Frau Neigel, ich würde mit Ihnen gerne darüber sprechen, wie Sie die zurückliegenden zwei Jahre Pandemie als Musikerin, als freischaffende Künstlerin erlebt haben. Wo wollen Sie anfangen?
Julia Neigel: Also das Virus ist das eine, das klammere ich aus. Es ist logisch, dass dagegen etwas getan werden muss. Das ist keine Frage. Ganz anders dagegen ist, wie wir damit politisch umgehen, welche Auswüchse das hat. Dazu kann ich sehr viel sagen.
Zum Beispiel?
Neigel: Es stand für mich nicht zur Diskussion, im ersten Lockdown die Arbeit auszusetzen. Dafür hatten wir Verständnis. Als dann uns aber falsche Versprechungen gemacht wurden, etwa, der Lockdown dauere nur wenige Monate, keiner verlöre seine Arbeit, aber diese Monate für uns Musiker mit wenigen Unterbrechungen immer weiter verlängert wurden und nun quasi zwei Jahre andauern, ohne uns eine Perspektive oder einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich zuzusichern, ist mein Verständnis aufgebraucht.
Aber es gab doch die Sommermonate mit weniger Beschränkungen?
Neigel: Künstlerische Arbeit, aber auch das Organisieren eines Konzerts, einer Tournee kann nicht mit einem Ladengeschäft verglichen werden, das an dem einen Tag die Tür zumacht und an dem anderen wieder öffnet. Der Vorlauf für Konzerte beträgt über ein Jahr. Wir benötigen Planungssicherheit, die uns seit März 2020 aber vollkommen fehlt und für mindestens zwei Jahre noch Probleme machen wird.
Wie haben sich die ständig wechselnden Verhältnisse im Verlauf der Pandemie bei Ihnen ausgewirkt?
Neigel: Selbst beim Erscheinen meines neuen Albums habe ich das gespürt. Vier Jahre habe ich darauf hingearbeitet. Das Erscheinen mussten wir verschieben, weil im März 2020 auch die Geschäfte geschlossen waren. Hinzu kam, dass ich im Jahr 2020 insgesamt 45 Konzerte nicht absolvieren durfte und mein Album ohne Konzerte veröffentlicht wurde.
Wie oft konnten Sie 2020 auftreten?
Neigel: Innerhalb eines kurzen Zeitfensters im Sommer drei Mal unter wirklich schlimmen Bedingungen. In einem großen Saal für 2000 Menschen waren z. B. nur 90 Personen erlaubt. Sie saßen im Abstand von mehr als zwei Metern, hatten Masken auf und durften laut Verordnung nicht mal mitsingen. Da kommt keine Freude auf.
Das klingt nach einem surrealen Moment?
Neigel: Es hat mir Schmerzen bereitet, wie die Menschen das Konzert erleben sollten, durften, mussten. Ich fand, es stand in keinem Verhältnis mehr zu dem, was ich im täglichen Leben erlebt habe, ob im Kaufhaus oder anderswo. Man muss das immer im Verhältnis zu den anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens betrachten.
Wie hat sich Ihre Situation 2021 entwickelt? Lief es da besser?
Neigel: Im Sommer wurde es etwas besser. Das liegt daran, dass wir schon im Jahr zuvor aktiv geworden sind. Denn anfangs gab es für uns Künstler gar keine Entschädigung, weil wir im Ausgleichsfonds nicht bedacht worden waren. Wir hatten Berufsverbot und bekamen zugleich nichts und hatten ausverkaufte Konzerte, die wir nicht machen durften. Nach ein paar Monaten gab es einen Aufschrei von verschiedenen Kulturschaffenden in verschiedenen Bundesländern, dann wurde innerhalb einzelner Bundesländer nachjustiert. Aber in zwölf Bundesländern gab es für viele Künstler bis zum November und Dezember 2020 kaum oder gar keine Zuschüsse. Uns wurde entweder empfohlen, die Instrumente zu verkaufen oder sich in Hartz IV einzugliedern. Hartz IV ist aber das falsche Programm für Kreativschaffende, es sind Selbstständige. Diese Behördenkonflikte liefen unter dem Radar der Öffentlichkeit, die ja aufgrund politischer Versprechen davon ausging, dass die Kulturbranche aufgefangen würde. Wir haben über zwei Millionen Freischaffende in der Kulturbranche, wir sind zahlenmäßig größer verortet als die Autoindustrie und ein umsatzstarker Wirtschaftszweig. Die Kulturbranche wurde 2020, 2021 systematisch zerstört, und das scheint nicht abzureißen.
Das klingt hart.
Neigel: Die Menschen, die eben noch Aufträge und einen vollen Terminkalender hatten, durften nicht mehr arbeiten, bekamen keine Unterstützung und standen vor dem Aus. Die Gleichgültigkeit, die uns dabei politisch entgegenschlug, war unerträglich und unmenschlich.
Wie haben Sie das in Ihrem Umfeld und auch selbst erlebt?
Neigel: Meine Band besteht aus Künstlerkollegen, die in sieben verschiedenen Bundesländern wohnen. Die meisten haben die Kollegen im Regen stehen lassen. Baden-Württemberg hat reagiert. Dort gab es eine Unterstützung. Dann konnten sie damit wenigstens ihre Miete zahlen, aber trotzdem fehlte ihnen Geld zum Leben. Aber in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Rheinland-Pfalz, war es dramatisch. Die haben bis November 2020 Künstlern keinen wirtschaftlichen Schaden bezahlt. Der Bund berief sich darauf, dass Kultur Ländersache sei, die Länder haben sich darauf berufen, dass der Bund nicht will, dass freischaffende Künstler genauso wie Gewerbetreibende oder Unternehmen wirtschaftlich gleich behandelt werden.
Wie sah Ihr Widerstand aus?
Neigel: Mit Kollegen wurden wir vereint in den Medien aktiv, wir schrieben offene Briefe an die Politik. Ich habe etwa einen Brief an alle Ministerien geschrieben, aber auch an alle Kulturminister und alle Wirtschaftsminister aller Bundesländer und unsere Situation dargelegt.
Welche Reaktionen haben Sie bekommen?
Neigel: Der Staatssekretär von Herrn Altmaier hat als Einziger sinngemäß geantwortet: Wir müssten jetzt alle solidarisch zusammenhalten und wir müssten jetzt unser Deutschland schützen. Darüber war ich wütend. Solidarität ist ja keine Einbahnstraße und heißt auch, dass man eine ganze Berufsgruppe vor der Existenzvernichtung schützen muss. Ich habe mich auf Artikel 15, Absatz 1, 2 und 3 des Kulturpaktes 1 berufen, die menschenrechtlich gesicherte kulturelle Teilhabe aus dem Völkerrecht. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass die materiellen und immateriellen Interessen von Künstlern durchgesetzt und gefördert werden. Zugleich stellt aber die Kultur auch eine Daseinsvorsorge dar, die zum Grundrecht der Menschen gehört.
Sie haben juristisch argumentiert. Wie hat man Ihnen dann geantwortet?
Neigel: Ich wurde als Sachverständige in den Bundestag eingeladen. Im Kulturausschuss im Bundestag habe ich im Sommer 2020 von den Folgen, z.B. von den Selbstmorden in der Branche, erzählt und dem Fehlen von Entschädigungen.
Selbstmorde?
Neigel: Ja, es waren zwölf Menschen, von denen ich zumindest Kenntnis habe – aus der Region, in der ich wohne.
Von denen Sie wussten?
Neigel: Ja. Es sind sicher noch viele mehr. Menschen, die sich aus purer Verzweiflung das Leben genommen haben, weil sie wirtschaftlich vor dem Aus standen. Ich habe dargelegt, was es für uns Kulturschaffende bedeutet, praktisch einem Berufsverbot ausgesetzt zu sein, wenn es auf der anderen Seite aber keine Entschädigung gibt. Einige Verantwortliche, die jeden Monat eine üppige Diät erhalten, können sich scheinbar nicht vorstellen, wie Menschen ohne Einnahmen ein dreiviertel Jahr überleben sollen. Was ich an dieser Stelle vermisste, war Empathie und Menschlichkeit. Die politische Arbeit ging weiter, zum Beispiel mit Till Brönner und Peter Maffay und Alarmstufe Rot in Zoom-Konferenzen mit den Ministerien. Nach den Diskussionen gab es die bundesweit und flächendeckenden November- und Dezemberhilfen und später die Möglichkeit für Veranstalter, Zuschüsse zu beantragen, um die Verluste durch reduzierte Zuschauergrößen auszugleichen. Nun aber fordern Finanzämter von Kulturschaffenden diese Entschädigungen teilweise wieder zurück. Das geht so nicht.
Unter diesen Bedingungen konnten Sie wieder auftreten?
Neigel: In einem kurzen Zeitfenster im Sommer 2021 habe ich 17 Konzerte gegeben.
Lief es in diesem Herbst und Winter dann besser? Es gab ja keinen Lockdown?
Neigel: Bis zu dem Augenblick lief es gut, bis aus der 3G-Regelung die 2G-Regelung wurde. Die 2G-Pflicht hat zu großem Unmut unter Künstlern geführt, da von uns politisch verlangt wurde, gesunde Menschen, die einen negativen Test vorweisen können, auszuschließen. Nicht nur das: Wir sollten von unserem Publikum die persönlichen, privaten, medizinischen Daten abfragen, was nicht unsere Aufgabe ist, sondern die des Gesundheitsamtes. Und plötzlich gab es die versprochenen Zuschüsse nur noch, wenn wir unter 2G-Bedingungen auftraten, während die Konzerte für 3G schon beworben worden waren oder die Tourneen schon liefen. Wer dann allerdings Konzerte absagte, fiel raus aus dem Wirtschaftszuschuss. Das ist Erpressung.
Wie haben Sie reagiert?
Neigel: Ich habe mich an meine Fans gewandt und geschrieben, dass ich das für rechtswidrig halte und es mir leidtut, was da geschieht.
Wie denken Sie über die Corona-Krisenpolitik in Bezug auf Ihr Leben als Künstlerin, aber auch in Bezug auf den ganzen Kunstbereich?
Neigel: Ich kann nur noch den Kopf schütteln.Sie sind medizinisch nicht logisch und sie benachteiligen viele Menschen. Ich halte die aktuellen Grundrechtseinschränkungen für widersprüchlich und unangemessen, auch mit dem Blick nach Dänemark, Schweiz, Finnland, England etc. In diesen Ländern gibt es auch demokratisch legitimierte Regierungen, die ihre Bevölkerung schützen. Trotzdem lassen sie das kulturelle Leben am Leben. Es geht wohl eher um politisch motivierten Impfzwang und nicht mehr um vernünftige Entscheidungen zum Wohl der Gesellschaft.
Sie fühlen sich in Deutschland besonders benachteiligt?
Neigel: Nicht nur unsere Branche wird benachteiligt. Überall werden gerade wieder Konzerte abgesagt. Bis heute ist nicht klar, ob es überhaupt eine Ausfallentschädigung dafür geben wird. Peter Maffay hat schon drei Mal seine Tournee verschieben müssen, nun erneut, ebenso Daniel Wirtz, Gregor Meyle und viele andere Kollegen. Maffay zahlt seine Leute aus eigener Tasche, das ist Wahnsinn. Wir werden als Branche existenziell ruiniert. Das wurde zwei Jahre lang totgeschwiegen. Uns wird jede Woche der Boden unter den Füßen weggerissen, weil Verantwortliche ihre Entscheidungen nicht zu Ende denken und es offensichtlich rein politische Entscheidungen sind. Wir müssen als Betroffene Kritik äußern und uns zur Wehr setzen dürfen. Man kann von uns Künstlern nicht erwarten, dass wir uns als Branche stillschweigend selbst opfern im Sinne des Allgemeinwohls. Das ist doch völliger Wahnsinn.
Sie haben sich jüngst in einer Talkshow auf Servus TV gegen die Impfpflicht ausgesprochen.
Neigel: Ja. Das muss jedem Menschen selbst überlassen bleiben. Zumal dieses Pharmaprodukt keine sterile Immunität erzeugt, es nur bedingt zugelassen ist und nun Heilmittel zugelassen wurden. Die persönliche Unversehrtheit und die körperliche Integrität ist ein unantastbares Menschenrecht.
Wie schwierig ist es für Sie geworden, über Corona zu reden?
Neigel: Corona wurde beinahe fanatisch politisiert und mit dabei dialektischer Eristik agiert. Sachlich über Grundrechte, Menschenrechte oder die Fakten zu reden war beinahe unmöglich. Wenn sich jemand ansatzweise kritisch äußerte oder Fragen stellte, wurde diese Person diffamiert, obwohl sie die Wahrheit sagte. In einer Umfrage zeigte sich das Ergebnis dieser Einschüchterungsmethodik: Die Mehrheit der Deutschen traute sich nicht mehr, öffentlich die eigene Meinung zu sagen. Deshalb gibt es viele Menschen in der Kulturbranche, die Angst davor haben, sich zu äußern. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Wenn wir nicht aufpassen, verschwindet die Kultur und Meinungsvielfalt mit dazu. Die Kultur ist ein wichtiger, ausgleichender Faktor für die mentale Gesundheit einer Gesellschaft, sowohl psychologisch als auch sozialgesellschaftlich. Sie hat eine wichtige Reflexionsaufgabe innerhalb der Gesellschaft und vereint Menschen. Was da in den vergangenen beiden Jahren an Kollateralschaden unter massiver Einschränkung unser aller Grundrechte für Wirtschaft und Gesellschaft erzeugt wurde – vor allem im Vergleich zu anderen europäischen Ländern –, diese Restriktionen sind nicht tragbar und müssen beendet werden. Ich hätte nie gedacht, dass uns Künstlern, aber auch der Gesellschaft in Deutschland in einer Demokratie so etwas passieren könnte.