzerte an sich, denn wenn du erst mal unterwegs bist, kommst du mit jedem weiteren Konzert körperlich besser drauf und merkst, wie du immer ausdauernder und leistungsfähiger wirst. Nur werden auch wir nicht jünger, und speziell lange Überseereisen schlauchen einfach. Trotzdem: Im Konzert ist der Stress gedanklich weit weg. Du guckst in die Gesichter der Fans und bist gut drauf. Und wenn ich hinter mir einen Luftzug spüre, dann ist das nicht der „Wind of Change“, sondern Rudolf, der mit seiner „Flying V“-Gitarre dynamisch über die Bühne rennt (lacht).
Hält Sie das Live spielen jung?
Meine: Wir werden an Jahren älter, aber es hält uns im Herzen jung. Wer hätte denn vor fünfzig Jahren gedacht, dass wir mit Mitte 70 noch auf einem solchen Niveau spielen? In Südamerika sind wir jetzt unter anderem mit Kiss und Deep Purple unterwegs, wir spielen jeden Abend in Stadien vor zigtausend Fans, es ist einfach fantastisch. Wir genießen jedes einzelne unserer Konzerte.
Ist so eine „Masters of Rock“-Tour mit Bands in Ihrem Alter wie eine Art Klassenfahrt?
Meine: Wir kennen uns alle seit vielen Jahren und freuen uns immer, wenn wir uns sehen. Mit Kiss zum Beispiel haben wir mal auf Jamaika gespielt und vorher zusammen gefrühstückt. Die Jungs sind einfach cool drauf. Auch auf die brasilianische Band Sepultura freuen wir uns, die wird unter anderem in Manaus dabei sein. Wir spielen jetzt zum dritten Mal dort am Amazonas. Also, wenn du bei solch einer Tour keinen Spaß haben solltest, dann ist dir nicht mehr zu helfen.
In Manaus waren gerade auch die Minister Robert Habeck und Cem Özdemir. Sind auch Ihnen Themen wie die Rettung des Regenwaldes und der Schutz des Klimas wichtig?
Meine: Natürlich. Der Naturschutz ist uns allen sehr wichtig. Wir haben schon vor Jahren Greenpeace unterstützt und gemeinsam Hilfsaktionen gegen den Abbau des Urwalds im Amazonasgebiet organisiert. Einmal sind wir mit dem Propellerflugzeug über den Regenwald geflogen, und es war erschütternd zu sehen, wie viele Brände gelegt wurden. Es war aber auch wunderschön und unvergesslich, den unberührten Teil des Regenwaldes zu sehen.
Auf Ihrem 2022 veröffentlichten Album „Rock Believer“ gibt es den Song „Peacemaker“. Darin singen Sie, Klaus, dass der Friedensstifter die Oberhand über dem Bestatter behalten möge. In der Ukraine ist es anders gekommen. Einen Tag vor der Veröffentlichung von „Rock Believer“ überfiel Wladimir Putin das Land.
Meine: Die Grundidee von „Peacemaker“ war der Wunsch, das Gute möge über das Böse siegen. Doch das Monster des Krieges ist, obwohl wir es längst besser wissen sollten, nach wie vor lebendig. Ich habe den Text 2019 geschrieben. Seitdem hat sich die Welt in einer Weise verändert, wie wir alle es nicht für möglich gehalten hätten. Das anzusehen und mitzuerleben ist sehr traurig.
Kann der Mensch auf Dauer einfach nicht in Frieden leben?
Jabs: Man muss bedenken, dass jeder Mensch Konflikte im Kopf hat und diese Konflikte sich ausbreiten können auf die Familie, das Heimatdorf, die Gesellschaft. Wenn man dazu die unterschiedlichen Weltanschauungen und Religionen und was auch immer betrachtet, dann kann man sich kaum vorstellen, dass es jemals einen wirklichen Weltfrieden geben kann. Der Mensch an sich verfügt einfach über ein enormes Konfliktpotenzial.
Meine: Das ist absolut richtig, und doch sollte man die Hoffnung nicht aufgeben. Aus diesem Grund entstehen Friedenshymnen wie „Wind of Change“. Mit solchen Songs bauen wir Musiker Brücken und laden die Menschen ein, aufeinander zuzugehen. Mit Musik gelingt es immer wieder, die unterschiedlichsten Kulturen zu verbinden und zumindest für ein, zwei Stunden die Hoffnung zu haben, dass wir alle gemeinsam in Frieden auf diesem Planeten leben können.
Als „Wind of Change“ 1990 rauskam und zum Welthit wurde, herrschte eine Stimmung des Aufbruchs, des Wandels und des Friedens. Der Kalte Krieg war vorbei, Deutschland fand wieder zusammen, die Welt war geprägt von einem immensen Zukunftsoptimismus. 30 Jahre später bläst einem der „Wind of Change“ gerade eisig ins Gesicht.
Meine: Ich reibe mir jeden Morgen fassungslos die Augen. Ich denke, mit einem solchen Rückfall in alte Zeiten haben wir alle nicht gerechnet. Und gleichzeitig ist „Wind of Change“ relevanter denn je. Nicht von ungefähr hat der Song gerade die Milliardenmarke an Aufrufen bei YouTube geknackt. Er wird von unserem Publikum weiter als Friedenshymne empfunden.
Sie haben einige Textzeilen geändert. Anstatt „Follow the Moskva/ Down to Gorky Park“ singst du jetzt „Now listen to my heart/ It says Ukrainia“. Was war der Grund?
Meine: Ich wollte den Text an die Realität anpassen, gerade auch, um ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine zu setzen. Ich singe die neue Version schon seit dem Tourauftakt im März 2022. Mit all den schrecklichen Bildern, die wir jeden Tag aus der Ukraine sehen, war es für mich nicht vorstellbar, diese Russland stark romantisierenden Zeilen zu singen.
Haben wir Russland alle zu lange zu sehr romantisiert und verharmlost?
Meine: Ich fürchte Ja. Und auch wir haben es immer genossen, mit dem Song zur Völkerverständigung und zum kulturellen Austausch beizutragen. Wir hatten viele berührende Erlebnisse in Russland, wir haben dort immer gern gespielt, und wir haben viele Freunde in Russland, der Ukraine und auch in Belarus. Es war keine leichtfertige Entscheidung, diese Zeilen zu ersetzen, aber es ist für mich die einzige Möglichkeit, auszudrücken, was ich empfinde.
Jabs: Und trotzdem hat „Wind of Change“ nichts von seiner Kraft und seiner Friedensbotschaft verloren.
Denken Sie, der „Wind of Change“ wird sich eines Tages wieder in die richtige Richtung drehen?
Meine: Die Hoffnung ist ungebrochen. Und natürlich haben wir auch den Wunsch, in der Ukraine zu spielen, sobald dieser schreckliche Krieg endlich vorbei ist.
Klaus, am 25. Mai werden Sie 75. Werden Sie an dem Tag auf der Bühne stehen?
Meine: Wir spielen zwei Tage vor meinem Geburtstag in Berlin. Mal gucken, was sich ergibt. Die Zeiten, in denen man eine Torte ins Gesicht geworfen bekommen hat, die sind vorbei (lacht).
Die Band und die Tour Sie sind seit Jahrzehnten weltweit eine Marke, haben vom ersten 1972 mit „Lonesome Crow“ bis zum aktuellsten „Rock Believer“ 2022 ganze 19 Studioalben veröffentlicht und dabei Hits gefeiert wie „Still Loving You“, „Send Me An Angel“ und vor allem natürlich „Wind Of Change“ (1991) – und eigentlich wollten die Scorpions, deren Anfänge noch unter dem Namen Nameless standen, immer schon mal wieder Abschied genommen haben. Jetzt aber sind sie nach jahrelanger Tour zum 50. Bandjubiläum wieder unterwegs und spielen unter anderem in Stuttgart (21.5. in der Schleyerhalle) und München (5.6. in der Olympiahalle). Bei allen, auch namhaften Besetzungswechseln ist die Band in einem Dreierkern beständig mit Klaus Meine am Gesang und Rudolf Schenker.